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Der Promi in der Provinz

Bodo Rudwaleit hat seine Karriere beim BFC Dynamo beendet, doch bei Stahl Eisenhüttenstadt will er es noch mal wissen.

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© Robert Michael

Von Sven Geisler

Als das System zusammenbricht, steht auch die Stahl-Elf am Scheideweg. In der zweiten Saison in der Oberliga hat Eisenhüttenstadt die Großen nicht nur geärgert, sondern einige hinter sich gelassen. Nicht der Serienmeister aus Berlin oder der Europapokalsieger aus Magdeburg spielen um die Qualifikation zur gesamtdeutschen zweiten Liga, sondern der namenlose Verein aus dem Osten der Republik. Wobei er zumindest einen bekannten Namen in seinen Reihen hat: Bodo Rudwaleit.

Kampfgeist zeichnet die Stahl-Kicker in den hellen Trikots aus, auch gegen den HalleschenFC 1989 holt sich der Aufsteiger aus Eisenhüttenstadt in die DDR-Oberliga einen Punkt beim 2:2. Beinahe hätte Eisenhüttenstadt sogar die Qualifikation für die 2.Bunde
Kampfgeist zeichnet die Stahl-Kicker in den hellen Trikots aus, auch gegen den HalleschenFC 1989 holt sich der Aufsteiger aus Eisenhüttenstadt in die DDR-Oberliga einen Punkt beim 2:2. Beinahe hätte Eisenhüttenstadt sogar die Qualifikation für die 2.Bunde © dpa PA/Hanns-Peter Beyer

Der Nationaltorwart hatte seine Karriere beim BFC Dynamo im Herbst 1989 überraschend beendet; über die Umstände mag er nicht mehr reden. Seine Auszeit dauerte allerdings nur gut zwei Wochen, bis die Anfrage aus Eisenhüttenstadt kam. Stahl war zum zweiten Mal nach 1969 in die höchste Spielklasse der DDR aufgestiegen und wollte diesmal länger bleiben als nur eine Saison. Trainer Günther Reinke suchte also nach Verstärkungen.

Rudwaleit war zunächst keine, das meint der 60-Jährige im Rückblick jedenfalls selbst. „Wenn ich spielen durfte, hatte ich meist einen Fehler drin.“ So bleibt er die Nummer zwei hinter Andreas Hawa, aber genau diese Herausforderung ist es, die ihn neu motiviert. „Ich wollte es mir und allen anderen noch mal beweisen.“ Dabei kommt ihm die alte Rivalität der Ost-Berliner Vereine zugute, denn Co-Trainer Klaus-Dieter Helbig, der für die Torhüter zuständig ist, ist ein Unioner. „Der hat mich besonders hart rangenommen, wollte mich vielleicht provozieren“, erzählt Rudwaleit. „Aber das war ein Fehler. Ich dachte: Du kriegst mich nicht kaputt! Das war in jedem Training, bei jeder Übung mein extra Anreiz.“

Stahl hält die Klasse, der prominente Schlussmann steht aber nur in fünf Spielen im Tor. Doch in der Vorbereitung im Sommer bringt er sich wieder in Bestform. „Die haben im Training keinen Ball mehr bei mir reingekriegt. Es gab kein Tor mehr – Schluss!“ Stahl hat eine gestandene Truppe, zudem kehrt im zweiten Jahr mit Steffen Menze einer vom FC Vorwärts Frankfurt/Oder zurück, der im eigenen Nachwuchs ausgebildet worden war. „Ihm habe ich prophezeit: Wenn du dich zusammenreißt, bist du ein super Fußballer“, sagt Rudwaleit: „Er hat’s ja dann bewiesen.“

Menze ist in Plauen geboren und in Eisenhüttenstadt aufgewachsen, weil sein Vater im Stahlwerk arbeitete. „Für uns Jungs gab es dort nicht viele andere Möglichkeiten, als in der Freizeit Fußball zu spielen“, sagt der 49-Jährige. Bis er an die Sportschule delegiert wird, bekommt er bei der BSG ein – wie er betont – außergewöhnlich gutes Grundlagentraining bei außergewöhnlich guten Trainern. „Die Beidfüßigkeit, den Ball mit rechts wie links spielen zu können, hat mir viel gebracht“, sagt Menze, der von März 2011 bis Februar 2014 als Sportdirektor bei Dynamo Dresden tätig war und jetzt Spielerberater ist.

