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Der Chronist von Neustadt

Gerhard Brendler schreibt die Chronik von Neustadt. Ein Teil der Stadtgeschichte ist nur schwer zu recherchieren.

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© Dirk Zschiedrich

Von Nancy Riegel

Neustadt. Gerhard Brendler ist ein ziemlich gut organisierter Mensch. Alle Zeitungsartikel über Neustadt hat der 74-Jährige in den vergangenen Jahren fein säuberlich in Dossiers geordnet. Unger, Neustadthalle, Schulen, Kirche – was in der Stadt passiert, hat der fitte Rentner im Blick. Nun will Dr. Brendler aber noch weiter zurückgehen, tief in die Geschichte Neustadts. Genau gesagt, bis ins sechste bis neunte Jahrhundert, als die Slawen die Gegend besiedelten. Ortsnamen wie Polenz und Sebnitz sind ein Überbleibsel der damaligen Sprache. Die Zeit markiert den Anfang des heutigen Neustadts und damit den Anfang der Chronik, die Gerhard Brendler verfasst.

Wie, sechstes Jahrhundert? Feiert Neustadt nicht im Jahr 2033 seinen 700. Geburtstag? „Das stimmt, 1333 wurde die Stadt erstmals urkundlich erwähnt. Aber die Besiedlung begann viel früher“, erklärt der Hobby-Historiker vom Bruno-Dietze-Ring. Menschen wie ihn, die die Historie im Bewusstsein halten wollen, gibt es in Neustadt und seinen Ortsteilen einige. Genannt seien hier stellvertretend die Neustädter Heimatblätter, die Tafelrunde, die Hohwaldbriefe oder die Heimat-Buchreihe vom Berthelsdorfer Autor Bernd Hauswald. Eine zusammenhängende Chronik aber gibt es noch nicht. Gerhard Brendler will sie erarbeiten. In drei Jahren soll sie fertig sein, so lautet sein Ziel.

Für ihn ist diese Arbeit nicht neu. Acht lange Jahre widmete er der Chronik von Ostritz, wo er aufwuchs. Nach deren Fertigstellung im Jahr 2016 ging er zur Erforschung der Geschichte Neustadts über, wo er seit 1969 wohnt. Immer unter der Maxime, kritischer zu sein, als man es zunächst von einem Chronisten denken würde. Als Beispiel nennt er das Königreich Sachsen, das im kollektiven Gedächtnis oftmals als der ruhmreichste Abschnitt verankert ist. „Die Zeit vor 1918 und damit auch die damaligen Schreiber waren geprägt von Militarismus. Tote auf dem Schlachtfeld wurden als Helden dargestellt. Für mich waren das Opfer und diejenigen, die Kriege anzettelten, Verbrecher“, nennt der 74-jährige bekennende Christ als Beispiel.

Unverklärter Blick zurück

Je näher der Chronist an die Gegenwart heranrückt, desto schwieriger ist die Recherche. Über die Nazizeit gibt es nur vereinzelte Informationen, wie Totenbücher von Neustädter Nazis, die von den Russen nach Bautzen gebracht wurden. Das ist einerseits problematisch, weil so nicht alle Aspekte der Stadtgeschichte ans Licht kommen. Andererseits gerieten dadurch Schicksale in Vergessenheit, berichtet Gerhard Brendler. „Es gab Neustädter, die Juden bei sich versteckt haben. Schade, dass sie dafür gar nicht gewürdigt werden!“ Ähnlich schwierig gestalte sich die Darstellung der DDR-Zeit. Von Propaganda geprägte Presse und Schreiber haben zwar Fakten hinterlassen, aber eben eingefärbte. Der Chronist versucht, die reinen Tatsachen herauszulösen. Eine besondere Herausforderung sei es in diesem Zusammenhang, die Rolle vom Kombinat Fortschritt Landmaschinen einzuordnen. Neustadts Geschichte ist gleich die Geschichte von Fortschritt – dies sei die gängige Meinung, berichtet der Historiker. Dabei sollte man nicht aus den Augen verlieren, dass der Erfolg des Betriebs nicht unbedingt zum Wohlstand der Bevölkerung beigetragen habe.

Dr. Brendler sammelt seine Informationen in Archiven, Bibliotheken und Museen. Auch Privatpersonen seien hilfreich, sagt er. Was ihn besonders weiterbringe, sei der Arbeitskreis, der sich rund um die Chronik gebildet habe. Zu diesem gehören unter anderem Museumsleiterin Ulrike Hentzschel, Geschichtsexperte Manfred Schober und Stadtführerin Ingrid Große. „Sie wissen gar nicht, mit wie vielen Toten ich bei meiner Recherche schon zu tun hatte“, sagt der 74-Jährige lachend. Da sei es schön, sich ab und zu mal mit Lebenden konstruktiv auszutauschen.

Hier ein paar historische Fotos von Neustadt und wie die Orte heute aussehen