SZ +
Merken

Die Akte Arbeitsamt

Vor 90 Jahren entsteht in Bautzen die erste Anlaufstelle für Arbeitssuchende. Ihre Geschichte ist wechselhaft.

Teilen
Folgen
NEU!
© Steffen Unger

Von Miriam Schönbach

Personalkarte Nr. 1 steht in der linken Ecke. Vom Passbild schaut ein ernster Mann. Oskar Richard Neumann verrät der Eintrag im Namensfeld. „Das war der erste Leiter des Arbeitsamtes nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Institution hat bereits im Juli 1945 angeordnet, dass sich alle melde- und arbeitspflichtigen Einwohner Bautzens mit Arbeitskleidung dort zu melden hätten“, sagt Archivverbund-Mitarbeiterin Anja Moschke. In einem schlichten Pappkarton schlummern die 136 A3-Karten der Personalkartei. Dazu kommt noch ein schlichter Schnellhefter.

Eine Karte aus der Personalkartei des Arbeitsamtes. 146 davon gibt es im Archivbestand.
Eine Karte aus der Personalkartei des Arbeitsamtes. 146 davon gibt es im Archivbestand. © Steffen Unger
Anfang der 1930er-Jahre zog das Amt in die Moritzstraße, die heutige Liselotte-Herrmann-Straße, um.
Anfang der 1930er-Jahre zog das Amt in die Moritzstraße, die heutige Liselotte-Herrmann-Straße, um. © Steffen Unger
Hier in der Schloßstraße 10 befand sich zuerst das Bautzener Arbeitsamt. Heute sitzt hier der Archivverbund.
Hier in der Schloßstraße 10 befand sich zuerst das Bautzener Arbeitsamt. Heute sitzt hier der Archivverbund. © Steffen Unger

Mit diesen beiden Akten hat sich Anja Moschke auf den Weg gemacht, die 90-jährige Geschichte des Bautzener Arbeitsamts zusammenzutragen. „Und anhand ganz wenig Archivgut kann man ziemlich viel erforschen“, sagt sie. Mit dem Reichsgesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 16. Juli 1927 wird in der Weimarer Republik zum 1. Oktober desselben Jahres die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung gegründet. Es ist eine Reaktion auf die Zeit. Sechs Millionen Arbeitslose wird die Weltwirtschaftskrise hervorbringen.

Vorerst atmet das Land nach dem Ersten Weltkrieg auf. Doch dieses Luftholen ist nur von kurzer Dauer. Bereits 1923 kündigt sich der Niedergang der alten Zeit an. Deutschlands Wirtschaft liegt in Scherben, der Staat ist pleite. Um dennoch seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, wird die Notenpresse angeworfen. Für die immer höhere Anzahl Banknoten gibt es bald keine materiellen Gegenwerte mehr. Die Menschen rechnen in Bündeln statt Scheinen. Geld wird in Schubkarren transportiert. Für einen Liter Milch, der im Juni 1923 noch 1 400 Reichsmark kostet, müssen Käufer sechs Monate später 360 Milliarden Reichsmark hinlegen.

Mit dem Kurs von einem Dollar zu 4,2 Billionen Papiermark erreicht die Inflation am 20. November 1923 ihren Höhepunkt. Die Geldentwertung trifft Arbeiter, Angestellte und Beamte. Ihre Lebenserhaltungskosten steigen ins Unermessliche. Erst die Währungsreform vom 15. November 1923 entspannt die Krise. Die Ersparnisse der Menschen sind vernichtet. Der Wertverlust des Geldes lässt auch die Industrie ächzen, die sich gleichzeitig noch von Kriegs- auf die Friedensproduktion umstellen muss.

