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Der Chronist mit der Kamera

Vor 175 Jahren kam Robert Scholz zur Welt. Ihm hat die Stadtchronik viel zu verdanken. Doch manches ist verschollen.

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Von Ralph Schermann

Görlitz. Jeder, der sich für das alte Görlitz interessiert, dürfte seinen Bildern schon einmal begegnet sein. Denn ohne sie wären Bilddokumentationen über die frühere Neißestadt keine Verkaufsschlager im Buchhandel. Auch keine wissenschaftliche geschichtliche Publikation kommt ohne alte Bilder dieses Mannes aus, ohne das fotografische Lebenswerk von Robert Scholz. Er wäre jetzt 175 Jahre alt.

Sein Blick in eine Görlitzer Türmerstube entstand um 1900.
Sein Blick in eine Görlitzer Türmerstube entstand um 1900.
Etwa 1890 bannte er das Fuhrwerk auf der Büttnerstraße auf eine Fotoplatte.
Etwa 1890 bannte er das Fuhrwerk auf der Büttnerstraße auf eine Fotoplatte.
Wohnung und Atelier befanden sich auf der Bismarckstraße 9, zu sehen links unten auf einem 1881 entstandenen Bild mit seinen Söhnen Bruno und Felix.
Wohnung und Atelier befanden sich auf der Bismarckstraße 9, zu sehen links unten auf einem 1881 entstandenen Bild mit seinen Söhnen Bruno und Felix.
An der Neiße fotografierte er Weidenruten schneidende Korbflechter,
An der Neiße fotografierte er Weidenruten schneidende Korbflechter,
zwischen Post- und Marienplatz im Jahr 1913 Gerüste zum Warenhausbau.
zwischen Post- und Marienplatz im Jahr 1913 Gerüste zum Warenhausbau.

Am 6. Juli 1843 in Bunzlau in Schlesien als Kaufmannssohn geboren, nahm er dort nach dem Besuch der Bürgerschule 1857 eine Lehre als Fotograf im Geschäft seines Vaters auf. Der hatte Mut und Weitblick bewiesen, die eben erst erfundenen Möglichkeiten der Fotografie aufzugreifen und sich als Porzellanmaler eine neue Abbildungstechnik zu erarbeiten. Damit legte er mit den Grundstock für das spätere Schaffen seines Sohnes. Robert Scholz bekam zwischen den Jahren 1861 und 1863 die Möglichkeit, in Hamburg und Nordhausen in Fotoateliers seine Ausbildung zu vervollkommnen. Weitere vier Jahre lang arbeitete er im Atelier des elterlichen Unternehmens, bis er 1867 in Görlitz ein eigenes Geschäft mit Atelier gründen konnte. Für Jahrzehnte wurde die Bismarckstraße 9 zu einem fotografischen Zentrum der Stadt, die ja auch im Kamerabau und überhaupt in der optischen Industrie einen guten Namen hatte, den heute das rührige ehrenamtliche Fotomuseum auf der Löbauer Straße noch zu würdigen versucht.

Als Scholz begann, gab es bereits sechs Fotoateliers in Görlitz, deren Betreiber jedoch fast ausschließlich Studio-Porträtaufnahmen anfertigten. 1868 heiratete Robert Scholz die ebenfalls aus Bunzlau stammende Bertha Besser. Fünf Kinder kamen zur Welt: Alfred (1869), Felix (1871), Erich (1872), Bruno (1875) und Elisabeth (1881). Bald war Robert Scholz zu einem gefragten Spezialisten für Landschafts-, Gebäude- und Industrieaufnahmen geworden. Jahrzehntelang dokumentierte er die Görlitzer Baugeschichte. Von seinen Bildern her kennen wir die Altstadt in ihrem damaligen Erhaltungszustand, Abrissarbeiten und Bauabläufe, vor allem stadtbildprägende Neubauten der wilhelminischen Zeit 1871 bis 1918. Für Kulturhistoriker und Denkmalpfleger ist dies ein unersetzlicher Schatz. Mit seinen Fotos von herausragenden stadtgeschichtlichen Ereignissen wurde Robert Scholz zum ersten Bildreporter der Stadt Görlitz. Noch konnte er nicht wissen, wie wichtig seine vorbildlichen und bildlinientreuen Architekturfotos für die heutigen Sanierungen und Rekonstruktionen in der historischen Denkmalstadt Görlitz einmal sein würden. Er überlieferte Grundsteinlegungen und Denkmalweihen, Kaiserparaden und Schützenfeste, Industrieausstellungen und Musikfeste.

