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Der Unruheherd

Der Marienplatz ist aktuell wieder Görlitz’ Problemplatz Nummer eins – vielen Bemühungen um Entschärfung zum Trotz.

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© nikolaischmidt.de

Von Daniela Pfeiffer

Zurzeit kommen sie wöchentlich: die Meldungen darüber, was wieder am Marienplatz vorgefallen ist – wen die Polizei wieder festnehmen musste. Erst in der Nacht zum Montag war es ein mutmaßlichen Drogendealer. Ein 20-jähriger Syrer, in dessen Kleidung die Beamten Marihuana und ein Messer fanden.

Kein ungewohntes Bild: Auf dem Marienplatz muss vor allem in den Sommermonaten öfter die Polizei anrücken. Meist sind es Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen verschiedener Nationen – nicht selten ist auch Alkohol im Spiel.
Kein ungewohntes Bild: Auf dem Marienplatz muss vor allem in den Sommermonaten öfter die Polizei anrücken. Meist sind es Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen verschiedener Nationen – nicht selten ist auch Alkohol im Spiel. © Matthias Wehnert

Typischer für die Sommermonate sind aber eher Pöbeleien und Schlägereien. Ende Juni etwa gab es eine Auseinandersetzung zwischen einem 17-jährigen Libanesen, der ein Messer zückt und einem 33-jährigen Görlitzer. Wenn Asylbewerber auch nicht an jedem Streit beteiligt sind – es gibt die Konflikte auch zwischen Deutschen und Polen – so sind sie es doch oft. Mitte Juni rückte die Polizei zum Beispiel auf dem Marienplatz an, weil es zu lautstarkem Streit zwischen drei jungen Asylbewerbern gekommen war. Nur wenige Tage danach musste die Polizei erneut eingreifen: Diesmal prügelten sich angetrunkene Polen, Deutsche und Asylbewerber miteinander. Eine betrunkene Polin wurde dabei mit einer Flasche verletzt.

Es sind diese Schlagzeilen, die immer wieder die schönen, bunten und vor allem friedlichen Bilder in den Hintergrund treten lassen – solche, die beim Straßentheater, bei der Aktionswoche gegen Depressionen oder bald auch wieder beim Altstadtfest zu sehen sind. Und es ist eben auch immer wieder der Marienplatz, der neben weiteren sogenannten Problemplätzen im Stadtgebiet derjenige ist, der offenbar das größte Konfliktpotenzial birgt.

Entsprechend wird jeder neue Polizeieinsatz in den sozialen Netzwerken hoch und runter diskutiert. Joachim Trauboth etwa, der Mann vom Willkommensbündnis, erklärt bei Facebook die Lage so: Inzwischen hat sich rumgesprochen, dass es sich auf dem Marienplatz recht gut „feiern“ lässt. Es wäre vereinfachend, die negativen Vorfälle den Asylanten anzulasten. Dort ist ein internationales Problem, welches auch deutsche und polnische Bürger mit zu verantworten haben. Genährt wird dieses Problem von Alkohol, Unterbeschäftigung, gegenseitigen Provokationen, pubertärem Aggressionspotenzial und fehlendem Intellekt. Platzverweise und Festnahmen durch die Polizei sind längst nicht ausreichend.“ Trauboth spricht auch das Thema Sozialarbeit an: „Ich kann mich daran erinnern, dass im vergangenen Jahr Streetworker in Aussicht gestellt wurden, die zur Entspannung der Situation beitragen sollten. Ich habe davon bisher noch nichts gesehen.“

