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„Die Bevölkerung muss das Zentrum mittragen“

Professor Hans-Georg Lippert über die Historie des Freitaler Stadtzentrums und die Lehren für die heutigen Pläne.

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© Hans-Georg Lippert

Herr Professor Lippert, was halten Sie von Freitals Zentrumsplänen?

Hans-Georg Lippert (60) ist Professor für Baugeschichte an der TU Dresden und hat über die Historie des Freitaler Zentrums geforscht.
Hans-Georg Lippert (60) ist Professor für Baugeschichte an der TU Dresden und hat über die Historie des Freitaler Zentrums geforscht. © privat

Wenn man sich den Entwurf für das Zentrum aus den 20er-Jahren anschaut, dann erkennt man, dass die Planer damals eine Vision davon hatten, was Freital ist und was es werden soll. Das Problem von Freital heute ist, dass es solch eine Vision nicht gibt. Von daher ist es ganz schwierig, jetzt ein identitätsstiftendes Zentrum zu schaffen. Zurzeit wird versucht, mit mehreren Maßnahmen auf dem Gelände des ehemaligen Sächsischen Wolfes und ringsherum ein Zentrum zu konzipieren. Ich bin mir nicht sicher, ob das funktioniert.

Warum?

Es fehlt die Leitidee, der Masterplan dahinter. Und es ist klar: Wenn man einen ganz wesentlichen Baustein des neuen Zentrums einer privaten Entwicklungsgesellschaft überlässt, bekommt man einen Entwurf, der im Wesentlichen den Interessen der Investoren entspricht. Es gibt Handel, Kommerz und ein paar öffentliche Funktionen dazu. Ob das als Stadtzentrum wahrgenommen wird, daran habe ich Zweifel.

Gäbe es denn eine andere Möglichkeit?

Wir sind nicht mehr in der Zeit, wo solche gesellschaftlichen Visionen entwickelt werden. Das passt auch nicht zu unserer pluralen Gesellschaft. Der Schwachpunkt ist aber, dass es zu wenige öffentliche Funktionen in dem geplanten Zentrum gibt. Das würde natürlich auch bedeuten, dass die Stadt in ganz anderem Maß Geld in die Hand nehmen müsste und der Ansatz der Planung ein ganz anderer sein müsste.

Warum ist die Geschichte des Freitaler Stadtzentrums für Sie als Wissenschaftler so interessant?

Das war ein bisschen ein Zufallsfund bei einem Besuch auf Schloss Burgk. Da habe ich das Modell für Freitals Zentrum von Rudolf Bitzan von 1923 gesehen. In der Forschung beschäftigen wir uns seit Langem zum Beispiel mit der Architektur als Spiegel von gesellschaftlichen Verhältnissen. Da passt Freital unglaublich gut hinein. Freital ist eine Stadt, die mit einem programmatischen Ansatz gegründet wird und es gibt ein Konzept, dies auch baulich zu fassen. Das hat Seltenheitswert.

Was war die Besonderheit der Planungen von Bitzan?

Freital war damals eine sozialdemokratische Hochburg. Bitzan sollte das Freitaler Stadtzentrum in einer Art gestalten, dass es über die Stadtgrenzen hinaus wirkt. Bitzan kannte sich mit Kirchenbau, mit großen Versammlungsstätten aus. Er hat bei der großen Hygieneausstellung 1911 in Dresden mitgearbeitet. Sein Entwurf für Freital arbeitet mit ganz klar historischen Reminiszenzen. Der Platz mit Kolonnaden an der Seite erinnert ganz bewusst an den Petersplatz in Rom. Anstelle des Doms steht aber das Volkshaus. Und an den Seiten sind alle wichtigen öffentlichen Funktionen untergebracht – Krankenkasse, Finanzamt, Polizeistation, Bücherei, Café. Das Ganze wird noch überhöht, indem zur Planung noch der Zentralfriedhof mit dem Krematorium am Fuße des Windbergs gehört. Das ist mit einem deutlichen Gespür für eine theatralische Wirkung gemacht worden.

