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Die an der Flasche

Von Musikern, die im „Kessel Buntes“ ihren legendären Auftritt hatten und jetzt im Radebeuler Stadtarchiv mit ihren Aufnahmen verewigt sind.

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© Norbert Millauer

Von Beate Erler

Radebeul. Vor Kurzem waren Wolfgang Uhlig und Peter Martin im Radebeuler Stadtarchiv und haben sich selbst im Fernsehen gesehen. Mit ihren vier Kollegen, von denen drei schon nicht mehr leben, standen sie 1979 im „Kessel Buntes“ als Radebeuler Flaschensextett auf der Bühne und wurden bei der Musiksendung „Phon“ vorgestellt.

Die zwei Sendemitschnitte ihrer Auftritte hat das Stadtarchiv kürzlich vom Deutschen Rundfunkarchiv übernommen. Diese alten Aufnahmen nach so langer Zeit zu sehen, war für das Duo vom ehemaligen Sextett sehr bewegend: „Es ist eine schöne Erinnerung an eine schöne Zeit“, sagen sie übereinstimmend.

Zum Interview und Fototermin wollen die 80 Jahre alten Herren ins Schloss Wackerbarth, denn hier hatten sie einige Auftritte. Beide haben einen Koffer mit Utensilien für das Foto dabei. Schließlich sind sie Profis, denn früher wurden sie oft fotografiert und gefilmt. Zuerst das Wichtigste: Die Originalbierflaschen von damals mit den Etiketten, die sie selbst zusammengesucht und aufgeklebt haben. Dann eine Fahne, bestickt mit einer Flasche und Noten. Die hat der Dekorateur der Landesbühnen angefertigt: „Wir haben erst viel später gesehen, dass der Notenhals falsch herum ist“, sagt Peter Martin und lacht.

Wenn sie ihre Lippen spitzen, an den Flaschenhals setzen und pusten, kommt ein monotoner meditativer Ton heraus. Ein bisschen klingt es nach Walgesängen. Doch die sechs Musiker aus Radebeul haben damals noch ganze andere Töne aus den Flaschen herausgepustet. Den Radetzkymarsch zum Beispiel oder Yellow Submarine von den Beatles.

Angefangen hat alles, als der Chef der Landesbühnen Sachsen auf die Orchestermusiker zukam und sagte: „Lasst euch mal was Lustiges einfallen für unsere Feier zum 15. Gründungsjahr.“ Das war 1960, und Willi Finke, Heinz Dittrich, Peter Roßner, Peter Martin, Wolfgang Uhlig und Rolf Schmidt waren als Bläser im Orchester der Landesbühnen engagiert. Wolfgang Uhlig als erste Flöte und Peter Martin als Oboer.

Jeder hat doch schon mal aus Jux in eine Flasche geblasen und versucht Töne rauszukriegen, sagen die beiden über ihren Einfall von damals. Meist klingt das nur nicht sehr gut, aber wenn studierte Bläser das versuchen, könnte es etwas werden. Zur 15-Jahr-Feier der Landesbühnen spielten sie nur einen Song und jeder auf nur zwei Flaschen. Das Repertoire wurde bald vergrößert und auch die Anzahl der Flaschen verdoppelte sich. Was nur aus Spaß für einen Abend entstand, verselbstständigte sich.

In dem Mitschnitt der DDR-Musiksendung „Phon“ stellt die Moderatorin Barbara Liebig die Musiker vor: „Das Orchester der Landesbühnen hat 71 Musiker. Sechs davon werden offiziell als Flaschen bezeichnet“, sagt sie. Im positiven Sinn, klärt sie auf, denn die sechs hängen an ihren Flaschen mit wahrer Begeisterung. Die steht den beiden auch heute noch ins Gesicht geschrieben, wenn sie sich an die damalige Zeit erinnern. „Wir waren immer mit Spaß dabei und haben viele lustige Momente gehabt“, sagt Wolfgang Uhlig.

Einmal war kurz vorm Auftritt die Piccoloflöte weg, ein anderes Mal mussten sie sich auf einem Kohlehaufen in ihre Showkleidung schmeißen und Peter Martin trank in Berlin mit der Tänzerin Susan Baker aus einer Kaffeetasse. Die Anfragen häuften sich nach einem Auftritt in der Fernsehsendung „Außenseiter-Spitzenreiter“ im Jahr 1977. „Wir hätten sogar in der Show Bio’s Bahnhof mit Alfred Biolek auftreten können, aber es wurde uns nicht erlaubt, in den Westen zu reisen“, erinnert sich Peter Martin.

Die Flaschen zu stimmen, war übrigens gar nicht so einfach. Jede der jeweils vier Flaschen hatte eine unterschiedliche Füllhöhe, um vier verschiedene Töne zu erzeugen. Zur groben Orientierung hatte jede Flasche eine Markierung, aber die Feinabstimmung wurde dann mit einer Spritze tröpfchenweise vorgenommen.

So konnte ein solcher Stimmvorgang schon mal bis zu einer Stunde dauern. Befüllt wurden die Flaschen mit Leitungswasser, denn reines, klares Elbwasser war damals genauso schwer zu bekommen wie Radeberger Bier, scherzen die beiden. Nervös waren sie vor Auftritten selten, denn ihre Instrumente mussten sie vor dem Präparieren erst noch austrinken.