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Der Gentleman mit den Blütenträumen

Die SZ sucht nach Gartenparadiesen – zuerst bei einem, der aussieht, als käme er aus dem Mutterland der Gartenkunst.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Jörg Stock

Wilsdruff. Rot ist die Buche und rot ist der Schopf von Michael Simonsen, der unter der Buche auf einer Bank sitzt. Wenn man ihn so ansieht, blütenweißes Hemd, darüber die Fischgratweste in Tweed-Optik, könnte man meinen, einen Landadeligen aus Cornwall zu treffen. Er lacht. Die Weste ist Leinen. Aber ja, er mag England. Es ist nun mal das Mutterland der Gartenkunst. Und er mag es, gut angezogen zu sein. Schicke Gärten und schicke Kleidung – für ihn zwei Seiten derselben Medaille. „Beides hat eine starke ästhetische Komponente.“

Es blüht und duftet

Summ, summ! Gärten sind nicht nur für Menschen gut.
Summ, summ! Gärten sind nicht nur für Menschen gut.
Schönheit vom Acker: Der Klatschmohn kündigt den Sommer an.
Schönheit vom Acker: Der Klatschmohn kündigt den Sommer an.
Gefälliger Kontrast: Hier trifft die weiße Pfingstrose auf die violette Sibirische Wieseniris.
Gefälliger Kontrast: Hier trifft die weiße Pfingstrose auf die violette Sibirische Wieseniris.
Den selbst kreierten Staudenmischungen kann man beim Blühen zuschauen, täglich außer sonntags 10 bis 16 Uhr.
Den selbst kreierten Staudenmischungen kann man beim Blühen zuschauen, täglich außer sonntags 10 bis 16 Uhr.
Die Taglilie ist die Staude des Jahres 2018. Wie der Reporter feststellt, schmeckt sie auch ganz gut.
Die Taglilie ist die Staude des Jahres 2018. Wie der Reporter feststellt, schmeckt sie auch ganz gut.
Nicht nur Blumen machen den Wilsdruffer Schaugarten bunt. In der Anlage leben auch Hühner und Fasane.
Nicht nur Blumen machen den Wilsdruffer Schaugarten bunt. In der Anlage leben auch Hühner und Fasane.
Diese Skulptur am Hauptweg stammt von dem süddeutschen Bildhauer Siegfried Haas.
Diese Skulptur am Hauptweg stammt von dem süddeutschen Bildhauer Siegfried Haas.
Auf der Laborfläche werden neue Pflanzenmischungen erprobt.
Auf der Laborfläche werden neue Pflanzenmischungen erprobt.
Der Schaugarten enthält mehrere Mustergärten für Wohnhäuser. Hier der "moderne Garten".
Der Schaugarten enthält mehrere Mustergärten für Wohnhäuser. Hier der "moderne Garten".

Der Wilsdruffer Michael Simonsen, 46, ist Landschaftsarchitekt. Über schöne Gärten weiß er so ziemlich alles, besonders über die britischen. Während er in London, University of Greenwich, zwei Jahre Gartengeschichte studierte, fuhr er auf dem Motorrad im typisch englischen Regenwetter an die hundert Gärten und Parks ab, reiste durch künstliche Landschaften, vom 16. Jahrhundert bis hinein in das frühe zwanzigste. Nicht nur die Gärten gefielen ihm, auch die Menschen. In Schottland wurde er besonders herzlich aufgenommen, sagt er mit Schmunzeln. Hatten die roten Haare etwas damit zu tun?

Was bedeutet ihm der Garten? „Der Garten bedeutet Teilhabe am Leben“, sagt er. Dabei meint er nicht zwangsläufig, dass es im Garten immer irgendwas zu tun gibt, zum Beispiel den Rasen mähen, heute Morgen seine erste Amtshandlung. Nein, es geht darum zu begreifen, dass das Leben ein ständiges Werden und Vergehen ist, erklärt er. Und wenn man das sonst nirgends mitbekommt, in der Unrast des Alltages, dann lernt man es ganz sicher im Garten.

Wo ist Ihr Gartenparadies?

Schöne Gärten gesucht! Haben auch Sie einen außergewöhnlich schönen oder originell gestalteten Garten? Dann erzählen Sie uns davon!

Senden Sie eine kurze Beschreibung mit Fotos an die SZ, E-Mail oder per Post an: Sächsische Zeitung, Schössergasse 3, 01796 Pirna.

