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Dauerstress auf Station 78

Die Städtischen Kliniken von Dresden suchen mehr Pflegepersonal. Ein Besuch offenbart den Zeit- und Kostendruck.

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© Sven Ellger

Von Juliane Richter

Eine Krankenschwester für 36 voll belegte Betten – von 21.45 Uhr abends bis 6.15 Uhr morgens. In ihrer Nachtschicht musste Schwester Brit zwei fiebernde Patienten versorgen, einen anderen auf den Nachtstuhl heben und wieder andere regelmäßig drehen, damit sie sich nicht wund liegen. Eine durchschnittliche Nacht liegt hinter ihr, als sie kurz vor sechs Uhr mit der Übergabe beginnt. Dass es auch anders geht, wissen ihre fünf Kolleginnen, die mit ihr am Tisch sitzen. Wenn nachts Neuzugänge kommen, pflegeintensive oder gar Isolationsfälle anstehen, ist an Verschnaufpausen nicht zu denken.

Schwester Katja gibt die Medikamente aus. Zwei bis drei Stunden dauert bereits deren Zusammenstellung für alle Patienten.
Schwester Katja gibt die Medikamente aus. Zwei bis drei Stunden dauert bereits deren Zusammenstellung für alle Patienten. © Sven Ellger
Parallel machen Schwester Diana und Schwester Silke mit routinierten Handgriffen die Betten.
Parallel machen Schwester Diana und Schwester Silke mit routinierten Handgriffen die Betten. © Sven Ellger
Am Buffetwagen gibt es Frühstück. Früher mussten die Schwestern auch noch das Essen zum Patienten bringen.
Am Buffetwagen gibt es Frühstück. Früher mussten die Schwestern auch noch das Essen zum Patienten bringen. © Sven Ellger

Nach dieser beinahe ruhigen Nacht liegen identische A4-Zettel vor den Schwestern, auf denen sie sich Notizen zu den Patienten machen. Ihr Laufzettel umfasst die wichtigsten Infos für den Tag auf Station 78 – der Hautklinik – in Haus K am Friedrichstädter Klinikum. Auf der Station werden Männer und Frauen behandelt, die zum Beispiel unter Neurodermitis, Ekzemen, speziellen Herpesarten, bösartigen Hauttumoren oder auch offenen Beinen leiden. Seit einigen Tagen lebt zudem eine sechsköpfige Familie auf der Station, bei der alle Mitglieder an Krätze erkrankt sind. Weil die zwei Erwachsenen und vier Kinder an diesem Tag gebadet werden müssen, sind in diesem Frühdienst vier statt fünf Schwestern da. Mit dem Journalistenbesuch habe die Aufstockung nichts zu tun.

Die Station verschafft dem Pflegepersonal einen etwas anderen Tagesablauf als im üblichen Krankenhausalltag. Während die Arbeit auf anderen Stationen durch Mahlzeiten, Visite und Untersuchungen bestimmt wird, müssen die Schwestern auf Station 78 auch behandeln. Viele Patienten müssen eingecremt werden. Jene, die zu alt oder psychisch eingeschränkt sind, brauchen dabei Hilfe. Und das ist zeitaufwendig. „Die Haut am Kopf unterscheidet sich aber stark von der an den Händen oder der Leistengegend. Hier müssen wir oft mit verschiedenen Cremes arbeiten“, sagt Stationsleiterin Annett Fränkel.

