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Der Robin Hood von Prohlis

Menschen aus Plattenbausiedlungen mögen kein Theater? Das Kulturzentrum „Kiez“ bringt seit einem Jahr Kultur nach Prohlis. Und beweist allen das Gegenteil.

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© Robert Michael

Von Emeli Glaser

Die Menschen am Pusteblumenbrunnen in Prohlis sind wahnsinnig kommunikativ. Wenn man sich die Info-Tafel auf dem Albert-Wolf-Platz über den dort seit 1970 befindlichen Brunnen durchliest, wird man verwundert beäugt. „Interessierst du dich für die Geschichte von Prohlis?“ fragt eine Frau ungläubig. Ein Mann mit Tattoo am Hals witzelt: „Dann musst du die da fragen,“ er zeigt auf eine Gruppe am Brunnenrand, „die sind immer hier.“

Im Herzen des oft als „Problembezirk“ betitelten Prohlis wird neben den wasserspeienden Pusteblumen ab 23. August ein großes Zelt stehen. Kunst und Kultur kommen für mehrere Wochen im Rahmen des ersten Prohliser Theatersommers in die Plattenbausiedlung. Das wahre Kultur-Hauptquartier des Stadtteils liegt aber ein paar Meter weiter am Jakob-Winter-Platz. Durch Wohnungsblocks, vorbei an den Spielotheken Joker und El-Dorado, ist das Einkaufszentrum. Dort empfangen einen die Worte „Zu Hause in Prohlis“. Dahinter verbirgt sich kein Euro-Laden oder Eiscafé, es ist der Slogan des „Kiez“.

Lehrstunden mit „Musaik“

Das Kulturzentrum „Kiez“ wurde vor etwa einem Jahr vom Societaetstheater in der Neustadt und dem Quartiersmanagement Prohlis gegründet. Hier können Prohliser das ganze Jahr an kostenlosen Veranstaltungen teilnehmen, die im Theatersommer gipfeln. Beim Vorbeigehen an dem offenen Raum kann man regelmäßig wirbelnde Tangotänzer sehen oder Kinder, die konzentriert Gutenachtgeschichten lauschen.

Projekte der zahreichen Partner nehmen immer weiter zu. Mit „Musaik“ können Kinder Instrumente lernen, die sie nicht zu Hause haben. Es werden langsam zu viele für den Raum. Ansonsten gibt es Filmreihen, Tanzkurse, Erzähl-Workshops. Etwa die Hälfte der regulären Veranstaltungen kommt inzwischen von Prohliser Vereinen und Initiativen.

Die Idee kommt vom Societaetstheater. In Prohlis will man Menschen erreichen, die sich abgehängt fühlen. Die es sich vielleicht nicht leisten können, ins Theater in die Neustadt zu fahren. Anfängliches Misstrauen ist dabei nicht auszuschließen.

„Wenn man aber eine Sprache findet, kann man vieles aufbrechen, auch Vorurteile“, sagt Andreas Nattermann, künstlerischer Leiter des Theaters. Zum Beispiel beim Tischtheater: Zwei Dramaturgen zogen umher, befragten Leute überall im Stadtteil zu ihren Sorgen. Schauspieler erarbeiteten darauf kurze Szenen. Dann saß man mit den Zuschauern um einen Tisch, jeder sollte danach mitdiskutieren. Dabei prallen manchmal Grundsätze aufeinander. Inzwischen Tischtheater-Klassiker geworden ist „Der Robin Hood von Prohlis“, der wieder beim Theatersommer zu sehen sein wird. An solche Veranstaltungen mussten sich die Leute erst gewöhnen: „Erst kommt Skepsis, dann sind Leute bereit, auf einen zuzugehen“, sagt Andreas Nattermann.

Man kann sich schnell selbst überzeugen: Das „Kiez“ wirkt eher wie ein Wohnzimmer als ein isolierter Kunstraum. Schon nach den ersten Minuten zum Gespräch im „Kiez“ tritt der über 80-jährige Herr Schuller ein, um einen Plausch zu halten. Seine Naturfotografien hängen an den Wänden. Der Prohliser ist selbst auf das „Kiez“ aufmerksam geworden und wollte hier ausstellen. Wenig später kommt eine Anwohnerin herein und schüttelt jedem einmal die Hand. „Genauso läuft das hier“, sagt Nattermann. Fremde und Bekannte kommen vorbei, um Hallo zu sagen. Einige Passanten spähen neugierig durch die Scheiben, lesen konzentriert die Flyer oder winken: Verschlossen sieht anders aus.

Dass das „Kiez“ in Prohlis angekommen ist, beobachtet Robert Lewetzky. Er ist vor Ort das Bindeglied zwischen Quartiersmanagement und Societaetstheater. „Es gibt eine Vielzahl von Anfragen aus verschiedenen Ecken“, stellt er fest. Nicht nur lokale Vereine und Initiativen wollen zum Programm beitragen, sondern auch zunehmend welche aus anderen Teilen der Stadt.

Stadtaufnahmen von Ernst Hirsch

Das zeigt, wie wichtig ein richtiges Zentrum für Kulturarbeit ist: „Wenn es die Räume nicht gäbe, könnte vieles nicht zustande kommen“, sagt Katrin Lindner, Vorsitzende des Stadtteilbüros. Freiraum ist auch in Prohlis immer schwerer zu finden, denn die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum wächst.

Das Programm beim Theatersommer ist vielfältig. Die Mitsingzentrale veranstaltet „betreutes Singen“ quer durch die Popgeschichte. Geschichtenerzähler aus dem Viertel zeigen dem Publikum, was sie über die letzten Monate im „Kiez“ bei Erzählworkshops gelernt haben. Volker Gerling zeigt „Auf Wanderschaft“, aus zahlreichen Bildern gebastelte Daumenkinos auf eine Leinwand projiziert. Ein weiteres Highlight sind die Filme des bekannten Dresdner Kameramanns Ernst Hirsch. Die alten Stadtaufnahmen versetzen viele Ur-Prohliser in bessere Zeiten zurück: Als es hier Milchbars gab, Weinrestaurants und Galerien.

Das „Kiez“ und der Theatersommer holen diese Lebendigkeit von früher ein Stück wieder nach Prohlis zurück. Die Prohliser werden deshalb sicher gerne ins Zelt kommen. Auch die, die sonst immer am Pusteblumenbrunnenrand sitzen.