Merken

„Der erste Schlag hat gleich gesessen“

Ein Dynamo-Fan soll einen Aue-Anhänger krankenhausreif geschlagen haben. Dabei wollten die Erzgebirger bloß was essen.

Teilen
Folgen
NEU!
© Archiv/SZ

Von Thomas Riemer

Thiendorf. Das Erinnerungsvermögen aller Beteiligten ist schwach. Kein Wunder – das Geschehen liegt fast fünf Jahre zurück. Schauplatz: die Filiale von McDonalds in Thiendorf. So viel ist bei der Verhandlung vor dem Riesaer Amtsgericht klar. Dort sollen am 27. Oktober 2013 Fußball- „Fans“ von Dynamo Dresden und Erzgebirge Aue aufeinandergetroffen sein. Die einen auf der Rückfahrt von einem Heimspiel in Dresden, die Erzgebirger auf Zwischenstation nach einer Begegnung in Berlin.

Das Szenario stellt sich so dar: Die fünf Aue-Anhänger wollten „bloß etwas essen“, als die „OSL-Bande – so ein Fähnchen im Fahrzeug – mit sieben oder acht Mitgliedern in die Filiale kam und die Auer zum „Kampf fünf gegen fünf“ aufforderte. Als Steffen Vaist dankend ablehnte, soll Frank Obst zugeschlagen haben. „Der erste Schlag hat gleich gesessen“, sagt Steffen Vaist. Die Folge: Der damals 24-Jährige erlitt einen doppelten Kieferbruch, verlor mehrere Zähne, musste zweimal operiert werden, war „mindestens zwei Monate“ krankgeschrieben.

Das Handgemenge, in das zwischenzeitlich mehrere Mitglieder beider Fangruppen involviert waren, dauerte offenbar höchstens eine Minute. Dass die Aue-Anhänger nicht sofort weiterfahren konnten, soll daran gelegen haben, dass die „OSL-Bande“ deren Fahrzeug einfach „zugeparkt“ hatte. Sofortige Ermittlungen vor Ort, aber auch Vernehmungen erst Wochen und dann ein Jahr später führten nicht zum Täter. Lediglich die Beschreibung der Auer war mehrheitlich markant: Kurze, rötliche Haare, zwischen 1,80 und 1,90 Meter groß, kräftige Statur, bekleidet mit einem Windblazer, der mit einem Schriftzug „SGD 1953“ verziert war.

Dann stockten die Ermittlungen – bis 2016. Da gab es im Zusammenhang mit einer Auseinandersetzung der „OSL-Bande“ mit Ausländern einen neuen Ermittlungsansatz. Die 2013er Akte wurde wieder herangezogen, die markante Beschreibung eines Täters passte auf Frank Obst. Es war also „Kommissar Zufall“, der den heute knapp 40-Jährigen auf die Anklagebank in Riesa hievte, so Richterin Ingeborg Schäfer gestern.

Obst zog es vor, von seinem Recht auf Nichtäußerung Gebrauch zu machen. Drei Zeugen aus Aue und Umgebung, darunter der Geschädigte Steffen Vaist, offenbarten zwar ebenfalls große Erinnerungslücken. Das sei nach fünf Jahren auch nicht verwunderlich, befand Richterin Schäfer.

Der Staatsanwalt hatte nach gut zwei Stunden Zeugenvernehmung genug. „Für mich ist das eine eindeutige Identifizierung“, sagte er, nachdem die Zeugen Frank Obst auf Bildern als „Anführer“ der OSL-Bande erkannt hatten. Sein Antrag: Vorläufige Einstellung des Verfahrens gemäß Paragraf 153a der Strafprozessordnung „Absehen von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen“. Ingeborg Schäfer wie auch der Verteidiger des Angeklagten aus Senftenberg stimmten mit ein bisschen Magendrücken zu. Richterin Schäfer: „Es ist natürlich im Interesse des Geschädigten, damit die Sache endlich ein Ende hat.“

In sechs Raten muss Frank Obst nun „Schmerzensgeld“ an Steffen Vaist zahlen – insgesamt 2 000 Euro. Erst bei vollständiger Ableistung, spätestens im Februar 2019, ist das Verfahren dann auch offiziell zu Ende. Ingeborg Schäfer kündigte an, sich höchstpersönlich anhand der Kontoauszüge darüber zu informieren. „Wenn es nicht klappt, wird das Verfahren fortgesetzt.“

Obst garantierte trotz offenbar schwieriger Einkommenssituation: „333 Euro im Monat – das schaffe ich.“ Es war im Prinzip sein einziger vollständiger Satz während des Verfahrens. So bleiben die Gründe für den Faustschlag auch nach der Verhandlung weitgehend ungeklärt.

Übrigens: Die Auer Fans kehrten vom Zweitligaspiel bei Union Berlin mit einer 0:1-Niederlage zurück. Dynamo Dresden gewann zur gleichen Zeit mit 1:0 gegen Energie Cottbus. Grund zum „Frustschieben“ hatten also eigentlich nur die Erzgebirger.

*Namen geändert