Inwiefern spiegelten sich die sozialdemokratischen Ideen in dem Plan wider?

Die Idee der Sozialdemokratie war ja, den Arbeiter aus seiner unterprivilegierten Situation herauszuholen – nicht durch eine Revolution, sondern durch Reformen. Die Arbeiterschaft sollte an den bürgerschaftlichen Errungenschaften teilhaben. Die Zentrumsplanung für Freital spiegelt das wider. Die Arbeiterschaft soll sich die bürgerschaftlichen Ideale aneignen.

Von dem Plan wurden nur fünf Häuser umgesetzt. Wie lange wurde der Bitzan-Plan nach Ihren Erkenntnissen noch weiterverfolgt?

Das geht bis 1929/1930. Dann ist die wirtschaftliche Situation so schlecht, dass man es nicht mehr weiterverfolgen kann.

Gab es dann danach noch einmal Pläne, das Zentrum zu vollenden oder ein neues an anderer Stelle zu bauen?

Interessanterweise nicht. In der NS-Zeit verwundert es erst einmal nicht. Die NSDAP hatte kein Interesse, den Städtebau der Sozialdemokratie weiterzuführen. In der Zeit gab es Planungen für große Wohnungssiedlungen, zum Beispiel die Siedlung „Neue Heimat“ hinter dem Edelstahlwerk. Erstaunlicher finde ich, dass in der DDR, in der frühen stalinistischen Phase, nicht an die Zentrumspläne von Bitzan angeknüpft wurde. Ich kann es mir nur so erklären, dass man nicht an die sozialdemokratische Architektursprache anknüpfen wollte, sondern einen eigenständigen Sozialismus begründen wollte. An sich passt die Planung aber ziemlich genau zu den damaligen Vorstellungen: ein öffentlicher Platz mit öffentlichen Bauten, eine Straßenachse für die Demonstrationen, eine monumentale Formensprache. Vielleicht hatte auch der Wiederaufbau des Stahlwerks Vorrang.

In den Jahren danach fehlte das Geld?

Ja, und die Erinnerung an die große Zeit der 20er-Jahre war verschwunden. Die Pläne gerieten in Vergessenheit.

Wobei die Idee eines Stadtzentrums ja nicht ein Ideal der Sozialdemokratie ist. Warum ist ein Zentrum für eine Stadt überhaupt wichtig?

Funktional gesehen geht es auch ohne Zentrum, siehe auch Radebeul. Aber in einem Zentrum verdichtet sich das, was eine Stadt ausmacht, und wirkt damit identitätsstiftend. Wenn das Zentrum fehlt, dann identifiziert man sich eher mit den kleineren Ortsteilen. In Freital ist man eben Deubener, Potschappler und so weiter. Das ist ein Problem, das Städte im Ruhrgebiet auch haben. Dort wurde in den 20er-Jahren auch versucht, große Stadtzentren zu schaffen, in Mühlheim an der Ruhr oder Bochum zum Beispiel. Da ist es aber bis heute so, dass der alte Dorfkern der Bezugspunkt ist.

Das heißt, dort hat der Bau eines künstlichen Zentrums nicht funktioniert. Warum?

Das könnte daran liegen, dass die Zentren von der Großindustrie zusammen mit den Behörden geschaffen wurden. Es gab keine Bewegung von unten her.

Ist das auch die Lehre für das neue Freitaler Stadtzentrum?

Ja, die Bevölkerung muss es mittragen. Und es müsste etwas sein, was eine zeichenhafte Aussage formulieren kann, die über das Interesse einer rein wirtschaftlichen Nutzung hinausgeht. Es muss etwas Bürgerschaftliches sichtbar sein und nicht nur ein Geschäftsangebot. Da habe ich Zweifel, dass das klappt.

Es wird also ein totes Zentrum?

Nein, nicht unbedingt. Es mag als Einkaufszentrum funktionieren. Ob es aber als Identifikationsobjekt wahrgenommen wird, daran habe ich meine Zweifel. Ich glaube nicht, dass man später einmal sagen wird: „Ich gehe jetzt ins Zentrum.“

Das Interview führte Tobias Winzer.