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Der Abschied des Rabbiners

Nach nur sechs Jahren verlässt Alexander Nachama die jüdische Gemeinde in Dresden. An der Stadt und ihren Problemen liegt es nicht, sagt er.

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© dpa/Sebastian Kahnert

Von Henry Berndt

Schweinefleisch kommt nicht auf den Tisch. So viel ist klar. Allerdings darf auch Fleischiges und Milchiges nicht vermischt werden. Wenn Alexander Nachama in ein Restaurant in Dresden einkehrte, dann aß er zur Sicherheit lieber gleich vegetarisch, auch wenn er kein Vegetarier ist. Fleisch gab es nur zu Hause bei seiner Frau. Damit gehört der 34-jährige Nachama dennoch zu den liberalen Vertretern des Judentums. Ein Orthodoxer würde ein Restaurant mit Schweinefleisch in der Küche gar nicht erst betreten.

2012 wurde der Enkel des berühmten Berliner Oberkantors Estrongo „Eto“ Nachama zum ersten Rabbiner der jüdischen Gemeinde zu Dresden seit 1938 ernannt. Ab Samstag aber, nur sechs Jahre später, wird die Gemeinde wieder ohne Rabbiner dastehen. Vorerst zumindest. Nachama sagt „Vay“, hebräisch für „Tschüß“, und wechselt als Landesrabbiner nach Thüringen. Seine Nachfolge ist noch nicht geklärt.

Spürbarer Abschiedsschmerz

Für Nachama beginnt das nächste Abenteuer dagegen unmittelbar. „Ich bin schon nach Erfurt umzogen“, sagt er. Seinen Abschiedsgottesdienst leitete er bereits Mitte des Monats. Nur noch wenige Stunden verbrachte er seitdem in seinem Büro im Gemeindezentrum gleich neben der neuen Synagoge an der Carolabrücke. Vor allem führte er noch Gespräche mit Gemeindemitgliedern. Er musste viel erklären. Das allgemeine Bedauern über seinen Abschied war in den Gängen spürbar. Nachama macht das traurig und froh zugleich. „Das zeigt doch auch, dass ich meine Aufgabe hier nicht so schlecht gemeistert habe“, sagt er und lächelt leise. Er selbst könne seinen bevorstehenden Abschied „noch gar nicht so richtig greifen“. Auch wenn er sich sicher ist, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, falle ihm der Schritt auch schwer. Einige enge Freundschaften hätten sich hier entwickelt. Außerdem war es seine erste Station als Rabbiner, die er mit fast jugendlichen 29 Jahren antrat. Dennoch sei er von der Gemeinde von Anfang an mit großem Respekt aufgenommen worden.

Nun ist er 34 und man spürt, dass er sich zu rastlos fühlt, um hier länger zu verweilen. In Thüringen wird er künftig für drei Gemeinden zuständig sein. Ein Aufstieg, wenngleich das für ihn nicht entscheidend ist. „Mich reizen solche Herausforderungen“, sagt er, „und ich bin mir sicher, dass es auch für die Gemeinde in Dresden positiv sein kann, neue Impulse von außen zu bekommen.“ Anders als noch vor 20 Jahren kämen heute in Deutschland zahlreiche junge aufstrebende Rabbiner für seine Nachfolge infrage.

Eines möchte Nachama aber unbedingt klarstellen: Das schlechte Image von Sachsen im Allgemeinen und Dresden im Speziellen spiele bei seinem Weggang keinerlei Rolle, wenngleich er sich noch vor wenigen Wochen öffentlich über die zunehmenden antisemitischen Angriffe in der Gesellschaft beklagte. „In der Anfangszeit haben die Massen bei Pegida viele Gemeindemitglieder beunruhigt“, sagt Nachama. „Auch wenn sich das ein bisschen gelegt hat, gibt es doch immer wieder Vorfälle in Sachsen, die man nicht verharmlosen sollte. Chemnitz ist das beste Beispiel dafür.“

Er selbst sei in Dresden nie angefeindet worden, was jedoch auch daran lag, dass er auf der Straße keine Kippa trage. „Ich will mich nicht in Gefahr begeben und nicht so offen meine Religion zeigen.“ Das habe er schon in der Kindheit gelernt. Mit Dresden habe das nichts zu tun. „Die Stadt ist eine neue Heimat für mich geworden. Ich habe mich hier sehr wohlgefühlt.“ Vor zwei Jahre heiratete er hier seine Frau, wenige Monate später kam ihr gemeinsamer Sohn zur Welt. „Diese Erlebnisse werden mich immer mit Dresden verbinden.“

Traditionen brauchen Zeit

Nachama hinterlässt eine lebendige Gemeinde mit 720 Mitgliedern. Das sind genauso viele wie bei seinem Antritt. Die meisten von ihnen sind Zuwanderer aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Viele hätten in ihren Ländern lange ihre Tradition nicht frei ausleben können. Daher hätte es auch Zeit gebraucht, sich mit den Traditionen vertraut zu machen. Zum Beispiel dem Gottesdienst mit Morgengebet. Noch vor einigen Jahren gab es den in Dresden nur alle vier Wochen. Zuletzt waren es drei bis vier Gottesdienste im Monat.

Es sei nie sein Ansinnen gewesen, die Dresdner Gemeinde umzukrempeln. „Als Rabbiner bringt man ja auch keine Agenda mit wie ein Politiker“, sagt er. Stattdessen habe er auf Nachwuchsgewinnung und sanfte Veränderungen gesetzt, unter der Maxime: der Tradition verbunden und offen für die Moderne. Stets wollte er dabei anderen ein Beispiel sein. So fuhr er zum Sabbat beispielsweise nie mit dem Auto in die Synagoge. Eine Kleinigkeit vielleicht, aber eine mit Symbolkraft.