Soziale Systeme versagen

Denn der Versailler Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg regelt nicht nur hohe Reparationszahlungen, sondern auch die Abrüstung der Militärmacht. „Die Wehrpflicht wurde verboten. Die Zahl der Soldaten im Berufsheer begrenzt. Zugleich brauchten die Soldaten, die aus dem Feld kamen, wie auch die Invaliden eine Arbeit“, sagt Anja Moschke. So schwappen immer mehr Arbeitssuchende auf den immer kleiner werdenden Berufsmarkt. Die Obdachlosigkeit nimmt zu. Das soziale System ist den Problemen nicht gewachsen. Zur Unterstützung Bedürftiger mit Lebensmitteln und Kleidung gründen Bautzener Geschäftsleute 1922 die „Notgemeinschaft Bautzen“. Ab 1927 kümmert sich schließlich die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung um die Unterstützungsleistungen. Ihre Aufgabe ist zudem die öffentliche Arbeitsvermittlung und Berufsberatung. Das Arbeitsamt Bautzen ist für die Stadt selbst und die Amtshauptmannschaft Bautzen sowie zeitweise auch für Cunewalde, Weigsdorf-Köblitz, Schönberg, Hochkirch und Kuppritz aus der Amtshauptmannschaft Löbau zuständig. Seinen Sitz bekommt es zunächst im ehemaligen Bautzener Landhaus auf der Schloßstraße 10 in Bautzen Tür an Tür mit dem städtischen Fürsorgeamt. Im Gebäude sitzen heute Bibliothek und Archivverbund.

An der Spree nimmt das Arbeitsamt wohl im zweiten Halbjahr 1928 die Arbeit auf, wie aus städtischen Unterlagen hervorgeht. Der erste Leiter der Behörde wird Karl Albert von Boxberg auf Großwelka. Laut einer Statistik in einer Akte gibt es in seinem Arbeitsbereich am 1. Oktober 1928 3 050 Arbeitssuchende, davon sind 2 328 Männer und 722 Frauen. Nur vier Monate später, am 1. Februar 1929 sind 11 489 Personen arbeitssuchend, davon 9 244 Männer und 2 245 Frauen. Der Bezirk des Arbeitsamtes hatte 1930 151 449 Einwohner.

Und für die Arbeitsvermittler gibt es viel zu tun: Das unrentabel arbeitende Kupfer- und Aluminium-, Walz- und Hammerwerk C. G. Tietzens Eidam meldet 1928 Konkurs an und wird stillgelegt. Auch die Bautzener Tuchfabrik AG schließt 1928. Das Bautzener Werk der Vereinigten Jutespinnereien und Webereien AG Berlin/Hamburg stellt wie auch die Eisengießerei und Maschinenfabrik AG seinen Betrieb ein. Die Rezession erschüttert auch die Linke-Hoffmann-Busch AG. Anfang 1933 steht das Bautzener Waggonbauwerk mit kaum 300 Beschäftigten fast vor dem Ruin.

Kaum Akten erhalten geblieben

Die Arbeitslosen-Kartei dieser Zeit ist bislang genauso verschollen wie das Verzeichnis der Mitarbeiter. Ihre Behörde zieht während der Jahre 1931/32 in die neuen Geschäftsräume in der Moritzstraße 4, der heutigen Liselotte-Herrmann-Straße um. Hierfür wurde das Werksgebäude der Strumpfwarenfabrik Gustav Lange umgebaut. Doch mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten ändern sich die Aufgaben der Reichsanstalt. Mit Autobahn- und Wohnungsbau verringert sich die Zahl der Arbeitslosen innerhalb kürzester Zeit. Die Rückkehr der Wehrpflicht 1935 und die beginnende Kriegsproduktion sorgen schließlich wieder für einen Arbeitskräftebedarf.

Die Reichsanstalt wird 1938 ans Reichsarbeitsministerium angeschlossen und kümmert sich in den Kriegsjahren um die Verteilung der Zwangsarbeiter. Vielleicht ist aus diesem Grund keine Akte erhalten geblieben, obwohl das Gebäude in der Liselotte-Herrmann-Straße bei den Kampfhandlungen in Bautzen im April 1945 nicht beschädigt wurde. Eine neue kurze Ära der Behörde beginnt nach dem Zweiten Weltkrieg. Ihre Aufgabe reicht unter anderem von der Arbeits- und Lehrstellenvermittlung über Berufsberatung und -ausbildung bis zur Arbeitslenkung. „Um den Bedarf zu decken, werden ständig neue Mitarbeiter eingestellt“, sagt Anja Moschke. Das zeigt auch die Personalkartei im Pappkarton.

Wie die Akten erzählen, wechselt ein Teil der Angestellten 1951 in die neu gebildete Abteilung für Arbeit beim Rat des Kreises. Das Arbeitsamt ist damit aufgelöst.