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Der Ur-Einwohner

Kobeln gehört zu den kleinsten Ortsteilen der Gemeinde. Eberhardt Pursch hat dort fast sein gesamtes Leben verbracht.

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© Sebastian Schultz

Von Jürgen Müller

Hirschstein. Ein Lkw donnert am Haus von Eberhardt Pursch vorbei, kurz danach folgen ein Mähdrescher und ein Traktor. Eine Unterhaltung ist nicht möglich, denn das Haus liegt unmittelbar an der viel befahrenen Straße zwischen Wölkisch und Heyda. Der 84-Jährige nimmt es gelassen. „An den Lärm gewöhnt man sich irgendwann“, sagt er. Wann genau das bei ihm der Fall war, kann er nicht mehr genau sagen. Fast sein gesamtes Leben hat der Mann, der hier geboren wurde, in Kobeln, in seinem Geburtshaus und seinem Elternhaus, verbracht. Er ist „Ureinwohner“, kennt fast jeden, jede Ecke, jeden Stein. Gemeinsam mit Ehefrau Lieselotte und mit seinem jüngsten Sohn Gerald (48) lebt er in dem Haus, das 1897 gebaut wurde und das sein Großvater kaufte, nachdem der vorherige Eigentümer – ein Bäcker – pleite gegangen war. Auch der Großvater betrieb dort damals eine Bäckerei. Seit 1941 schon ist sie dicht. Zwar war auch Eberhardt Purschs Vater Bäcker, arbeitete aber im Riesaer Stahlwerk, nachdem er aus dem Krieg zurückkam.

Kurvenreich ist die Staatsstraße 87 von Riesa in Richtung Meißen, die sich durch Kobeln zieht. Die Fahrbahn zwischen Kobeln und Wölkisch wurde gerade erneuert. Foto:
Kurvenreich ist die Staatsstraße 87 von Riesa in Richtung Meißen, die sich durch Kobeln zieht. Die Fahrbahn zwischen Kobeln und Wölkisch wurde gerade erneuert. Foto: © Sebastian Schultz

Auch Pursch ist gelernter Bäcker, lernte in Nünchritz, arbeitete in Riesa-Poppitz. Dann aber verließ er seine Heimat. Bei einem Besuch bei Verwandten im Jahre 1955 blieb er im Westen. „Ich war jung und ungebunden, wollte Geld verdienen“, sagt er. Arbeitete im Bergbau, unter Tage, verdiente in der Tat viel Geld. Doch sehr lange hielt er es nicht aus. Nach drei Jahren kehrte er nach Kobeln zurück, als „reuiger DDR-Bürger“, sagt er und lacht. Die Heimat und seine Eltern waren ihm wichtiger als das Geldverdienen. Das konnte er auch hier. In seinem erlernten Beruf will er nicht weiterarbeiten, meldet sich im Riesaer Reifenwerk. „Ich war an einem Freitagnachmittag zum Vorstellungsgespräch. Da konnte ich mich gleich umziehen, begann am Nachmittag mit der zweiten Schicht“, erinnert er sich. Bis kurz nach der Wende arbeitete er bei dem einzigen Pkw-Reifen-Hersteller in der DDR. Der Betrieb überlebte zwar, baute aber massiv Personal ab. Ob auch Eberhardt Pursch übernommen worden wäre, weiß er nicht. Er nutzt jedenfalls die damals großzügigen Möglichkeiten, geht in den vorzeitigen Ruhestand. Mit gerade mal etwas mehr als 57 Jahren.

Nach seiner Rückkehr aus dem Westen lernte er seine Lieselotte kennen. 1961 heirateten die beiden, die älteste Tochter war damals schon unterwegs. Später folgten noch zwei Söhne. Das Paar ist nun schon seit 57 Jahren zusammen. „Meine Frau ist eine wunderbare Köchin, das sieht man ja auch“, sagt er und zeigt auf seinen Bauch.

Kobeln

Einwohnerzahl: 83

Häuserzahl: 48

Gründungsjahr: 1378 wurde Kobeln unter dem Namen Kabelow erstmalig urkundlich erwähnt.

Der Bus fährt werktags ab Kobeln 27Mal ab. An den Wochenenden kann man den Bus bis zu sechs Mal bestellen.

Entfernung zum nächsten Bäcker/Lebensmittelladen: Die nächste Bäckerei, eine Filiale von Freddy Krauße aus Riesa, liegt Luftlinie rund zwei Kilometer entfernt in Prausitz.

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Eberhardt Pursch fühlt sich wohl in Kobeln, hier will er bleiben. Ein Umzug in ein Altenheim steht für ihn nicht zur Debatte. „So lange es gesundheitlich geht, möchte ich hier wohnen bleiben“, sagt er. In die Stadt zu ziehen, könnte er sich nie vorstellen. „Hier bei uns auf dem Dorf gibt es immer noch einen guten Zusammenhalt. Jeder kennt jeden, einer hilft dem anderen, das ist doch gar keine Frage“, sagt er. Anderes ärgert ihn schon. Früher gab es in dem Ort mal einen Bäcker, einen Fleischer, sogar eine Tischlerei. Nichts davon ist geblieben. Zum Einkaufen müssen die Purschs nach Riesa fahren, vorbei an seiner alten Schule in Heyda, die längst keine Schule mehr ist. Heute hat dort die Feuerwehr Heyda ihren Standort. Andererseits bietet die Nähe zu Riesa, das keine zehn Autominuten entfernt ist, auch Vorteile. So ist man schnell in der Stadt.

Dass sich die Familie in Kobeln wohlfühlt, sieht man auch am Vorgarten. Jedes Jahr steht dort ein Osterbrunnen. „Den basteln die Frauen aus dem Dorf“, sagt der 84-Jährige. Jetzt wurde der Brunnen abgelöst von einer großen Windmühle. Ein Arbeitskollege hat sie ihm mal gebaut. „So wollen auch wir ein bisschen dazu beitragen, dass es im Dorf schön und lebenswert ist“, sagt der Kobelner, der stolz ist auf seine Kaninchen. Er hält einen Bock und eine Häsin, die in diesem Jahr neun Junge hat. „Das ist mein Hobby“, sagt er und strahlt über das ganze Gesicht.

Derweil werkelt Sohn Gerald am Haus. Da gibt es immer was zu tun. Derzeit wird die Fassade geputzt. Auch sie wird bald ein freundlicheres Aussehen haben. Erahnen kann man das schon am Vorhaus. Das ist jetzt gelb gestrichen, so wie das ganze Haus bald aussehen wird.

Eberhardt Pursch jedenfalls fühlt sich wohl in dem Ort, so wie wohl die meisten der 88 Einwohner. „Sonst wäre ich doch damals nicht zurückgekehrt“, sagt er.