Doch er wirkte längst nicht in Görlitz allein. Vielmehr leistete er auch mit Prämien und Preisen bedachte Beiträge zu den Wiener Gewerbeausstellungen 1875 und 1880, brachte Preise von Reisen nach Kalkutta und Philadelphia mit und hinterließ auch in Potsdam, München, Breslau und in der Hauptstadt Berlin reichhaltige fotografische Spuren. Als geradezu spektakulär gelten zum Beispiel seine Aufnahmen der königlichen Gärten in Berlin und Potsdam sowie Kunstpostkarten von München. 1876 reiste Robert Scholz zur Weltausstellung in Philadelphia.

In Görlitz arbeitete Robert Scholz nicht nur für Laufkunden, sondern legte sich ein reiches Archiv an, aus dem er bei Anforderungen immer schöpfen und Aufträge schnell bedienen konnte. Er fotografierte aber nicht nur Architektur, sondern auch die Menschen. Er schuf Naturstudien und Tieraufnahmen und erwies sich somit als gar nicht auf ein fotografisches Genre festgelegt. Um seinen Fotos eine weite Verbreitung zu sichern, gründete er 1893 eine Anstalt zur Fertigung von Zinkklischees (Ätzungen) und von Lichtdrucken. In Büchern und Festschriften, Bildmappen und Zeitungen erreichten seine Arbeiten auf dieser Grundlage eine zahlreiche Lesergemeinde. Stadtmotive, die im eigenen Ansichtspostkartenverlag erschienen waren, gingen als Kartengrüße in alle Welt. Auch mit seiner Privatsammlung historischer Stadtansichten, mit seinem Einsatz für die Stadtbildpflege und als Mitglied der „Görlitzer Liedertafel“ förderte Robert Scholz Geschichtsverständnis und Heimatliebe. 1913 beteiligte er sich mit großem Erfolg an der Breslauer Jahrhundert-Ausstellung. Auch die aufstrebende Industrie erkannte den Wert guter Fotos. Mehrere Fabrikbesitzer engagierten Robert Scholz zum Ablichten ihrer Firmen, Maschinen, Anlagen und sogar für Werbeaufnahmen.

   Nur eins allerdings stört heutige Chronisten mächtig: Scholz signierte seine Bilder fast nie. Deshalb ist es kaum möglich zu unterscheiden, wer von ihm oder seinen Söhnen oder auch Mitarbeitern die jeweiligen Bilder aufgenommen hat. Im Ratsarchiv laufen alle diese Bilder lediglich unter dem Namen Robert Scholz, selbst jene, auf denen der Meister selbst abgebildet ist. Und es sind bei Weitem nicht alle. Denn nur ein kleiner Teil seiner Negative konnte von den Städtischen Kunstsammlungen einst übernommen werden. „Das umfangreiche Postkartenarchiv durfte nicht genutzt werden, weil es zahlreiche schlesische Motive östlich der Neiße enthielt“, notierte der verdienstvolle Görlitzer Fotograf Werner Hahn in einer Denkschrift für Robert Scholz. Wo diese Negative verblieben sind, ist weiterhin unbekannt.

1920 übergab Robert Scholz das Atelier an seine Söhne Alfred und Felix. Seine Frau Bertha starb bereits im Jahr 1900, er folgte ihr am 21. Oktober 1926.