Die schönsten Bilder veröffentlichen wir, vielleicht sogar in einer Reportage aus Ihrem Gartenparadies. (SZ)

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Um den Leuten vorzuführen, was alles werden kann in einem Garten und wie schön manches davon aussieht, selbst dann noch, wenn es welkt, hat Michael Simonsen, Chef der gleichnamigen Freiraumplanungsgesellschaft, einen Schaugarten angelegt. Die Pforte ist gleich neben seinem Wilsdruffer Büro, auf gartenhistorisch bedeutsamem Grund. Die Fläche, etwa fünf Hektar, gehörte wohl seit dem Mittelalter zum Vorwerk „Keils Gut“. Ab 1910 diente sie als Baumschule. Von dieser Ära, die bis 2003 währte, sind heute noch alte Koniferen übrig. Wo früher die Bäumchen sortiert und verpackt wurden, befinden sich jetzt Simonsens Arbeitsräume, entstehen die Pläne für historische Parkanlagen, für grüne Stadtlandschaften und ambitionierte Privatgärten. Der Schaugarten macht seinem Titel alle Ehre. Rastlos wie ein taumelnder Falter schweift das Auge von Blüte zu Blüte. Allein das gute Dutzend Karrees selbst kreierter Staudenmischungen bietet zahllose Reize. Bis zu zwanzig Pflanzensorten stecken in jedem dieser Vierecke. So ist immer etwas los im Beet, vom Frühjahr bis zum Herbst. Es wird durchgeblüht, so lautete das Motto von Staudenphilosoph Karl Förster schon im vorigen Jahrhundert. Simonsen macht es sich gern zu eigen.

Glockenblumen und Hainsimsen, Hahnenfuß und Akelei, Wald-Aster und Geranium – was natürlich schön wirkt, ist wohldurchdachte Absicht: Welche Pflanze passt an den Standort? Wie hoch wächst sie? Wie schnell greift sie sich Raum? Welche Figur macht das Gewächs im Winter? Passen die Farben zueinander? Die gelungene Komposition verlangt Know-how, sagt Herr Simonsen, und im Idealfall einen Garten wie diesen, als Versuchslabor.

Streift der Chef durch die Rabatten, gerät er rasch ins Schwärmen. Zum Beispiel hier, wo in einem Busch aus lila Sibirischer Wieseniris die cremefarbenen Pfingstrosen ihre Köpfe schaukeln. „Das ist doch ein Traum“, sagt der Gärtner. Ein Traum allerdings, der seine volle Pracht erst drei, vier Jahre nach der Pflanzung offenbart. Geduld und Demut – auch das kann der Garten uns beibringen, sagt Herr Simonsen. Er selbst ist nach zwanzig Jahren in diesem Geschäft deutlich gelassener geworden, vermeidet es, „Handstände“ zu machen, um unrealistische Kundenwünsche zu erfüllen. „Das Gras wächst auch nicht schneller, wenn man daran zieht.“

Die Gesellschaft, das weiß er, ist freilich anders gepolt. Die Menschen wollen hundert Prozent vom Glück, und zwar sofort. Soziale Medien sind dabei der Turbo, der Booster, sagt Simonsen, mit ihren Gefällt-mir-Buttons und mit ihrer Flut aus prahlerischen Selbstporträts. „Das ist so, als wollte man andauernd Schokolade essen.“ Das will der Garten nicht leisten, sagt er. „Und das hat er auch gar nicht nötig.“

Wie nötig haben die Leute einen Garten? Nicht sonderlich nötig, könnte man meinen, wenn man neue Eigenheimsiedlungen betrachtet. Mancher Bauherr stiefelt da jahrelang über eine Brache, sagt Michael Simonsen, oder kippt sich Schotter in den Vorgarten. Teure Terrassenbeläge, eine Outdoor-Küche oder der sündhaft teure Grill sind wichtiger als der grüne Rahmen drumherum. Für den, so schätzt der Fachmann, sollte man bei einem mittelgroßen Grundstück um die 15 000 Euro in der Hinterhand haben. Dass dieses Geld oftmals nicht vorhanden ist oder letztlich doch irgendwie beim Hausbau versickert, findet er typisch. „Der Garten wird einfach nicht mitgedacht.“

In Deutschland kommt zuerst das Haus, in England dagegen der Garten. Das hat auch mit dem Klima zu tun. Auf dem Kontinent brauchte man stets starke Mauern gegen den Winter. England aber ist vom Golfstrom verwöhnt. Die Briten können sich Abstriche am Wohnkomfort eher leisten. Sie ziehen lieber „die dritte Strickjacke“ an, wie Simonsen sagt, Hauptsache der Garten ist in Schuss. Das Wetter hilft beim Wachsen kräftig mit. Durchdringende Schauer und sonnige Phasen wechseln sich ab. Das und Hunderte Jahre der Fürsorge haben den englischen Rasen zu einem Denkmal werden lassen.

Beim Streben nach diesem Ideal, mit Gießautomatik und Mähroboter, entsteht hierzulande so manche ökologische Wüste. Blumenwiesen sind für viele nur noch eine „herzzerreißend schöne Kindheitserinnerung“, sagt Michael Simonsen. Er will die Naturwiese zurückholen in die Gesellschaft. Im Schaugarten hat sie längst ihren festen Platz. Über dem weiten Blütenteppich schwärmen die Bienen und junge Falken lernen das Fliegen. Auch im Staudengarten wird nicht jedes Kraut, das planlos grünt und blüht, gleich abgehackt. Mit dem Garten ist es wohl ein bisschen wie mit den Kindern, sagt Michael Simonsen. „Man muss auch mal Leine lassen.“

Als Nächstes lesen Sie: Manche mögen’s klein – die Bonsais von Bonnewitz.