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Der letzte Mopedianer

Gunter Jacob führt in Freital ein Geschäft mit Charme und Geschichte. Dank einer bestimmten Marke hat er gut zu tun.

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© Egbert Kamprath

Von Annett Heyse

Freital. Äußerlich betrachtet sieht die Maschine schick aus. Die Felgen leuchten goldorange, ebenso die Bremshebel. Tank, Schutzbleche und Abdeckung sind mattgrau lackiert. Gunter Jacob hebt die Simson S 51 auf die Montagebühne. Vom Kunden weiß er nur, dass das Moped lange in der Garage gestanden hat und nun nicht mehr startet. „Das sollte ich hinbekommen“, sagt er und geht zur Werkbank. An der Wand hängen Mutternschlüssel und Schraubendreher in allen Größen. Gunter Jacob greift sich einen und geht in die Hocke.

Von 1937 bis 1949 befand sich der Laden in der Wehrstraße 1.
Von 1937 bis 1949 befand sich der Laden in der Wehrstraße 1. © privat
In den 50er Jahren wurde viel Motorrad gefahren – und es gab viel zu reparieren.
In den 50er Jahren wurde viel Motorrad gefahren – und es gab viel zu reparieren. © privat

Der Kfz-Meister führt als Einzelkämpfer ein Geschäft mit Tradition. Zweirad-Feine in der Wehrstraße in Deuben gibt es seit 1928, also 90 Jahre. Es ist ein Laden mit ganz altem Charme. Vorn gibt es Fahrräder, Ersatzteile, Zubehör. Kein Schickimicki, kein Life-Style, kein E-Bike. Stattdessen solide Herren-, Damen- und Kinderfahrräder. Im Hof ist die Werkstatt. Kein gefliester Boden, keine Halogenleuchten, kein Mountainbike-Kalender an der Wand. Stattdessen riecht es nach Öl, die Werkbänke sind im Laufe der Jahre dunkel und fleckig geworden. Einen Schrauberladen würden es manche nennen. Gunter Jacob kann damit leben. „So etwas gibt es ja kaum noch. Und wenn ich mal in Rente gehe, wird es das in Freital gar nicht mehr geben.“

Zweirad-Feine wurde 1928 von Johannes Feine an der Dresdner Straße in Deuben gegründet. Zweimal musste er umziehen: 1937 in die Wehrstraße 1 und 1949 nach der Enteignung ein Haus weiter in die Nummer 3. Zunächst verkaufte und reparierte der Handwerker Fahrräder und Motorräder. Ab 1937 kamen Nähmaschinen und Radios zum Sortiment. Ab 1958 konzentrierte sich Johannes Feine wieder auf Zweiräder und handelte mit der tschechischen Kultmarke Jawa. 1966 übernahm Sohn Joachim den Laden. 1975 wurde daraus eine Reparaturwerkstatt für die Marke Simson.

Gunter Jacob war zu dem Zeitpunkt noch ein Schuljunge. Später lernte er Kfz-Schlosser und liebäugelte mit dem Meisterbrief. Doch dazu brauchte er einen Betrieb, den er weiterführen sollte – so war es Vorschrift. Als er erfuhr, dass Joachim Feine einen Nachfolger suchte, ließ er sich anstellen. Das war 1986. Im Akkord wurden damals die Simson-Mopeds in der Werkstatt an der Wehrstraße repariert. „Um die 600 Stück im Jahr“, hat Gunter Jacob ausgerechnet. Er machte seinen Meister und bereitete sich auf die Übernahme vor. Dann kam die Wende.

Plötzlich wollte niemand mehr die Simson fahren, denn es gab an jeder Ecke Autos zu kaufen. Neue, günstige Mopeds konnte man per Katalog in den Versandhäusern bestellen. Gunter Jacob erinnert sich: „Die Leute verschenkten ihre Simsons mehr oder weniger. Jeder wollte sein Moped nur noch loswerden.“

Noch-Inhaber Feine reagierte und stieg wieder aufs Fahrrad um. Gunter Jacob übernahm die Strategie, als er 1993 Chef des Ladens wurde. Und die Kunden hatten Nachholbedarf. Trekkingräder, Mountainbikes – schlagartig war die Auswahlmöglichkeit deutlich größer. Beliebt waren bei den jungen Käufern die BMX-Räder. „Ich bin nach Sangerhausen ins Werk gefahren und habe die dort persönlich abgeholt“, berichtet Gunter Jacob. Zwischen 300 und 400 Räder verkaufte er im Jahr, mit Service und Reparatur gab es viel Arbeit. Bis der Markt gesättigt war und die Nachfrage stetig nachließ. Als die wieder Fahrt aufnahm und mit den E-Bikes eine neue Fahrrad-Welle begann, waren längst große Ketten und der Internethandel entstanden – beide drängten die kleinen Krämer an den Rand.

Und wieder half bei Zweitrad-Feine der Zeitgeist. Denn die Simson erlebte plötzlich ein Comeback. Das DDR-Moped, in den Achtzigern Statussymbol vieler Jugendlicher, wird heute für vierstellige Summen gehandelt. Gunter Jacob kann auch einige Gründe dafür nennen. „Die wird von Generation zu Generation weitergegeben.“ Das Moped verfüge über eine robuste und einfache Technik. Mit ein bisschen Geschick können kleine Reparaturen selbst erledigt werden. Zudem haben die kleinen Maschinen einen Bestandsschutz und dürfen noch 60 Stundenkilometer rollen, während andere Kleinkrafträder dieser Klasse bei 45 km/h gedrosselt sind. Jacob: „Eigentlich schaffen die DR-Mopeds sogar 65 bis 70 Stundenkilometer. Die Endgeschwindigkeit hält die Simson am Leben.“ Und ihm bringt es ordentlich Arbeit ein. Tagsüber steht Gunter Jacob im Laden und verkauft. Wenn es nach 18 Uhr ruhig ist, kann er sich in die Werkstatt zurückziehen.

Seit 25 Jahren ganz allein auf sich gestellt – das schlaucht. Ab Herbst will der 60-Jährige eine Mittagspause einführen und etwas kürzer treten. Zwei bis drei Jahre, schätzt der Meister, will er noch machen. Und dann? Gunter Jacob zuckt die Schultern und schaut sich in seiner Werkstatt um. Sein Blick fällt auf den Betonfußboden, die Mutternschlüssel an den Wänden, die ölverschmierte Werkbank mit dem Schraubstock. „Dann ist hier Schluss. Werkstätten wie diese sterben aus.“