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Der Kaiser lockt das ganze Land nach Dresden

„Ich glaub‘, es geht schon wieder los“: Tausende Schlager-Fans feierten am Freitagabend den Auftakt der Kaisermania 2018.

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© ronaldbonss.com

Von Franziska Klemenz

Dresden. Eine größere Vielfalt an Kopfschmuck präsentieren wahrscheinlich nicht einmal die Gäste einer Gartenparty bei der Queen. Haarreife mit leuchtenden Plastik-Kronen, Teufelshörner, glitzernde Katzen-Ohren, Radeberger-Hüte, Lichterketten-Garnituren. Der Magnet des Events ist eben nicht nur Queen, sondern Kaiser; das Ausmaß eher Nationalpark als Garten. Mit einem Hofstaat von 12 000 Besuchern, 260 Mitarbeitern und 150 Sicherheits-Leuten feierte Schlager-Star Roland Kaiser am Freitagabend den Auftakt der Kaisermania.

Roland Kaiser - Konzert Nr. 1

Es ist 5.30 Uhr, als erste Hardcore-Fans ihre Campingstühle vor dem Gelände am Königsufer aufklappen. Als der Einlass um 18 Uhr beginnt, stürmen Tausende die Wiese. Vor den Toren versuchen Last-Minute-Abtrünnige, ihre Tickets loszuwerden; hinter den Toren haben sich Ute Ludwig und ihre Gruppe längst einen Platz vor der Bühne gesichert. In der Größe einer Fußball-Mannschaft sind die 62-Jährige von der Ostsee, ihre Kinder, Enkel und Freunde angereist. „Unsere Gruppe wird immer größer. Meine Tochter ist Kaiser-Fan, seit sie drei ist“, sagt Ludwig und schwenkt ihren Sekt-Becher in die Runde. „Wir kommen aus dem Schwarzwald, Nordrhein-Westfalen, Freiburg, Lüneburg, haben uns alle in Rostock getroffen und heute um 7.15 Uhr den Zug genommen.“ Übertriebener Aufwand? „Nein, die Atmosphäre ist hier viel besser als bei anderen Konzerten, einfach klasse.“ „Geile Stadt, geile Leute, geile Stimmung. Im Osten hab ich gelernt, was Schlager für ein geiler Scheiß ist“, fügt ihr Schwager hinzu.

Eine Gruppe mit „I love Roland“-T-Shirts quetscht sich vorbei, schon eine Stunde vor Konzert-Beginn ist Bewegungsfreiheit Mangelware. Aus den Bierständen schaukeln Gläser im Akkord über die Theken, Menschen zwischen sieben und 77 Jahren campieren auf den Hängen. 12 000 Liter Bier werden heute Abend aus den Hähnen fließen, ein paar davon in die Becher von Ralf und Katja Boger.

Aus Siegen ist das Ehepaar mit Freunden angereist, zur fünften Kaisermania in Folge. „Vor sechs Jahren sind wir beim Fernsehen auf die Liveübertragung gestoßen, da sah man den Bierstand vor der Elbkulisse und meinte zu meiner Frau: Da trinken wir nächstes Jahr auch eins“, sagt der 49-Jährige, der sich schon als kleiner Junge für den Kaiser um den Schlaf brachte. Heimlich schlich er damals aus dem Bett, um die Hitparade im ZDF zu gucken. „Jetzt bin ich fast 50 und er ist immer noch da.“ Genau das mache den Kaiser-Zauber aus. „Er ist schon immer da. Als wir anfingen, in Kneipen zu gehen, lief Kaiser. Dann ist er auf die Schnauze gefallen, so wie wir alle mal, aber er ist wieder gekommen, war wieder da.“

Es ist 20.15, die LED-Bildschirme auf der Bühne fahren nach oben. Da steht er, der Kaiser. Die Menge tobt. „Und er ist wieder da! Da! Guck!“, ruft Boger und richtet seine blaue Schiller-Sonnenbrille zur Bühne. „Ich glaub‘, es geht schon wieder los“, stimmt Kaiser ein. Eine Maschine spuckt Konfetti in die Menge, ein kleines Mädchen entreißt sich dem Griff der Oma und jagt den Schnipseln hinterher.

„Morgen können wir gestern nicht nachholen und später ist früher als gedacht“, sagt Kaiser, der seine Songs gerne mit Gedanken über Großes anmoderiert. Als „Philosophen im Körper eines Schlagersängers“ bezeichnete eine Tageszeitung aus seiner Heimatstadt Berlin den 66-Jährigen einst. „Dresden ist einfach Kult!“, ruft Boger. In der Menge klatschen die Hände wie ein riesiges Uhrwerk ineinander, auf der Carolabrücke klebt eine dichte Menschenkette am Geländer. Katja Boger springt um ihre eigene Achse, wirft die Arme in die Luft. „Die Tortur lohnt sich einfach jedes Jahr wieder“, jubelt die 42-Jährige.

„Trink noch ein Glas, Amore Mio“, trällert Kaiser. Eine Frauengruppe marschiert per Polonaise zur Bar oberhalb der Hänge. Sanitäter versorgen eine junge Frau, daneben zwirbeln Tanzpaare sich um die Holzträger herum. Ein Mann Ende 20 zieht den Tanz mit einem Balken vor; „Warum hast du nicht nein gesagt?“, fragt Kaiser auf der Bühne.

Um 22.20 herrscht auf der Bühne plötzlich Dunkelheit. „Keine Sorge, ist noch nicht vorbei, das macht der immer so“, sagt Katja Boger. Die nächsten Töne quellen aus den Boxen. „Das ist Affäre!“ Die kurzen, blonden Haare fliegen mit einem Ruck durch die Luft, als Boger springt. „Das singt er immer nur hier.“ „Dresden, du Unbesiegte“, schwärmt Kaiser. Scheinwerfer tauchen die Masse in alle Farben, dann der nächste Hit: Joana. Das Leuchten von Hunderten Bildschirmen im Publikum verrät, wie oft der Moment gerade festgehalten wird. „Jetzt geht er richtig ab“, sagt Ralf Boger und fällt seiner zierlichen Frau um den Hals. 22.36 Uhr – Kaiser und Band leiten ihren Abschied ein. Noch mehr Lichter, noch mehr Rauch. Und dann das große Finale. Funken-Fontänen fliegen von der Bühne in die Nacht, rote Feuer-Bahnen donnern durch den Himmel. „Ist das nicht schön?“, fragt Katja Boger. Das Feuerwerk spiegelt sich in der Elbe, das Publikum pulsiert.

22.47 Uhr, Kaiser und Kollegen verbeugen sich. Ende. „Der toppt sich jedes Jahr selbst, das ist der Knaller, der Typ“, sagt Ralf Boger. „Der trifft den Nagel für jeden auf den Kopf, egal ob er gerade verliebt ist, oder verlobt oder frisch getrennt. Du musst nicht perfekt sein als Mensch, er hat es uns ja vorgelebt.“ Außerdem, schwärmt Bogner, habe der Kaiser überraschend viel Modernes in seinen Stil einfließen lassen. „Wir fahren nächstes Mal wieder, da bin ich völlig überzeugt“, versichert Katja.

Menschen mit pinken Kronen und Campingstühlen, mit zu viel und mit zu wenig Promille strömen von der Bühne Richtung After-Show-Party. Ein Knigge à la Queen ist für den Ausklang des Abends nicht vorgesehen. Aber dafür: noch mehr Kaiserliches. Moderne Monarchie, gewissermaßen.