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Das Wunder von Chemnitz

Insolvenz, Abstieg, politische Vereinnahmung – das Chaos tobt. Der CFC hält mit einer Serie dagegen, die im deutschen Profifußball einmalig ist.

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© dpa/Robert Michael

Von Tino Meyer

Die Glückwünsche lehnt er ab, kategorisch. Was soll aber noch schiefgehen? Zwölf Siege in den ersten zwölf Saisonspielen sind nicht nur eine beeindruckende Erfolgsserie, die es so im deutschen Profifußball, also von der Bundes- bis zur viertklassigen Regionalliga, noch nie gegeben hat. Vor allem beschert diese Bilanz dem Chemnitzer FC einen riesigen Vorsprung in der Regionalliga-Tabelle.

Von wegen Krise, Absteiger, Chaosverein! Zehn Punkte liegt der CFC vor dem Zweitplatzierten, die sofortige Rückkehr in die 3. Liga ist mehr als nur möglich, sie scheint so gut wie perfekt zu sein. Nur der Trainer widerspricht. „Ich lasse mir nicht zum Aufstieg gratulieren. Wir leben nicht im Wolkenkuckucksheim und wissen, dass es immer schwerer wird“, sagt David Bergner. Der Mann ist vorsichtig, und das aus gutem Grund. Die Erinnerungen an die vergangene Saison sind noch zu frisch, vergessen können wird er die nicht enden wollenden Turbulenzen sowieso nicht so schnell.

Erst der schleichende sportliche wie wirtschaftliche Niedergang bei Rot-Weiß Erfurt, wo Bergner seit 2016 in verschiedenen Funktionen und schließlich im Herbst 2017 für sieben Wochen als Cheftrainer tätig war, dann die Duplizität der Ereignisse in Chemnitz. „Ich habe in der Zeit viel gelernt und auch viel lernen müssen“, sagt der 44-Jährige.

Als er bei den Himmelblauen am 6. Januar 2018 das Traineramt übernahm, war auch dort längst nichts mehr rosarot. Der Verein steckte schon länger in großen finanziellen Schwierigkeiten, richtete seine Planungen jedoch weiter auf den baldigen Aufstieg in die zweite Liga aus. Als es sportlich in die Gegenrichtung lief, beschleunigten sich die wirtschaftlichen Probleme. Am Ende standen die Insolvenz und der Abstieg. „Wir sind ja nicht nur sang- und klanglos abgestiegen. Der Verein lag in Schutt und Asche, so muss man das wirklich sagen“, meint Bergner.

Es liegt aber gerade ostdeutschen Traditionsvereinen inne, dass es immer weitergeht – allen Abstürzen zum Trotz. Und auch der Versuch der politischen Vereinnahmung verbindet, offenbar speziell sächsische Klubs. „Wir sind sehr fragil“, sagt Bergner, macht eine kurze Pause und fügt an: „In allen Richtungen.“ Die Regionalliga sei halt nur vierte Liga, was Erklärung in ebenfalls allen Richtungen ist.

Sportlich mangelt es an Relevanz, bei Sponsoren und Zuschauern demnach an Interesse. Dieses Vakuum wird dann gern gefüllt als Tummelplatz von Randgruppen. So auch in Chemnitz, als der Fußballverein im August unverschuldet ins Zentrum politischer, gesellschaftlicher und kultureller Auseinandersetzungen infolge des gewaltsamen Todes eines 35-jährigen Deutschen geriet. Das Ligaspiel gegen den Berliner AK rückte plötzlich bundesweit in die Schlagzeilen, weil sich der türkisch geprägte Verein in Chemnitz nicht sicher fühlte. Der CFC reagierte mit einem ganz klaren Bekenntnis für Toleranz und gegen Fremdenhass – sowie einem 3:1-Sieg.

Wie er diese Turbulenzen aus den Köpfen der Spieler bekomme, wurde der Trainer danach gefragt. „Indem man das nicht pausenlos thematisiert. Die Jungs sind nicht hier, um Politik zu machen, sie wollen Fußball spielen“, antwortete Bergner. Natürlich hat auch er überlegt, wie es weitergeht, vor allem ob überhaupt in Chemnitz. Schließlich hat der Familienvater mit Wohnsitz in Leipzig nach dem freiwilligen Abschied als Nachwuchstrainer bei Dynamo Dresden im Sommer 2015 den nächsten Schritt machen wollen in seiner Karriere. Passt dazu ein insolventer Viertligist? Ja – findet Bergner, der mit Dynamos A-Jugend den Bundesliga-Aufstieg geschafft hatte. Nun darf er sich wieder Erfolgstrainer nennen.

Aber auch das weist er zurück, hebt seinen Co-Trainer Sreto Ristic hervor, außerdem Torwarttrainer und Ex-Dynamo Thomas Köhler, den Betreuerstab. „Hinter der Mannschaft steht ein Team, zu dem auch Sportchef Thomas Sobotzik gehört“, sagt Bergner und spricht von einem Projekt.

Der Aufstieg ist nicht das Ziel

18 Neuzugänge wurden dafür im Sommer verpflichtet, mancher auch überredet, mit Dennis Grote und Daniel Frahn darüber hinaus zwei Identifikationsfiguren aus den Vorjahren gehalten. Den Neuanfang in Chemnitz leitet jedoch nach wie vor der Insolvenzverwalter.

Klaus Siemon muss alle Ausgaben genehmigen, vom Bleistift in der Geschäftsstelle über neue Bälle fürs Training bis hin zum Mittagessen der Profis. „Herr Siemon hat die Brocken, die dalagen, versucht zusammenzubasteln und damit ein Restgebilde zu erhalten“, sagt Bergner und bezeichnet die Einsetzung dieses Insolvenzverwalters sowie das Engagement von Sportchef Sobotzik als die richtungsweisenden Entscheidungen für den Verein in den vergangenen Jahren.

Die ersten Schritte nach der Bestandsaufnahme im Sommer seien getan, findet Bergner. Bis zur ersten Etage des neuen Chemnitzer Fußballhauses aber, um das sprachliche Bild der Baustelle weiter zu verfolgen, fehlt aber einiges. „Wir sind immer noch dabei, das Fundament zu gießen“, sagt er. Selbst diese wundersame Siegesserie, die der CFC am vergangenen Samstag mit dem Weiterkommen im Sachsenpokal auf 13 Erfolge ausgebaut hat, reiche aus seiner Sicht nicht mal ansatzweise dazu, eine Bodenplatte zu legen.

Und um den Aufstieg gehe es schon mal gar nicht. „Da sagen doch alle: Die in Chemnitz sind genauso größenwahnsinnig wie vor drei, vier Jahren, als hier von der zweiten Liga gesprochen wurde. Wir sind demütig genug und wissen, dass vor drei Monaten alles in Trümmern lag. Wir sind etwas rausgekrabbelt aus der Asche, leben aber immer noch von der Hand in den Mund“, betont der Trainer.

Der nächste Schritt ist ein wirtschaftlicher, mit der Ausgliederung der Profi-Abteilung in eine GmbH. Auch die Siegesserie hilft natürlich, zunächst mal fürs Image. „Wir kriegen keine Zusatzpunkte. Doch die Serie ist da. Sie schürt die Aufmerksamkeit, weil sie einzigartig ist“, sagt Bergner. Eine kleine Trendwende, meint er, habe man hinbekommen, mehr nicht. Zumindest dafür könnte auch er sich gratulieren lassen.