Doch sie sind da. Schon lange und regelmäßig. Einer von ihnen ist Jens Dziony von der stadtweiten mobilen Jugendarbeit des ASB. Auch er findet die Konflikte auf dem Marienplatz „bedenklich“, kann aber andererseits Erfolge vorweisen. Vor allem mit Sportangeboten – allem voran Fußball – habe man schon etliche junge Ausländer erreichen können. Ob es nun die seien, die auch schon in Konflikte verwickelt waren, lasse sich nur schwer sagen. Die Fluktuation sei hoch, auf den Plätzen tauchen immer wieder neue Gesichter auf. „Es sind natürlich auch junge Erwachsene dabei, die unsere Angebote nicht nutzen“, sagt Dziony. Die sportlichen Sachen konzentrieren sich zurzeit allerdings eher auf den Wilhelmsplatz. Zusammen mit dem esta e.V. ist Dziony hier jeden Donnerstag zwischen 16 und 18 Uhr. „Fürs Sportliche war der Marienplatz eher ungeeignet, weil dort eine starke Mobilität ist, viele passieren den Platz auf dem Weg in die Altstadt oder zurück.“ Neben dem Wilhelmsplatz stehen aktuell Sechsstädteplatz und Sattigplatz im Fokus, je nachdem, wo gerade die Brennpunkte sind. Der Marienplatz ist jedenfalls ein dauerhafter Brennpunkt. Er spielt deshalb immer eine Rolle, wenn Sebastian Kubasch im Rathaus den Arbeitskreis öffentlicher Raum am Tisch hat. Kubasch, der Sachgebietsleiter Familie und Soziales ist, sagt, er befasse sich schon seit 2011 mit dem Thema. Er war es, der den Arbeitskreis ins Leben gerufen hat. Streetworker kommen hier mit Stadtverwaltung, Polizei und Ordnungsamt zusammen. Ziel ist eine Vernetzung aller. Der Arbeitskreis beschäftigt sich jedoch nicht nur mit dem Marienplatz, sondern mit allen öffentlichen Plätzen in Görlitz. Da werden auch Fragen diskutiert wie: Reicht die Polizeipräsenz auf Problemplätzen? „Aus Sicht des Arbeitskreises schon“, sagt Kubasch. „Polizei und Bürgerpolizisten sind schon präsent.“

Die Chefin des Ordnungsamtes, Silvia Queck-Hänel, lobt die Zusammenarbeit der Behörden. So gibt es unter anderem gemeinsame Streifen mit der Polizei oder gezielte gemeinsame Jugendschutzkontrollen mit Jugend-, Ordnungsamt und Polizei. Zudem spricht das Ordnungsamt Aufenthaltsverbote aus, wenn nötig. Neben dem Arbeitskreis gebe es auch die monatliche Sicherheitsberatung mit Bundes-, Landespolizei, Zoll, Feuerwehr, Ordnungsamt und Straßenverkehrsbehörde.

Und dennoch kommt es immer wieder zu Ärger. Ein Patentrezept gebe es eben nicht, sagt Sebastian Kubasch. Die Streetworker lobt er, sie fangen einen gewissen Teil schon ab, aber es habe eben alles seine Grenzen. „Es gibt tolle Angebote und Ideen, aber nichts, was Konflikte komplett verhindern kann“, sagt Kubasch.

OB Siegfried Deinege ist zu dem Thema mit dem Landkreis im Gespräch. „Für die Sozialarbeit vor Ort ist der Landkreis zuständig, als Stadt finanzieren wir eine halbe Stelle mit“, erklärt er. „Ziel muss es sein, dass zivilgesellschaftliche Engagement zu fördern. Ein hartes polizeiliches Durchgreifen vor Ort mag für kurze Zeit wirken, jedoch führt dies in der Regel zu Problemverlagerungen.“ Genau dieses zivilgesellschaftliche Engagement will ein junger Mann beweisen, der vor einem Jahr von Bonn nach Görlitz kam: Patryk Kowalik will in der neuen Heimatstadt eine Bürgerwehr gründen. Der 19-Jährige will Bundespolizist werden, noch ist er nicht so weit, möchte aber trotzdem schon etwas für die Sicherheit tun. Er habe selbst schon viel „mit den falschen Leuten“ zu tun gehabt, um Drogen und Alkohol sei es gegangen. Von denen habe er sich komplett losgesagt, weiß aber um deren negatives Potenzial. „Ich beobachte oft, dass abends die Stadt wie leer gefegt ist“, sagt der gebürtige Pole. Er will sich im Rathaus erkundigen, ob eine Bürgerwehr von dort Unterstützung erfahren würde. Auch mit Sebastian Wenger, der sich ebenfalls eine sichere Innenstadt auf die Fahnen geschrieben hat, will er sich in Verbindung setzen. „Ich möchte einfach, dass die Leute abends wieder ohne Angst ihre Runde mit dem Hund gehen können“, sagt Kowalik. Die Polizei werde so oft zu Bagatellen gerufen, dabei habe sie doch wichtigeres zu tun. Solche kleinen Reibereien schlichten – darin sähe er den Sinn einer Bürgerwehr. Der Marienplatz wäre einer der ersten Orte, wo er ansetzen würde.

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