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Der Märchenerzähler an der Elbe

Hans Christian Andersen war 1831 an der Elbe unterwegs, fand Meißen unheimlich, aber Dresden einladend, freundlich.

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Von Udo Lemke

Meißen. Der dänische Schriftsteller (1805 - 1875) wurde durch seine Märchen weltbekannt. Zu den bekanntesten zählen „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern“, „Die Prinzessin auf der Erbse“ und „Des Kaisers neue Kleider“. Als 26-Jähriger war Andersen in Sachsen unterwegs, was er u. a. in „Reise nach Dresden über Meißen“ beschrieb.

„Je näher wir Meißen kamen, ein umso mehr romantisches Aussehen bekam die Gegend. Hin und wieder sah man Felsen, mit einem ganz anderen Charakter, als die im Harz. In rotgelben Steinmassen, mit jungen Buchen bewachsen, hingen sie über unsern Häuptern; auf der andern Seite lagen die grünen Weinberge mit den roten Weinbergshäuschen, und unten schlängelte sich die Elbe in malerischen Krümmungen. Schiffe wurden von Menschen und Pferden den Fluß hinaufgezogen‚ während andere mit schwellenden Segeln stromabwärts fuhren.

Meißen selbst hat enge Straßen und sah mir recht unheimlich aus; man muß es hier wie mit jedem schönen Gemälde machen, die Augen nicht allzu nahe daran halten. Der Dom ist ein herrliches, gotisches Gebäude. Die Sonne schien in die hohen Fenster hinein, wo ein kleiner Vogel, der sich verirrt hatte, umherflatterte und mit den Flügeln an die Fensterscheiben schlug, um herauszukommen.

Der Weg von Meißen nach Dresden ist mit Akazien und Birnbäumen bepflanzt; auf den Feldern stehen Kohl und Kartoffeln; es ist darauf etwas zugute zu tun, wie sie gerade dadurch das ganze beleben. Je weiter man sich von hier entfernt, desto höher werden die Berge, und bald sieht man wie durch einen Schleier das deutsche Florenz, Dresden, mit seinen Türmen und Kuppeln vor sich liegen.

Als ich nach der Augustusbrücke kam, die ich schon so gut aus Kupferstichen und Gemälden kannte, kam es mir vor, als ob ich schon früher einmal im Traum hier gewesen wäre. Die Elbe wälzte ihre gelben Wellen unter den stolzen Bogen durch; auf dem Fluß war viel Leben und Treiben, aber weit mehr noch auf der Brücke; auf der Mitte jagten Wagen und Reiter, und auf beiden Seiten ging eine Masse Fußgänger im buntesten Wechsel.

Dresden steht als Übergangspunkt in der Mitte von Nord- und Süddeutschland da und hat auch einen gemischten Charakter von beiden. Es war die letzte große Stadt, die ich nach Süden zu in Deutschland zu sehen bekommen sollte; dieser Gedanke fiel mir ein und war die Ursache, daß ich ganz wehmütig gestimmt in die liebe Stadt hineinfuhr. Die Stadt hatte für mich etwas einladend Freundliches; ich fühlte mich darin gleich wie zu Hause.“

Andersen beschreibt auch ein Erlebnis in Dresden in „Theater am Ufer“.

„Im königlichen Theater wurde nicht gespielt, denn in den Sommermonaten waren fast alle Schauspieler auf Reisen. Außerhalb der Stadt, im Linkeschen Bad, gaben die Zurückgebliebenen ihr Schauspiel. Das Theater lag an der Elbe in einem Wäldchen, wo Zelte standen und Musik erklang. Familien aus Dresden saßen ringsum in der Natur und genossen Erfrischungen, einige gingen spazieren und andere fuhren in den bunten Gondeln auf der Elbe. Es war ein herrlicher Abend im Freien!

Ich nahm mir eine Gondel und fuhr auf der Elbe heimwärts. Die Augustusbrücke spiegelte sich im Wasser, und Dresden reckte seine hohen Kuppeln und Türme empor – es waren Schattenbilder auf goldenem Grund. Als sich das Boot weiter vom Wäldchen entfernte, verwehte die Musik im Wind. Unterhalb der Brühlschen Terrassen brannte ein Feuer, und bald darauf stieg ich an Land. Hier oben war ein Gewimmel von Spaziergängern, die Jasminbüsche dufteten kräftig, und in den Booten auf der Elbe sangen ein paar lustige Matrossen die Barkarole aus der , Stummen‘“.