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Der Zahnarzt bleibt im Dorf

Der Riesaer Alexander Stump kam auf Umwegen zur Zahnmedizin. Er hat sich einen Traum erfüllt. Einen anderen hat er begraben.

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© Sebastian Schultz

Von Jürgen Müller

Stauchitz. Kann man sich in einer Zahnarztpraxis, auf dem Patientenstuhl wohlfühlen? Die meisten Menschen werden das wohl verneinen, sehen eine Zahnarztpraxis lieber von außen. Doch, man kann, sagt Alexander Stump. Zumindest versucht der Riesaer, es seinen Patienten so angenehm wie möglich zu machen in seiner vor zwei Wochen eröffneten neuen Praxis in der ehemaligen „Alten Post“. Die Wände sind hellgrün und freundlich gestaltet, daran hängen Blumenmotive, außergewöhnlich sind die Fußböden in den Behandlungszimmern. Sie sind aus gegossenem Polyäthylen gefertigt, haben kunstvolle Muster. „Die Patienten finden es interessant. Es gibt keine Fugen, es rollt sich auf diesen Fußböden ganz sanft“, sagt der 46-Jährige.

Dass er noch in Stauchitz ist, wo er seit eineinhalb Jahren eine eigene Zahnarztpraxis an der Riesaer Straße betrieb, ist vor allem der Gemeinde zu verdanken. Denn das Haus, in dem sich seine alte Praxis befand, wurde verkauft, er bekam keinen neuen Mietvertrag. Aber auch sonst wären umfangreiche Umbauarbeiten nötig gewesen. „Die Praxis entsprach nicht mehr den heutigen hygienischen Anforderungen“, so Alexander Stump.

Um den Zahnarzt zu halten, baute die Gemeinde in der früheren Gaststätte „Alte Post“ Räume aus und um, nahm dabei viel Geld in die Hand. Insgesamt eine Viertelmillion Euro kosteten die Umbauarbeiten einschließlich des Abrisses von Nebengebäuden, dem Bau von Parkplätzen und eines Rastplatzes am Jahnatalwanderweg, der allerdings noch nicht fertig ist. „Wir wollten den Zahnarzt unbedingt in Stauchitz halten. Ohne die 75-prozentige Förderung aus dem Programm Vitale Ortskerne hätten wir die Investition aber nicht stemmen können“, sagt Bürgermeister Frank Seifert (parteilos). Mehr als 56 000 Euro musste Stauchitz selbst bezahlen. Damit ist nun aus der „Alten Post“ eine Art Ärztehaus entstanden. Neben der Hausärztin Kerstin Neumann befindet sich dort auch eine Physiotherapie. „Eine Apotheke wäre nicht schlecht, aber da haben wir wohl als kleine Gemeinde kaum eine Chance“, so der Bürgermeister.

Klar ist, ohne die neue Praxis wäre der Zahnarzt weg gewesen. „Ich hatte mich schon in der Umgebung von Riesa umgeschaut“, sagt Alexander Stump, dessen Frau Sandra die Praxis managt. Außerdem sind vier Zahnarzthelferinnen angestellt.

Auf 148 Quadratmetern verteilen sich jetzt drei Behandlungszimmer, Sterilisationsraum, Röntgenraum, Wartezimmer, Büro und Küche. Zuvor waren es etwa 90 Quadratmeter. Nahezu die gesamte medizinische Ausstattung ist neu. „Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich einmal so viel Geld in die Hand nehmen muss“, sagt der Zahnarzt, der aus Riesa stammt. Sein Berufsweg war alles andere als vorgehzeichnet. Er durfte kein Abitur machen, lernte den Beruf eines Landwirts. „Ich habe alles mitgemacht, im Stall und auf dem Feld gearbeitet“, sagt er. Er sei Landwirt mit Leib und Seele gewesen. Diese Erfahrung habe ihn geprägt, helfe ihm heute ungemein. „Wenn man selbst erlebt hat, wie schwer viele Menschen arbeiten müssen, schützt das davor, abgehoben zu werden. Da bleibst du auf dem Boden, siehst dich nicht als kleinen Gott“, sagt er. Nach der Lehre will er Landwirtschaft studieren, holt auf dem Agrarwirtschaftlichen Gymnasium das Abitur nach. Mit ihm seine damalige Freundin. Deren Eltern sind beide Zahnärzte. Er schnuppert rein in die Branche und entscheidet sich ebenfalls für ein Studium der Zahnmedizin. Leicht hat er es nicht. „Ich musste mein Studium selbst finanzieren, bekam kein Bafög. Das hieß, Nachtschicht, dann rein in die Vorlesung und abends wieder ab zur Nachtschicht. Manchmal habe ich mich gefragt, warum ich mir das antue“, sagt er rückblickend. Doch er hält durch, arbeitet als angestellter Zahnarzt in Praxen in Oschatz und Großenhain. Dort lernt er seine jetzige Frau kennen. „Die habe ich einfach mitgenommen, als das Angebot kam, in Stauchitz eine eigene Praxis zu eröffnen“, sagt er und lacht. Die Praxis nennt er sein „zweites Zuhause“, Zehn bis zwölf Stunden arbeitet er täglich, hat ungefähr 1 700 Patienten. „Es wäre Arbeit für zwei Zahnärzte da, aber es findet sich niemand“, sagt er. Doch, zwei Bewerber gab es, einen Franzosen und einen Türken. Doch beide sprachen kein Deutsch. Für ihn ein Ausschlusskriterium.

Alexander Stump ist ein Mann klarer Worte. „Ich rede mit den Patienten Klartext, sage ihnen die Wahrheit, auch wenn die manchmal unangenehm ist“, sagt er. Das kommt nicht bei jedem gut an.

Mit der neuen Praxis hat er sich einen Traum erfüllt. Einen anderen hat er längst begraben. „Ursprünglich hatte ich vor, nach Norwegen auszuwandern. Weil ich die Natur liebe, vor allem aber wegen der ausufernden Bürokratie in Deutschland“, sagt er. Mit der muss er sich nun rumschlagen. In der Natur ist er mit seiner Frau und den zwei Kindern so oft es geht. Er ist aktiver Kanupolosportler beim SC Riesa, trainiert im Waldbad Glaubitz. Seinen Arbeitsweg von Riesa nach Stauchitz legt er bei entsprechendem Wetter mit dem Fahrrad zurück. In Riesa wohnt er zur Miete, ein eigens Haus ist vorerst kein Thema. Wer weiß, vielleicht später mal. Eines aber ist sicher. Die Stauchitzer haben auf lange Sicht einen Zahnarzt im Ort.