Als Profi hat er 161 Spiele in der 2. Bundesliga bestritten, hielt mit Union Berlin im DFB-Pokalfinale 2001 beim 0:2 gegen Schalke 04 gut dagegen. Für ihn war es bereits die zweite Endspiel-Teilnahme. Denn auch die Außenseiter aus Eisenhüttenstadt hatten es 1991 geschafft, als es die DDR offiziell schon nicht mehr gab, aber der Fußball noch nicht wiedervereinigt war. „Ein Pokalfinale, egal in welchem Land, ist immer ein großes Event und für Spieler die Möglichkeit, ins Rampenlicht zu rücken“, sagt Menze. Hansa Rostock ist der klare Favorit. „Auch wenn die Rollen vorher klar verteilt zu sein schienen, haben wir es lange offengehalten.“ Stahl verliert zwar mit 0:1, darf aber im Europapokal starten, weil Hansa zuvor Meister geworden war.

In den Spielen gegen Galatasaray Istanbul (1:2, 0:3) sind Menze und Rudwaleit schon nicht mehr dabei. Der eine ging mit Trainer Eduard Geyer zum ungarischen Spitzenklub nach Siofok. „Das war keine emotionale Entscheidung, sondern ein logischer Schritt. Ich wollte die Möglichkeiten nutzen, die sich jetzt boten“, sagt Menze. Und auch Rudwaleit konnte das Angebot von Tennis Borussia Berlin nicht ablehnen. „Die Leute von Stahl haben sich wirklich viel Mühe gegeben und wollten noch mal Geld drauf packen. Aber da hat so viel gefehlt, dass ich sagen musste: Tut mir leid, Leute, das muss ich machen.“

Apropos Leute. Rudwaleit wird in der Provinz skeptisch empfangen, schließlich steht besonders er für den ungeliebten BFC Dynamo. „Bodo, Eierkopp“ rufen sie ihn in den Stadien. Er sieht das locker, zumal er seinen Ruf in Eisenhüttenstadt aufpolieren kann. „Zum Schluss haben sie mir zugejubelt. Mit Leistung kannst du die Zuschauer auf deine Seite ziehen.“ Die Zeit bei Stahl hat in seinen Erinnerungen einen Ehrenplatz, was vor allem am Klima in der Truppe liegt. „Das war für mich eine unglaubliche Erfahrung, Wahnsinn! Wie uneitel und ehrlich alle waren – das kannte ich gar nicht mehr“, sagt Rudwaleit.

Mit vier anderen Berlinern pendelt er fast täglich. „Das war eine chaotische Strecke, damals gab es keine Leitplanken an der Landstraße. Was wir für Unfälle gesehen haben!“ Trotzdem kann auch er der Versuchung nicht widerstehen. „Ich hatte erst ein Jahr vorher einen Lada Niva bekommen, also: Nicht etwa geschenkt, bezahlt haben wir natürlich. Aber wenn du deine Leistung gebracht hast, konntest du beim BFC so aller drei Jahre ein neues Auto bestellen“, erzählt er.


Mit der Wende locken plötzlich andere Modelle und vor allem PS-Zahlen. Rudwaleit gibt den Lada in Zahlung. „Ich hatte 36 000 Ost-Mark bezahlt, 2 000 West hat er angerechnet.“ Für den gebrauchten 280er Mercedes muss er 5 000 D-Mark drauflegen, das neue Fahrerlebnis ist es ihm wert. „Der ist abgegangen wie eine Rakete. Wenn du das Gaspedal durchgetreten hast, kam der vorn hoch, und dich hat es in den Sitz gedrückt.“ Für die Strecke brauchten sie sonst gut eine Stunde, bei der ersten Ausfahrt mit dem neuen Wagen nur 40 Minuten.

Eisenhüttenstadt verpasste 1991 nur knapp den Platz im gesamtdeutschen Profi-Fußball, Lok Leipzig setzte sich in der Relegation durch. Die Saison bleibt der Höhepunkt in der Vereinsgeschichte – zumindest für die Fußballer. Die hatten sich mit der Wende vom Stammverein gelöst und stecken als FC Stahl derzeit in der Brandenburgliga im Abstiegskampf. Die BSG Stahl gibt es immer noch mit 13 Abteilungen.

Ende der Serie. Vorher erschienen: Wismut Aue (29.5.), Vorwärts Stralsund (30.5.), Sachsenring Zwickau (31.5.), Lok Stendal (1.6.), Motor Suhl (2. 6.), Wismut Gera (4.6.).