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Der Elektriker mit dem Blumenkohl

Hans-Joachim Brüggemann hat als Handwerker viel erlebt. Im Alter plant er noch mal eine große Veränderung.

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© Klaus-Dieter Brühl

Von Jürgen Müller

Stauchitz. Der Elektrikermeister braucht dringend Material. Mit seinem kleinen Robur-Lkw klappert er Hersteller in Gera und Karl-Marx-Stadt ab. Doch die Dame im Büro wiegelt ab: „Hamwa nich.“ Aber Hans-Joachim Brüggemann hat. Nämlich eine Ladung Blumenkohl, frisch aus der Genossenschaft in Staucha. Ein Lächeln huscht über das Gesicht der Bürodame. Plötzlich ist doch Material da. Na bitte, es geht doch, denkt der Stauchitzer, und fährt mit voller Ladefläche zurück. Das Material tauscht er dann mit anderen Handwerkern. „Nur so konnten wir uns damals über Wasser halten“, sagt er mit spitzbübischem Gesicht, als er die Anekdote aus DDR-Zeiten erzählt.

Hans-Joachim Brüggemann hat als Handwerksmeister in zwei politischen Systemen viel erlebt. 40 Jahre war er selbstständig, vor genau 50 Jahren schloss er seine Meisterprüfung ab. Die Handwerkskammer würdigt das jetzt mit dem „Goldenen Meisterbrief“.

Seit zehn Jahren ist er Rentner, Sohn Kay führt seitdem die Firma. Hans-Joachim Brüggemann ist auch heute noch manchmal im Betrieb, sagt er. Ehefrau Gisela präzisiert: „Er ist jeden Tag dort.“ Manchmal nimmt er sich knifflige Sachen mit in seine Werkstatt im Keller, bastelt dann. „Aber ich hänge mich in die Firma nicht rein. Manche Kollegen können ja nicht loslassen, ich halte das für falsch“, sagt der 74-Jährige.

Seinen Meister hat er gemacht als er noch in Riesa im Mischfutterwerk als Betriebselektriker arbeitete, und zwar in der Abendschule. Nach der Arbeit ging es auf die Schulbank, morgens um sieben stand er wieder im Betrieb auf der Matte. „Das war eine harte Zeit, zwei Drittel meiner Kollegen haben aufgegeben. Auch mir fiel es schwer. Doch ich hatte nun mal angefangen, da wollte ich das auch zu Ende bringen“, sagt er.

Ersatzteilmangel überall

Er bekommt jetzt auch eine Meisterstelle im Mischfutterwerk, doch ist sehr unzufrieden. „Ich hatte die Verantwortung bei der Ernte, dass alles läuft, hatte aber nichts zu entscheiden, bekam keine Ersatzteile“, erinnert er sich. Er ist sauer und frustriert, kündigt, will sich selbstständig machen. Doch es gibt ein Problem. Aus einem volkseigenen Betrieb durfte niemand in die Selbstständigkeit wechseln, sagt er. So arbeitet Brüggemann erst einmal für ein halbes Jahr in der Elektrofirma Bräuning in Riesa.

Dann kommt das Angebot aus Stauchitz. Dort wurde dringend ein Elektriker gebraucht, weil die Produktionsgenossenschaft des Handwerks (PGH) das Gebiet nicht abdecken konnte. Während private Handwerker sonst in die Genossenschaften gedrängt wurden, war es hier andersherum.

Der Anfang in Stauchitz ist schwer, Brüggemann fängt in einer kleinen Bretterbude am Sportplatz an, hat lediglich eine Tasche mit Werkzeug. Einstellen darf er nur zwei Leute, die er selbst ausgebildet hat. Kundschaft gibt es genug. Er fängt mit dem Einbau von Nachtspeicheröfen an, hat auf diesem Gebiet keine Konkurrenz. Und repariert Rasenmäher. Einen Tag in der Woche nimmt er Aufträge an. „Wenn ich die Werkstatt aufmachte, stand da jedes Mal eine lange Schlange“, sagt er und lacht. Bis weit in die Nacht hinein ist er in der Werkstatt, um die Aufträge abzuarbeiten.

Die Brüggemanns wohnen damals in Riesa, hoffen, dass sie ihre Wohnung tauschen und nach Stauchitz ziehen können. Doch es findet sich niemand. So entschließen sie sich, dort ein Haus zu bauen. Auch hier nichts als Schwierigkeiten. „Wir bekamen sieben Sack Zement. Es war klar, dass das nicht reicht, aber mehr gab es erst mal nicht“, sagt Gisela Brüggemann. Nach der Methode „Haste was, kriegste was“, also durch Tauschgeschäfte von Material und Handwerkerleistungen, wird das Haus schließlich fertig. Nach fast vier Jahren.

Dann kommt die Wende, und alles wird anders. „Wir waren darauf nicht vorbereitet“, sagt Ehefrau Gisela. „Mit der Wende kamen erst die Berater, dann die Versicherungen und bei vielen Handwerkern die Insolvenzen“, erinnert sich Hans-Joachim Brüggemann.

20 Lehrlinge ausgebildet

Grund sind vor allem die Zahlungsausfälle, eine völlig neue Erfahrung. „Das gab es früher nicht, da wurden immer alle Rechnungen anstandslos und in voller Höhe bezahlt“, sagt er. Auch sein Unternehmen kommt in Schwierigkeiten, die die Existenz bedrohen. Die Firma nimmt alle Aufträge an, arbeitet in München und Ingolstadt. „Da haben wir uns so richtig ausbeuten lassen“, sagt der 74-Jährige.

In den 40 Jahren seiner Selbstständigkeit bildete der gebürtige Brandenburger 20 Lehrlinge aus. „Die meisten gingen danach ins Riesaer Stahlwerk, weil es dort mehr Geld gab“, sagt er. Sein Sohn aber blieb nicht nur. Er ist froh, dass Kay die Firma übernahm und weiterführt. Inzwischen macht schon ein Enkel seine Meisterprüfung.

Ehemäßig haben die Brüggemanns ihren „Goldenen Meisterbrief“ schon vor drei Jahren erhalten. Seit 53 Jahren sind sie verheiratet. Das Paar hat zwei Kinder, sechs Enkel und zwei Urenkel. Noch immer wohnen sie in dem Haus, das sie mühsam bauten, doch nicht mehr lange.

„Wir sind realistisch, beide 74 Jahre alt, wissen nicht, wie lange wir das Grundstück noch erhalten können“, sagt Gisela Brüggemann. „Die Zeit hat ihre Bremsspuren hinterlassen“, ergänzt ihr Mann. Jedenfalls wollen die Brüggemanns in zwei Jahren ihrer Tochter nach Baden-Württemberg folgen, dort eine Wohnung beziehen.

Ein großer Einschnitt, eine große Veränderung im Leben der beiden. Mit dem täglichen Weg in die Firma ist es dann ein für alle Mal vorbei. Hans-Joachim Brüggemann wird etwas fehlen.