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Der zuverlässige Sonderling

Florian Finke überlebte einen schweren Unfall und gehört bei den Dresden Monarchs zu den besten Punktesammlern.

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© Jürgen Lösel

Von Alexander Hiller

Man muss schon genau aufpassen, um den jungen Mann im Gewusel eines Spieltages nicht zu übersehen. Auch am Sonnabend beim letzten Heimspiel der Normalrunde gegen Köln im Steyer-Stadion. Im 50-köpfigen Aufgebot der Erstliga-Footballer der Dresden Monarchs nimmt Florian Finke eine Sonderrolle ein. Was man dem 22-Jährigen im Gesicht und an den Schuhen ablesen kann. Neben zwei verschiedenfarbigen Schuhen trägt der gebürtige Bautzner als einziger Akteur eine Brille hinter dem Gesichtsschutz des Football-Helms. Damit wirkt er in der körperbetonten Vollkontaktsportart wie ein Außenseiter – und ist auch einer. „Ja“, stellt Finke grienend fest, „ich bin ein Sonderling.“

Finkes Sekunden schlagen dann, wenn die Tacklings, die Sprints und die Rangel-Momente auf dem Rasen vorüber sind. Er ist der Stamm-Kicker der Monarchs und als solcher für die Fieldgoals oder den Zusatzkick nach dem Touchdown zuständig. Point after Touchdown (PAT) lautet der Balltritt mit dem Fuß in der Fachsprache. Das bringt dem Team im Erfolgsfall drei Punkte (Fieldgoal) oder einen Zähler (PAT). In der vergangenen Saison war Finke mit 109 Zählern der erfolgreichste Punktesammler im Monarchs-Dress. In dieser Spielzeit sind es auch schon wieder 79.

Dickes Fell gegen Spötteleien

Spötteleien seiner Teamkollegen muss er dennoch weiterhin ertragen. Er ist eben der, der am wenigsten schwitzt. „Das Schöne an der Sache ist: Es geht auch nicht ohne mich. Du musst einen Kicker haben, der dir die Dinger reinhaut“, sagt er. Finke tut genau das. „Du wirst als Kicker immer ein bisschen belächelt, weil du eben nur gegen den Ball trittst, keinen Körperkontakt hast. Da kriegst du ab und zu ein blödes Wort. Aber das ist eben so, das muss man annehmen“, unterstreicht er. Finke fühlt sich dennoch pudelwohl. „Ich bin trotz meiner Sonderstellung ein Teamspieler, versuche, alle zu unterstützen. Ich will, dass das Team gut ist und auf jeder Position das Beste aus sich herausholt“, sagt er.

Finke hat in dieser Hinsicht mittlerweile ein ziemlich dickes Fell. Das hat auch mit seiner Fußballkarriere zu tun. Bei Budissa Bautzen durchlief er alle Jugendmannschaften und war immer der mit dem besten Torriecher. Bei Dynamo Dresden fiel er bei einem Probetraining in der B-Jugend durch. „Man sagte mir, mein Körperbau sei nicht angemessen für den Fußball“, blickt Finke zurück, der sich auf mittlerweile knapp 110 Kilogramm Körpergewicht hochtrainiert hat. „Ich bin oft angeeckt, weil ich auch jederzeit das offene Gespräch gesucht habe“, sagt Finke.

Nach seinem Abitur zog es ihn aus seiner Heimat nach Dresden. Dort hinterließ er beim Probetraining der DSC-Fußballer keinen bleibenden Eindruck und schaute stattdessen vor drei Jahren auf die Homepage der Dresden Monarchs. Die luden just vier Tage darauf zum Try out, zum Probetraining, ein. Finke wurde für tauglich befunden, zunächst für die Positionen Line-backer und Kicker. Als sich der damalige Stammkicker Jan Hilgenfeldt nach Braunschweig verabschiedete, war der Außenseiter-Posten plötzlich vakant und Finke einer der Kandidaten. „Am 11. April habe ich das erste Mal gekickt, am 1. Mai das erste Spiel gemacht“, sagt der angehende Student für Sozialpädagogik. Ein unvergessliches Erlebnis, weil er weder Regeln noch Abläufe kannte. „Wir hatten einen Touchdown – und wer fehlte? Ich“, sagt Finke lachend. „Nachdem mich der Trainer angeschrien hatte, dass ich aufs Feld muss, habe ich noch meine Platte vergessen und den Kick versemmelt.“ Heute hält Finke eines seiner zwei Hilfsmittel, Kicking Tee und Fieldgoal-Plate, während eines Pflichtspiels immer in einer Hand.

Vielmehr hat er seine Abläufe weitestgehend in Eigenregie zunehmend perfektioniert. Leder-Ei positionieren, drei Schritte zurück, zwei zur Seite, den richtigen Schusswinkel wählen. „Jeder hat andere körperliche Voraussetzungen, du musst etwa 1 000 Kicks machen, um zu wissen, wo du dich am besten hinstellst. Du musst diesen Ablauf perfektionieren“, sagt Finke. Gemeinsam mit Snapper und Holder hat er diese Momentaufnahme auf 1,3 Sekunden verkürzt. „In der NFL ist die Durchschnittszeit 1,25 bis 1,3 Sekunden für diesen Kick. Da sind wir schon ganz gut“, sagt Finke, der ganz leise den Traum von einem Angebot aus der US-amerikanischen Profiliga hegt. In Dresden kickt er zum Nulltarif und findet das okay.

Dass er seine große Hoffnung wahr machen kann, klingt unwahrscheinlich. Doch der Wille zu außergewöhnlichen Leistungen ist bei dem jungen Kerl mehr als offensichtlich. Noch vor fünf Jahren wusste niemand, ob Finke je wieder richtig gesund werden würde. Nach einem schweren Unfall mit seinem Moped lag der damals 17-Jährige eine Woche im Koma, mit etlichen Rippenbrüchen und einem Schädelhirntrauma. Am unteren Rückenbereich fehlen seither die üblichen Querfortsätze an der Lendenwirbelsäule. „Eigentlich dürfte ich heute gar nicht hier sitzen“, sagt er.