Auch Infusionen und Tabletten gehören zur Behandlung. Zwischen zwei und drei Stunden dauert allein das Vorbereiten der gesamten Tablettenmenge für einen Tag. Zum Beginn der Frühschicht ballen sich die Aufgaben. Wenn genug Personal da ist, macht ein Zweierteam die Betten. Eine andere Schwester gibt die erste Runde Tabletten aus, misst den Blutzuckerspiegel oder nimmt Blut ab. Heute ist Schwester Katja dafür zuständig. Mit flottem Dauerschritt läuft sie über den Gang. Das Blutabnehmen bei einem 77-Jährigen kostet Zeit, weil seine Venen in den kräftigen Armen kaum zu sehen sind. Trotzdem trifft sie beim ersten Versuch. Dann noch schnell den leeren Desinfektionsspender an der Tür ersetzen, bei einer Patientin eine Infusion anhängen, bei einem älteren Mann Fäden ziehen. An seiner Schläfe zeigt sich eine kreisrunde transplantierte Hautpartie, etwas größer als ein Zwei-Euro-Stück. Eine bösartige Hautveränderung musste entfernt und Gewebe vom Oberschenkel dorthin transplantiert werden. Zeit zum Reden bleibt kaum. Konzentriert muss sie die Patientennamen von Bett und Liste vergleichen und den Nächsten ins Behandlungszimmer holen. Dann hetzt sie weiter, immer wieder über den Gang. Einen Schrittzähler hat sie nicht. Ihr Tempo lässt vermuten, dass sie das empfohlene Tagesziel von 10 000 Schritten locker überschreitet.

Zwei Stellen fallen noch weg

Auch Stationsleiterin Annett Fränkel ist in der „Kanzel“ – dem zentralen Glaskasten der Station – voll eingebunden. Sie organisiert, dass Betten bis 9 Uhr frei werden, damit sie schnell wieder belegt werden können. Denn leere Betten sind unwirtschaftlich. Danach begleitet sie die Ärzte bei der Visite. Hier muss die 56-Jährige sorgsam jede Entscheidung zu Therapie, Medikamenten oder Entlassung mitschreiben. Die Dokumentation nimmt einen großen Teil der Arbeit ein. Auch die anderen Schwestern sitzen mittags mindestens eine Stunde, um alle Maßnahmen an den Patienten oder auch eintreffende Laborwerte einzutragen. Über den Stresspegel wollen sie kaum sprechen. „Das ist halt so“, heißt es.

Der größte Teil der exakt 15,4 Vollzeitkräfte dieser Station ist 50 Jahre und älter. Nachwuchs für die Pflege zu finden, ist schwierig. „Welche Jugendlichen haben heute noch Lust auf Schichtdienste?“, fragt eine Schwester. Die Arbeit ist körperlich anstrengend, obwohl per Knopfdruck verstellbare Betten oder Lifter, um Patienten von einem in ein anderes Bett zu heben, bereits vieles erleichtern. Doch gerade wenn die Station unterbesetzt ist, geraten die Schwestern an ihre Grenzen. Bei stark Übergewichtigen, die frische Beinverbände brauchen, sei es allein kaum möglich, die schweren Gliedmaßen zu umwickeln. Auf andere tägliche Arbeiten, wie das Bettenmachen oder Staubwischen, muss bei Engpässen verzichtet werden.

„Es gibt zwar einen Pool von Springern, die aushelfen könnten, aber die sind schon immer anders verplant“, sagt Annett Fränkel. Also stemmt das eingespielte Team Personalausfälle meist selbst. Das macht sich bei den Überstunden bemerkbar. Die Pinnwand mit den Dienstplänen zeigt hinter einigen Namen 50 und mehr Stunden. Direkt daneben hängt ein Aufruf von Verdi zur Demo an diesem Sonnabend – gegen den Personalmangel in der Pflege. Der wird die Station dieses Jahr noch stärker treffen. 1,9 Stellen muss Fränkel noch abgeben. Gekündigt werden die Kolleginnen nicht, aber umversetzt. Wie das funktionieren soll, entlockt ihr zunächst ein resigniertes Schulterzucken. „Wir müssen schauen, wie wir Arbeitsabläufe noch besser gestalten können.“ Dass im Tagesablauf noch Luft sein soll, ist schwer zu glauben. Die halbe Stunde Pause, die die Schwestern meist in Zweierteams antreten, fällt schon jetzt oft genug aus.