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Die bessere Elbphilharmonie

Der neue Konzertsaal in Dresden kann es ohne Weiteres mit seiner großen Schwester in Hamburg aufnehmen. So wird der Kulturpalast erstmals auch seinem Namen gerecht.

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© Robert Michael

Von Bernd Klempnow

Wer diesen Saal betritt, dem geht das Herz auf. So fasziniert die grafische Weinbergarchitektur, so schmeicheln die hellen Farben dem Auge: das Weiß der Ränge, das sanfte Braun der Roteichen an Wänden und auf den Böden, das Korallenrot der Sitze. „Ich kenne Hunderte Konzertsäle in aller Welt“, sagt Martin Bülow, „nur selten nimmt ein Raum den Besucher so herzlich auf, wie der neue Saal im nun umgebauten Dresdner Kulturpalast. Obwohl er 1 800 Plätze bietet, wirkt er nicht riesig, sondern fast intim.“

Der Vergleich kommt nicht von irgendwem: Bülow ist der künstlerische Betriebsdirektor der Dresdner Philharmonie, die Hauptmieter des Kulturpalastes war und ist. Er ist nicht unabhängig, aber, objektiv gesehen, hat er recht. Der neue Festsaal des Kulturpalastes ist schöner und besucherfreundlicher als der der viel gelobten, extrem in die Höhe gebauten Elbphilharmonie Hamburg. Wesentlich preiswerter ist er sowieso. Wie er klingt, das werden die ersten Konzerte am bevorstehenden Eröffnungswochenende zeigen. Ein endgültiges Urteil zur Akustik, so Experten, ist erfahrungsgemäß erst nach Jahren möglich, wenn der Saal Patina angesetzt hat.

„Die Besucher werden sich schnell an den neu strukturierten Kulturpalast gewöhnen“, sagt Jens Eichler, Technischer Leiter der Philharmonie. Eichler kennt das alte Haus aus dem Effeff, war hier seit 1988 Bühnenmeister. Er hat viel mitgemacht: Kongresse und Parteitage, Messen, Bälle und Revuen, Jazz-, Dixie- und Popkonzerte sowie Klassik-, Tanz- und Theateraufführungen. „In puncto Funktionalität war das 1969 eröffnete Haus ideal. Viele Dresdner haben hier bewegende Stunden“ erlebt: „Brückenmännchen“-Shows, Auftritte von Weststars wie Pantomime Marcel Marceau oder Konzerte von Publikumslieblingen wie Schlagerkönig Roland Kaiser und dem Bergsteigerchor „Kurt Schlosser“.

Doch die Zeiten änderten sich, so Eichler: Kongresse und Parteitage brauchen heute viel größere Räume. Das Haus kam in die Jahre, und die Akustik für Klassik der im Kulturpalast beheimateten Philharmonie entsprach schon in den 1980er-Jahren nicht mehr den gestiegenen Ansprüchen. Also entschloss sich die Stadt, das denkmalgeschützte Gebäude umzubauen, um es neu nutzen zu können. „Nach jahrzehntelangen Diskussionen entstand durch die Berliner Architekten Gerkan, Marg und Partner und die niederländischen Peutz-Akustiker in der alten Hülle ein völlig neues, sehr attraktives Innenleben“, sagt Martin Bülow. „Im Inneren wurde das Gebäude entkernt und ein hochwertiger Konzertsaal quasi reingehängt.“ Um den Saal herum entstanden große, erstaunlich lichtdurchflutete Räume für die Zentralbibliothek. Und im Keller erhielt das Kabarett Herkuleskeule ein neues Domizil. Wenn man so will, kommen aus dem Keller die politischen Pointen, im ehemaligen Studiotheater gibt es Filme, Musik und andere Medien auszuleihen und im Festsaal spielt die große Musik, ob im Sinfoniekonzert, in einem intimen Liederabend oder bei einem krachledernen Comedian-Programm.

Wenn früher das Haus nur zu den Veranstaltungen im großen Saal offen war, wird es das nun quasi den ganzen Tag sein. Die Zentralbibliothek hat montags bis sonnabends von 10 bis 19 Uhr offen. Abends und sonntags gibt es nun noch Veranstaltungen der „Keule“ und im Festsaal. „Fast fünf Jahrzehnte nach seiner Einweihung trägt damit der Kulturpalast zum ersten Mal seinen Namen zu Recht“, sagt Bülow, und Eichler stimmt ihm zu. So ein Gebäude ist singulär in Deutschland und die Umbaukosten von gut 100 Millionen Euro sind es auch – selbst, wenn man anfangs von knapp 20 Millionen weniger ausgegangen ist.

Welch ein Prachtbau entstanden ist, davon können sich Leser der Sächsischen Zeitung am 1. Mai beim SZ-Entdeckertag informieren, wenn sich viele Räume bei Rundgängen – zu denen Karten ausgegeben werden – exklusiv öffnen. Jazzige Minikonzerte gibt es ganztags im Festsaal.

Eichler und Bülow werden an dem Tag, kurz nach der offiziellen Eröffnung am Freitag, auch unterwegs sein. An interessanten technischen und baulichen Lösungen konnten die beiden mitwirken. So gibt es im Saal zusätzliche Kettenzüge und Hängepunkte in der Decke für Lampen und Lautsprecher sowie eine fest installierte, ausfahrbare Leinwand für Kino mit Livemusik. Damit kann der Festsaal künftig für viele Genres der Unterhaltungskunst genutzt werden. All die Mahner, die meinten, dass der Kulturpalast nach dem Umbau nur für die Philharmonie zur Verfügung steht, lagen falsch. Fast alles, was im alten Saal möglich war, ist es auch im neuen – sogar Eisshows. Es gibt eine einzige Einschränkung. Braucht ein Veranstalter eine klassische Guckkastenbühne, etwa für das russische Staatsballett mit seinen akademischen Inszenierungen wie „Schwanensee“, dann stehen 300 Plätze weniger zur Verfügung. Jene, die seitlich und hinter der Bühne angeordnet sind.

Bereits jetzt reißen sich die Veranstalter um Gastspiele von Rock-, Pop- und Showgrößen. 70 waren in der Saison 2017/18 avisiert. Bereits jetzt sind es 115 Veranstaltungen. Das vom Stadtrat vorgegebene Einnahmesoll fürs Haus ist schließlich nicht von Pappe. Auch das Dixieland-Festival, die Jazztage, die Musikfestspiele und andere kehren zurück. Und die Dresdner Philharmoniker planen 80 Konzerte. Zudem: Das Orchester wird im Festsaal auch proben müssen, weil es keinen anderen Raum dafür hat.

All diese 225 Termine flexibel und tarifrechtlich konform unter einen Hut zu bekommen, das wird die Herausforderung für Bülow, Eichler und ihre Mannen sein. „Wir versuchen es mit Humor und Gefühl für die von uns geschätzten, oftmals naturgemäß sehr sensiblen Kulturschaffenden.“