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Der Fall des Kevin Großkreutz

Vom WM-Finale in den Zweitliga-Abstiegskampf: Kein Weltmeister von 2014 ist sportlich so tief gefallen wie Kevin Großkreutz. Gerade in dieser Saison hätte ihn der deutsche Fußball aber gut gebrauchen können.

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© Lino Mirgeler/dpa

Von Sebastian Stiekel

Darmstadt. Genau in der Woche, in der Joachim Löw das deutsche WM-Aufgebot verkündete, gab es auch mal wieder Neuigkeiten von Kevin Großkreutz. „Weltmeister soll gehen. Großkreutz in Darmstadt vor dem Aus!“, titelte die „Bild“-Zeitung am Mittwoch.

Vor vier Jahren waren die Schlagzeilen noch andere. Da gehörte Großkreutz selbst zum WM-Team. Der damals 26-Jährige stand im Endspiel gegen Argentinien schon an der Seitenlinie bereit, um für den angeschlagenen Kapitän Bastian Schweinsteiger eingewechselt zu werden. Rein sportlich betrachtet ist seitdem kein anderer Weltmeister von 2014 so tief gefallen. Zuletzt war Kevin Großkreutz nur noch Ersatzspieler beim SV Darmstadt 98. Als sein Verein am vergangenen Sonntag durch einen 1:0-Sieg gegen Erzgebirge Aue den Abstieg von der Zweiten in die Dritte Liga verhinderte, benötigten die „Lilien“ die Hilfe des Schiedsrichters, ihres deutsch- portugiesischen Torwarts und sämtlicher gerade verfügbarer Fußball-Götter. Nur der Weltmeister wurde dafür nicht gebraucht.

Großkreutz teilt sich der Öffentlichkeit nur noch durch die Sozialen Netzwerke mit. „Geschafft“, schrieb er nach dem Sieg gegen Aue. „Jetzt ist erstmal Urlaub und ich werde die Zeit mit der Familie genießen.“ Interviews oder selbst kleine Statements nach einem Spiel gibt der 29-Jährige dagegen schon lange nicht mehr. Dafür ist in den Jahren nach dem WM-Triumph von 2014 zu viel passiert.

2015: Großkreutz spielt noch bei seinem Heimat- und Herzensverein Borussia Dortmund, ist aber in der Nach-WM-Saison ständig verletzt. Trainer Thomas Tuchel sortiert ihn aus, ein Wechsel zu Galatasaray Istanbul wird am letzten Tag der Transferfrist vereinbart, aber nicht mehr fristgerecht vollzogen. Der deutsche Weltmeister darf in der Türkei vier Monate lang nur trainieren, aber nicht spielen.

2016: Großkreutz möchte aus Heimweh unbedingt zurück nach Deutschland und wechselt im Winter zum VfB Stuttgart. Mit dem Verein steigt er nach nur wenigen Monaten aus der Bundesliga ab.

2017: Der VfB trennt sich von ihm, weil er mit mehreren Jugendspielern des Vereins durch das Rotlichtviertel gezogen und in eine Schlägerei geraten war.

2018: Darmstadt 98 gibt ihm nach dem Bundesliga-Abstieg eine neue Chance, doch mit der Entlassung seines Fürsprechers und Förderers Torsten Frings schwinden auch dort seine sportlichen Perspektiven. Die „Lilien“ legen ihm nahe, sich trotz eines bis 2019 laufenden Vertrags einen neuen Verein zu suchen.

Von Kevin Großkreutz ist in den vergangenen Jahren ein Bild entstanden, das er selbst gemalt hat, das von anderen aber auch immer wieder überzeichnet wurde. Der Mann, der sich nicht im Griff hat. Der immer Fan und Profi zugleich sein wollte. Er kenne diesen Ruf, sagte auch Dirk Schuster. „Aber Kevin hat sich top verhalten, ich kann überhaupt nichts Negatives sagen“, erklärte der Darmstädter Trainer der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.

Hinzu kommt: Einen Großkreutz, der nicht gegen den sportlichen Bedeutungsverlust ankämpft, könnte der deutsche Fußball vielleicht gerade jetzt sehr gut gebrauchen. Denn Profifußball kontra organisierte Fans: Diese Kluft wird immer größer, und das ist ein prägendes Bild dieser gerade zu Ende gehenden Saison. Viele Leute, die Verständnis für das jeweils andere Lager haben, gibt es auf beiden Seiten nicht. Kevin Großkreutz allerdings ist genauso jemand.

Er sei der „wahrgewordene Fan-Traum“, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“ einmal über ihn. „Vom Arbeiterviertel auf die Südtribüne auf den Rasen im Westfalenstadion. Er kämpfte und lief und feierte danach mit seinen Dortmunder Jungs.“ Diese Prägung ist Großkreutz bis heute wichtig. Er beteiligte sich an dem Protest gegen die Einführung von Montagsspielen in der Bundesliga („Die Fans werden dabei total vergessen“). Nur erzielte er damit längst nicht mehr die Wirkung, die er vielleicht noch als Nationalspieler gehabt hätte.

Vom Weltmeister-Titel ist ihm trotzdem mehr als nur die Erinnerung geblieben. Er hat sich den WM-Pokal auf die Schulter tätowieren lassen und ist seit den erfolgreichen Wochen in Brasilien eng mit Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger befreundet. Ende April postete Großkreutz ein Foto von sich und den beiden im Internet. Jemand schrieb dazu: „Ihr seid einfach noch der Typ Fußballer, den wir Fans lieben. Gibt es nicht mehr oft.“ (dpa)