Merken

Dement am Steuer

Die Zahl Betroffener steigt. Das Uniklinikum versucht, sie auf die Gefahren hinzuweisen.

Teilen
Folgen
© dpa

Von Juliane Richter

Etwa 20 Minuten hält die Fassade. Doch bald danach sinkt die Konzentration, werden die Antworten unpräziser oder fällt es den Patienten schwer, die richtigen Worte zu finden. Diese Erfahrung macht Dr. Robert Haußmann in der Gedächtnisambulanz des Uniklinikums täglich, wenn sich ihm demente Patienten vorstellen. Von den jährlich bis zu 800 älteren Patienten, die mit Gedächtnisproblemen zu ihm kommen, leiden mehr als 600 an einer Form von Demenz. Das Problem: Viele von ihnen fahren noch Auto, obwohl sie dazu eigentlich nicht mehr in der Lage sind.

Robert Haußmann
Robert Haußmann © Sven Ellger

Denn die Patienten haben Orientierungsschwierigkeiten, können komplexe Situationen nicht mehr richtig erfassen und sind zum Beispiel auch vom Fahren überfordert, wenn sie gleichzeitig auf das Navi achten müssen. Die Folgen sind Fehler und Unfälle. Häufig sind es Bagatellschäden, wie Parkrempler. Eine Statistik darüber, wie viele Verkehrsunfälle von dementen Fahrern verursacht werden, gibt es nicht. Für Dresden zeigt die Polizeistatistik, dass bei den Unfallverursachern der Anteil der Senioren über 65 Jahren langsam wächst. Waren im Jahr 2013 noch 16 Prozent der Unfallverursacher Senioren, waren es 2017 schon 19 Prozent. Die Polizei sieht darin allerdings noch keine beunruhigende Entwicklung, sondern vielmehr eine logische Konsequenz der zunehmenden Alterung der Bevölkerung.

Robert Haußmann ist beim Blick in die Zukunft dagegen sehr besorgt: Derzeit leben rund 1,2 Millionen Demenzkranke in Deutschland, Tendenz stark steigend. Etwa 800 000 von ihnen fahren noch Auto. Der Dresdner Verkehrspsychologe Dr. Thomas Wagner sagt, dass ab einer mittelschweren Demenz gar keine Fahrtauglichkeit mehr besteht. Doch was tun? Der Gesetzgeber wird in Deutschland erst aktiv, wenn schon Unfälle im Straßenverkehr geschehen sind. Obligatorische Fahreignungstests ab einem gewissen Alter gibt es hierzulande nicht. Für etwas mehr Gewissheit über die eigene Fahrtauglichkeit können spezielle Tests von ADAC und Dekra sorgen. Dort werden zum einen die Sinnesorgane wie die Augen untersucht und zum anderen Reaktionstests und Tests zur Orientierungsfähigkeit durchgeführt. Entscheidend ist, wie der Getestete im Vergleich zum Durchschnitt in seiner Altersgruppe abschneidet. Denn dass Menschen im Alter etwas langsamer werden, ist normal. Deshalb wird nicht gleich Alarm geschlagen.

Thomas Wagner betreut diese Mobilitätschecks bei der Dekra Dresden, die dort 200 Euro kosten. Er ist relativ ernüchtert. „Die Nachfrage ist verschwindend gering. Es kommen einige wenige im Monat. Und das sind meist die Fitteren, die sich das bestätigen lassen wollen“, sagt er. Wagner sieht das Dilemma, dass an die Betroffenen, von denen wirklich eine Gefahr ausgeht, nur schwer heranzukommen ist.

Robert Haußmann vom Uniklinikum versucht in der Gedächtnisambulanz auf das Problem aufmerksam zu machen. Viel Einfühlungsvermögen sei gefragt, oft müssen die Angehörigen mit ins Boot geholt werden. Denn: Häufig sind die Betroffenen durch die Erkrankung kritikgemindert und schätzen ihre eigenen Fähigkeiten falsch ein. Als behandelnder Mediziner hat er die Pflicht, über die eingeschränkte Fahreignung aufzuklären. Er kann aber sogar auch ein ärztliches Fahrverbot aussprechen oder Auflagen erteilen. Etwa, dass die Patienten Stoßzeiten oder Nachtfahrten vermeiden sollen. In den meisten Fällen sind Männer die Betroffenen. Dann erklärt Haußmann den Ehefrauen auch die rechtlichen Konsequenzen. Bei einem Unfall zahlt womöglich die Haftpflichtversicherung nicht, wenn eine diagnostizierte Demenz und die ärztliche Aufklärung ignoriert wurden. Manchmal könne den Angehörigen auch geraten werden, die Autobatterie abzuklemmen, das Auto umzuparken oder den Schlüssel zu verstecken. Die Patienten würden das Problem irgendwann vergessen.

In ganz schweren Fällen kann er der Fahrerlaubnisbehörde seine Bedenken äußern. Das komme aber nur bei maximal fünf Fällen im Jahr vor. Er gibt außerdem den Hinweis, dass sich auch Angehörige anonym an die Fahrerlaubnisbehörde wenden können, bei einem konkreten Anlass.

Eine Untersuchung von Verkehrspsychologe Wagner hat gezeigt, dass bei einer Vorladung durch die Behörde viele ältere Fahrer ihren Führerschein sogleich abgeben. „Die Vermutung liegt nahe, dass diese Menschen doch wissen, dass mit ihnen etwas nicht in Ordnung ist“, sagt er.