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Der Bäcker hat gerufen

Bäcker suchen händeringend Nachwuchs. Eine Auszubildende erzählt, was sie an dem Job liebt.

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© Dirk Zschiedrich

Von Franz Werfel

Neustadt/Freital. Mittwochmorgen, gegen halb sieben: Hochbetrieb herrscht im Stammhaus der Bäckerei Thomschke. Während die Chefin Liane Richter im Büro über Rechnungen sitzt und Bestellungen für den Lieferanten schreibt, wuseln in der Backstube sechs Leute. Am Ofen steht Hagen Richter. „Ich bin nur der Mann der Chefin, nicht der Inhaber“, ruft er zur Begrüßung – bevor er nach den Broten im Backofen schaut.

Seit 1902 gibt es die Bäckerei Thomschke im Neustädter Ortsteil Oberottendorf.
Seit 1902 gibt es die Bäckerei Thomschke im Neustädter Ortsteil Oberottendorf. © Dirk Zschiedrich
In speziellen Bast-Formen liegen die Sauerteig-Brote, bevor es in den Ofen geht.
In speziellen Bast-Formen liegen die Sauerteig-Brote, bevor es in den Ofen geht. © Dirk Zschiedrich
Zwei Bäckermeister am Ofen: Vater Hagen (l.) und Sohn Ludwig Richter.
Zwei Bäckermeister am Ofen: Vater Hagen (l.) und Sohn Ludwig Richter. © Dirk Zschiedrich
Auch Kuchen stellen die Bäcker jeden Tag frisch her – in runder Form.
Auch Kuchen stellen die Bäcker jeden Tag frisch her – in runder Form. © Dirk Zschiedrich

Am Tisch dahinter steht Berit Wonneberger und kümmert sich um die Kuchen. Die 19-Jährige ist Lehrling im dritten Lehrjahr. Ende Mai will sie ihre theoretische Prüfung schaffen. Es geht um Zutaten, Unterschiede in der Herstellung, Mathe, Arbeitsrecht, Hygiene und Wirtschaft. Kurz danach muss sie an der Meisterschule zeigen, dass sie es auch handwerklich drauf hat. Wer ihr bei der Arbeit zuschaut, hat keinen Zweifel, dass sie das packt. Im Akkord bestreichen drei Mitarbeiter Kuchenböden, Pflaumen und Quark werden aufgetragen, Wonneberger verteilt die Streuseln. „Die lieben unsere Kunden.“

Zu diesem Zeitpunkt haben Wonneberger und ihre Kollegen schon fünf Stunden gearbeitet. Sie haben Teig geknetet, die frischen Brötchen für diesen Tag abgebacken und den Brotteig in die Formen gebracht. Am Mittwoch nach dem 1. Mai begann die Schicht früher als sonst. „Macht mir nichts aus“, sagt Berit Wonneberger. Seit sie 14 ist, weiß sie, dass sie Bäckerin werden will. Bei einem Ferienjob in der Bäckerei Thomschke in ihrem Heimatort Oberottendorf hat sie den Beruf kennengelernt. Fünf Jahre später kann sie noch genau sagen, was sie damals so beeindruckt hat: „Zuhause habe ich schon immer gern gebacken. Da misst man die Zutaten genau ab, schlägt die Eier, rührt um.“ In der Bäckerei hat sie dann zum ersten Mal einen 10-Kilo-Butterblock gesehen. Das fand sie cool. „Ich kann jeden Tag mithelfen, aus einfachen Zutaten ganz viele verschiedene, leckere Dinge herzustellen.“ Hand-Werk im besten Sinne ist es, wofür die Bäckerei Thomschke, wie viele andere Bäckereien in der Region, steht.

In vier Filialen zwischen Neustadt und Bischofswerda liegen Punkt sechs Uhr die frischen Brötchen für die Kunden bereit. Wer das leisten will, muss sich mitten in der Nacht in die Backstube stellen. Für Bäcker ist das, was die meisten an ihrem Beruf bewundern, eine Selbstverständlichkeit. „Ich schlafe nachts vier Stunden und nach dem Dienst zwei“, sagt Berit Wonneberger. Sie schätzt es, dass nach dem Feierabend noch ein langer, ausgeschlafener Nachmittag vor ihr liegt. „Ich habe ein Pferd, das mir alles bedeutet. So habe ich viel Zeit dafür“, sagt sie. Um Freundschaften muss sie kämpfen. Am Freitag lange weggehen und feiern, ist bei ihrem Job nicht drin. Dafür braucht es im Freundeskreis Verständnis. Damit kann die junge Frau umgehen. „Mir macht mein Beruf Freude, damit komme ich klar.“ Sie würde sich freuen, wenn noch mehr Frauen es ihr gleichtäten. Viele Klischees stimmten nicht mehr. Zwar muss man bei der Arbeit viel stehen. „Aber was vor ein paar Jahren noch 50-Kilo-Mehlsäcke waren, wird heute zu 25 Kilo in die Bäckerei geliefert.“

Richtig gut läuft zurzeit die Bäckerei. „Es wird immer mehr“, sagt Chefin Liane Richter. Die Konditormeisterin führt das Geschäft in der vierten Generation. 1902 wurde es von ihrem Urgroßvater Albin Thomschke gegründet. Eigentlich muss sich Liane Richter keine Sorgen machen, denn: „Die Kunden achten zunehmend auf Qualität, schätzen unsere Arbeit und auch unsere eigenen Kreationen. Bäcker, die gute Ware anbieten, haben Zuspruch“, ist sie sicher. Das beliebte Mischbrot wird hier mit dem eigenen Natursauerteig zubereitet – wie seit 116 Jahren. Als Familienbetrieb, der Wert auf die Ausbildung und damit auf die Qualität legt, kann Familie Richter etwas leisten, was große Backdienste nicht schaffen: auch kleine Margen nach Kundengusto herstellen. Die Lieblingssorten von Azubi Berit Wonneberger sind Dinkel-Vollkornbrot und Quark-Kokos-Kuchen.

„Auch zu Hause probiere ich gern neue Rezepte aus. In der Weihnachtszeit experimentiere ich mit Pralinen.“ Das Handwerk sei etwas Schönes, sagt sie, „es können ja nicht alle zum Studium gehen.“ Dafür müssen die Bäcker attraktiver werden. Chefin Liane Richter sagt: „Wir können keine Löhne wie in der Industrie zahlen. Aber meine Leute haben eine Fünf-Tage-Woche, Überstunden fallen nur selten an und wir haben kein Schichtsystem.“ Auch wenn sie bisher noch Glück und derzeit 27 Angestellte hat: In manchen Backstuben im Landkreis fehlen Arbeitskräfte schon jetzt. In diesem Jahr treten nur acht Lehrlinge zur Gesellenprüfungen an, drei zur Zwischenprüfung. „Das ist zu wenig“, heißt es von der Kreishandwerkerschaft. Berit Wonneberger ist eine von ihnen. Sie will die Prüfung schaffen und erst mal bei den Richters bleiben.