Von J. Fritzsche, R. Altmann-Kühr & M. van Appeldorn
Es geht ungerecht zu hierzulande. Das bekommen mittlerweile sogar Straßen zu spüren. Die Bundesstraße 6 zum Beispiel. Aber warum Musiker, Buchautoren und sogar Filmemacher immer nur auf die B 96 schauen, die etwas weiter südlich durch das Oberland in Richtung Bautzen verläuft und sich dort mit der B 6 trifft, ist ungerecht.
Entlang der Bundesstraße
Schließlich versprüht die einst von Cuxhaven nach Schlesien verlaufende Verbindung einen kräftigen Hauch Weltgeschichte. Auch, wenn sie heute nur noch von Halle über Leipzig und Dresden zur polnischen Grenze führt. Und dennoch ist es die B 96, die in Rocktexten wie der Bautzener Band Silbermond vorkommt, vor wenigen Tagen zeigte der MDR eine TV-Reportage über die „legendäre Landstraße“, letzte Sommer drehte der Sender eine ganze Reihe an der Straße und es gibt sogar ein Buch – „Straße der Träume“ – über die B 96. Und die B 6?
Die Ungerechtigkeit nahm im Prinzip schon zu DDR-Zeiten ihren Anfang. Da musste sich die – damals noch Fernverkehrsstraße 6 – ihren Namen mit einer Zigaretten-Sorte teilen: F 6 … Dabei kann das Asphaltband sogar mit Napoleon oder der legendenumwobenen Gräfin Cosel aufwarten! Die einst von Sachsen-Herrscher August dem Starken so innig begehrte Mätresse muss schließlich am Weihnachtsabend 1716 auf ihrem unfreiwilligen Weg zur nahen Burg Stolpen hier entlanggefahren worden sein, bevor sie auf Stolpen immerhin 48 Jahre einsaß. Und auch der selbst ernannte Franzosenkaiser Napoleon begann hier – quasi entlang B 6 – seinen rasanten militärischen Rückzug aus der Region, der dann in Leipzig für ihn im Desaster der Völkerschlacht endete. Leipzig bekam daraufhin eine Sehenswürdigkeit: das imposante Völkerschlachtdenkmal. Und die Oberlausitz?
Dabei gebe es eine Menge zu erzählen über diese Straße. Vom Blitzer in Plotzen zum Beispiel. Er ist der erfolgreich
ste Starenkasten weit und breit. 2017 schoss er 73 000 Fotos von Autofahrern, die zu schnell waren. Jetzt war er sogar Inhalt einer Gerichtsverhandlung. Vor dem Bautzener Amtsgericht musste sich ein 22-Jähriger verantworten. Der Kurierfahrer hatte in einer Juninacht vorigen Jahres Zeitungen von Dresden nach Löbau gebracht und war vom stationären Blitzer an der B 6 mit 80 Kilometern pro Stunde gemessen worden, erlaubt ist Tempo 50. Aus Wut schlang er ein Abschleppseil um den Blitzermast und gab Gas. Nun stand er wegen Sachbeschädigung vor Gericht, muss den Sachschaden von 7 000 Euro bezahlen und 1000 Euro an eine Suchthilfestiftung. Geschichten gibt’s auch rund um die große Umleitung zwischen Löbau und Görlitz voriges Jahr zu erzählen, die Pendlern und anderen Autofahrern Geduld abverlangte. Die B 6 wurde auf der Strecke saniert. Mehrere Unfälle passierten auf der schmalen Umleitungsroute. Also muss sich die B 6 mit gelegentlichen Radio-Auftritten begnügen. Im Verkehrsfunk.
Aber wer weiß, vielleicht fühlt sich ja doch noch mal ein Dichter inspiriert?