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Delikatessen vom Elefanten

Im Kohlrübenwinter vor 100 Jahren hungerten die Dresdner. Da bekam ein Wirt ein ungewöhnliches Angebot.

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© Sammlung H. Naumann

Von Lars Kühl und Andreas Them

Roh hat es als Schabefleisch vorzüglich geschmeckt. Auch zu Sülze zubereitet war es mit feiner Kräutertunke eine Delikatesse, gehackt nach deutscher Art mit Kartoffeln sowieso. Der Schwanz gab ein feines Ragout ab. Der Rüssel wurde gepökelt und mit Kloß serviert. Moment mal, ein Rüssel? Vor 100 Jahren stand Seltsames auf der Speisekarte in der Bärenschänke.

Ein Zirkus-Elefant spielte dabei eine große Rolle.
Ein Zirkus-Elefant spielte dabei eine große Rolle. © Sammlung H. Naumann

Damals war das 1887 als Jagdgaststätte eröffnete urige Lokal eine angesagte Adresse für gutbürgerliche Küche. Altmarkt-Nähe, zunächst an der Webergasse 27, später erweitert um mehrere Hausnummern bis zur Zahnsgasse. Hier ging der Dresdner hin, wenn er preiswert und volkstümlich speisen wollte. Bei seiner Zerstörung 1945 hatte das Etablissement rund 1 000 Plätze.

1917 gehörte die Bärenschänke Karl Höhne. Deutschland befand sich im vierten Jahr des Ersten Weltkrieges. Die anfängliche Euphorie in der Bevölkerung war längst einer lähmenden Ernüchterung gewichen. Die Unzufriedenheit unter den kriegsmüden Menschen stieg. Dazu kam ein extrem harter Winter. Schon Ende 1916 hatte das städtische Lebensmittelamt mitgeteilt: Kartoffeln sind aus. Die Provinz Posen, für die Lieferung nach Dresden zuständig, kam ihrer Aufgabe nur zögerlich und unregelmäßig nach. Ersatz musste her.

Gefunden wurde er in der Steckrübe, die vor allem die Bauern in den norddeutschen Ländern anbauten. Die Ernte war gut gewesen, es gab große Vorräte. Auch die Dresdner mussten auf das Gemüse zurückgreifen, welches der harten Zeit den Namen Kohlrübenwinter verpasste. Ein Merkblatt mit Rezeptvorschlägen gab es in den Lebensmittelgeschäften dazu. Der besondere Nährstoffgehalt wurde hervorgehoben, die schwierige Verdauung in den ausgehungerten Mägen aber verschwiegen.

In den ersten drei Monaten des Jahres 1917 wurde die Not immer größer. Die Feldküchen an den öffentlichen Plätzen kamen mit der Ausgabe warmer Mahlzeiten kaum hinterher. Während es im Januar noch gut 300 000 Portionen waren, zählte man im März fast 640 000. Immer mehr Ideen sprossen, um die Nahrungsknappheit zu lindern. So sollten die Kohlrüben als Schnipsel wie getrocknete Pilze aufbewahrt werden oder bei der Herstellung von Sauerkraut den Weißkohl ersetzen. Wildgemüse wurde genauso gesammelt wie Obstkerne, aus denen man versuchte, Öl für die Margarineherstellung zu gewinnen. Brot wurde bis zu 70 Prozent aus Futterrüben gemacht. Ab April 1917 war es dann verboten, Kuchen zu backen. Auf Stollen mussten die Dresdner schon in der vorangegangenen Weihnachtszeit verzichten.

Die meisten Stadtbewohner magerten immer mehr ab. Fleisch war so selten geworden, dass die Menschen auf eigenartige Einfälle kamen.

Dies war die Zeit, als der Bärenschänken-Besitzer Karl Höhne auf ein Angebot des Zirkus Stosch-Sarrasani aufmerksam wurde. Der wollte einen jungen Elefanten verkaufen, berichtet der Wirt Jahre später in einer Festschrift zum 25. Jubiläum seiner Geschäftsübernahme. „Um dieses Tier bewarben sich Kempinski, Aschinger und Borchardt in Berlin, mehrere Fabrikanten für ihre Kantine und andere.“ Höhne hatte erst in letzter Stunde von der ungewöhnlichen Offerte erfahren.

Der Elefant, so makaber und traurig das heute klingt, gab dem Kneipier die unverhoffte Möglichkeit, seinen Gästen „einen Berg Fleisch zu bieten“. Kurzentschlossen kaufte er das 2 684 Kilogramm schwere Tier für den damals stolzen Preis von 8 079 Mark. Höhne bekam es aber nicht geschlachtet geliefert. Zusammen mit dem Rittergutsbesitzer Roßberg aus Glaubitz bei Königsbrück erschoss er den Rüsselträger. Die zweite von vier Kugeln, abgefeuert aus Höhnes 7,8 Millimeter-Büchse, war tödlich. Das Ereignis war eine Riesennummer und machte weit über Sachsens Grenzen hinaus jede Menge Schlagzeilen.

Für die Dresdner Bevölkerung bedeutete der Elefant in einer harten Zeit vor allem endlich wieder nahrhaftes Fleisch. 1 537 Kilo wurden gewonnen. Im April gab es das eingangs beschriebene Delikatessen-Essen. Das Zirkustier ähnelte im Geschmack dem Rind. Den Rüssel, die Zunge, die Lunge, die Nieren, das Herz, den Kopf, den Schwanz, selbst die Füße und das Leder verarbeiteten die Fleischer. Allein aus den 24 Kilo Leber machten sie 348 Portionen Leberknödel, aus dem Blut 360 Portionen Tiegelwurst.