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Der Mann, der die Pizza nach Dresden brachte

Giuseppe Gagliardi verlor als Geschäftsmann Millionen und rappelte sich wieder auf. Nun feiert er mal wieder Jubiläum.

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© Marion Doering

Von Henry Berndt

Am Anfang war Salami und Schinken. Mit diesen Belägen verkaufte Giuseppe Gagliardi ab 1990 an seinem Imbiss an der Zwinglistraße seine Pizza – als erster Gastronom in Dresden. Bereits 1968 war er aus Kampanien im Südwesten Italiens als Schausteller nach Westdeutschland gekommen, bevor es ihn mit der Wende nach Sachsen verschlug.

Anfang der 90er bewirtete er auf der Zwinglistraße bis zu 1200 Gäste am Tag.
Anfang der 90er bewirtete er auf der Zwinglistraße bis zu 1200 Gäste am Tag. © privat

Zunächst war die potenzielle Kundschaft skeptisch, erinnert er sich. Seine Pizza war den meisten zu teuer und zu scharf. Tomatensoße hieß für den gelernten DDR-Bürger schließlich Ketchup. Doch schon bald kamen die Dresdner auf den Geschmack, und die Schlange vor dem Imbiss wurde immer länger. Nach und nach verliebte sich auch Gagliardi in die Stadt, die ihn ganz am Anfang noch im wahrsten Sinne gestunken hatte. „Bei meinen ersten Fahrten habe ich wegen der vielen Trabants kaum Luft bekommen und hatte für den Notfall immer einen Apfel dabei, an dem ich gerochen habe.“

Längst sind diese Zeiten vergessen, auch wenn er seinen sensiblen Geruchssinn nie verloren hat. „Dresden ist wie eine Person für mich“, sagt er. „Ein Kind, das mit der Zeit groß geworden ist. Privat hätte mir nichts Besseres passieren können.“ Mit seiner gesamten Großfamilie, darunter sechs Enkeln, wohnt er in einem Haus an jener Zwinglistraße, auf der alles seinen Anfang nahm. Beruflich hat Gagliardi in Dresden schon Dinge erlebt, die locker in drei Berufskarrieren passen würden. Und immer noch schreibt er fleißig neue Kapitel hinzu. Erst vor drei Jahren bewarb er sich kurzzeitig sogar für den Luisenhof. Zumindest dieses Kapitel blieb ungeschrieben.

„Die Bäuerin“ hat es allen gezeigt

Inzwischen ist er 68 Jahre alt, aber weit davon entfernt, das Pizzabacken anderen zu überlassen – auch wenn inzwischen offiziell seine Kinder Gennaro und Teresa die Firma führen. Noch immer hat Gagliardi senior dieses gewinnende Lächeln auf den Lippen, das dir sagt: „Probiere meine Pizza. Du wirst es nicht bereuen.“ Gerade feiert seine Filiale an der Reisewitzer Straße ihren 20. Geburtstag. Er hat sie „La Contadina“ getauft, „Die Bäuerin“. Irgendwie passte das für ihn zu dem Viertel. Anfangs hätten ihn noch viele gewarnt, dass in Löbtau nichts zu holen sei. Längst aber müssen auch seine größten Kritiker abends einen Tisch vorbestellen, wenn Sie bei ihm essen wollen.

Auf der Speisekarte findet sich auch die Pizza „Sächsische Art“ – mit Würzfleisch und Worcestersauce. Eine kulinarische Würdigung an seine zweite Heimat. „Ich wollte nie so arrogant sein und den Leuten erklären, was sie jetzt zu essen haben“, sagt er. Die Ausstattung der Gasträume hat der Chef persönlich gestalten lassen. Von der Lampe bis zum letzten Stuhl.

So war das immer schon. In allen 16 Restaurants, die er in Dresden schon führte. 1991 zog Gagliardi aus seinem Imbiss in der Zwinglistraße aus und ins ehemalige Eiscafé Iglu ein. Im „Il Giardino“, dem „Garten“, beschäftigte er zeitweise mehr als 40 Mitarbeiter. 350 Sitzplätze gab es hier. Bis zu 1 200 Gäste am Tag wurden bedient. Die Biedenkopfs sollen mehrmals in der Woche da gewesen sein. „Wir machten vier Millionen Mark Umsatz im Jahr“, sagt Gagliardi. Doch schon ab Mitte der 90er zogen dunkle Wolken über seinem Pizzaofen auf. Viele westdeutsche Geschäftsleute, die seine Stammkunden waren, zogen weg. In der Nachbarschaft eröffnete das Seidnitz Center. Als ihm auch noch eine Baustelle vor seinem Restaurant die Parkplätze nahm, ging sein Geschäft endgültig den Bach runter. Im Januar 1999 meldete er Insolvenz an. „Ich hatte Millionen und habe alles verloren“, sagt er. Gagliardi bekam Depressionen, ist seit dieser Zeit medikamentenabhängig. Bis heute. Doch seine Kinder hätten ihm gesagt: „Papa, mach weiter!“ Und das machte er. So schnell lässt sich ein stolzer Italiener nicht unterkriegen. „So ist das Leben nun mal. Es geht auf und ab und auf und ab.“ Und jetzt ist wieder „auf“ dran.

Gagliardi eröffnete neue Restaurants in Dresden, und hatte als Geschäftsmann auch keine Skrupel, sie wieder zu schließen, wenn er sich nicht mit den Vermietern einigen konnte. Selbst blieb er immer seinem Stil treu. Ein Großteil seiner Zutaten importiert er direkt aus Italien. Zu Hause besitzt seine Familie selbst noch eine Olivenbaum-Plantage, von wo aus sie ihr eigenes Olivenöl produziert.

Pizza ist für Giuseppe Gagliardi nie Fast Food gewesen. Seit den 90ern habe sich der Geschmack seiner Kunden sehr verändert. Was anfangs noch viel zu scharf war, würde heute eher als lasch gelten. Und zu lasch sei immer problematisch. Besonders angesagte Pizzabeläge seien im Jahr 2018 gegrilltes Gemüse, Kürbis und Trüffel. „Meine Köche sollen sich immer wieder selbst neu erfinden“, sagt Gagliardi. „Wenn da einer ein paar Wochen lang keine neuen Ideen hat, denke ich schon: ‚Was für eine Schlaftablette‘.“ Und zum Schlafen hat Giuseppe Gagliardi noch so gar keine Lust.