Ganz vorsichtig und mit Baumwollhandschuhen fasst Jens Nagel, Historiker der Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain, das Fotoalbum an. Vorne ist noch der Abdruck von Reichsadler und Hakenkreuz zu erkennen – die NS-Symbole sind nach dem Krieg wohl schnell beseitigt worden. Gleich darunter steht der Schriftzug „Meine Kriegserinnerungen“. „Solche Alben sind zu Tausenden an Wehrmachtssoldaten verkauft worden“, weiß Nagel. „Die Nazis haben aus Propaganda-Zwecken die Soldaten ja sogar ermuntert, ihre Erlebnisse in solchen Büchern festzuhalten.“
Für Nagel ist das Album ein echter Glücksfund. Ende letzten Jahres hatte es der Enkel des Wachmanns Karl H. der Gedenkstätte übergeben. H. gehörte dem Landesschützenbataillon 986 an, patrouillierte am Außenzaun des Kriegsgefangenenlagers, besetzte Wachtürme und die Zugangstore. „Es gibt keine Hinweise darauf, dass sich K. auch an Verbrechen beteiligt hat“, sagt Nagel. Von den Gräueltaten, die sich im Lager abgespielt haben, muss er aber gewusst haben – und werden auf den Fotos auch dokumentiert. Ob er sie alle selbst geschossen hat, ist unbekannt. Einige Bilder zeigen Hinrichtungen, Gefangene, die am Galgen hängen. Auch Fotos von Hunderten Toten, die an Krankheiten oder Hunger gestorben sind, zeigt das Album. Zwar wurden anders als in den Konzentrationslagern im Kriegsgefangenenlager Zeithain keine Massenvernichtungen vorgenommen. Und doch sterben die Menschen reihenweise. Die von SS-Chef Heinrich Himmler betitelten „Untermenschen“ werden nicht nach den Bestimmungen der Genfer Konvention für Kriegsgefangene behandelt. Ihre Ernährung ist auf ein Minimum reduziert, die hygienischen Umstände sind katastrophal. „Die Wehrmacht nahm ihren Tod in Kauf“, sagt Jens Nagel. Allein zwischen Dezember 1941 und März 1942 sterben 7000 Gefangene an Ruhr-, Typhus- und Fleckfieberepidemien. Auch das zeigen die Fotos. Bis Kriegsende sterben in Zeithain bis zu 30 000 Gefangene.
Besonders befremdlich erscheinen deshalb Fotos, die die feiernden Wachsoldaten zeigen. „Sie lebten in zwei Welten. Auf der einen Seite erlebten sie das Elend und Massensterben im Lager. Auf der anderen Seite gab es einen engen kameradschaftlichen Alltag. Das ist heute nur noch schwer nachvollziehbar.“