Merken

Das Wunder vom Kaukasus

Vor 25 Jahren besiegelten Gorbatschow und Kohl in trauter Einheit das Ende des Kalten Krieges – und die deutsche Einheit.

Teilen
Folgen
© dpa

Von Ulf Mauder und Kristina Dunz

In der Bergluft sieht man vieles klarer, sagt Michail Gorbatschow am 15. Juli 1990 in Moskau zu Helmut Kohl. Der sowjetische Staatspräsident schlägt dem deutschen Bundeskanzler einen Ausflug in den Kaukasus vor, um im Gebirge über die hochbrisante Frage der künftigen militärischen Verortung Deutschlands nach dem Mauerfall zu sprechen. In seinem Buch „Erinnerungen 1990 - 1994“ schreibt Kohl Jahre später: „Ich sagte, dass ich nur fahren würde, wenn am Ende unserer Gespräche die volle Souveränität des vereinten Deutschlands und dessen uneingeschränkte Nato-Mitgliedschaft stünden.“ Gorbatschow antwortet: „Wir sollten fliegen.“

Es werden Bilder um die Welt gehen, wie die beiden Staatenlenker in Freizeitkleidung  – Kohl in Strickjacke, Gorbatschow im Pullover – lachend auf Baumstammbänken und an einem runden Holztisch sitzen. Dort plaudern sie über „Gott und die Welt“, wie sich Kohl erinnert.

Einen Tag später, am 16. Juli 1990, kann Kohl in Schelesnowodsk verkünden, dass Deutschland nach der Wiedervereinigung Nato-Mitglied bleiben kann und die in der DDR stationierten sowjetischen Truppen abziehen sollen. Die Vereinbarung geht als das „Wunder vom Kaukasus“ in die Geschichte ein und der Kalte Krieg zu Ende. Die deutsche Einheit kann besiegelt werden. Im Gegenzug handelt Gorbatschow, der sich mit US-Präsident Bush abgestimmt hatte, große Zahlungen und wirtschaftliche Unterstützung für sein Land aus.

Im Oktober 1991 hält es der damalige Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Willy Wimmer (CDU), sogar für möglich, dass die sowjetischen Streitkräfte in die Nato integriert werden. Es sei denkbar, dass durch die Dynamik der politischen Entwicklung auf der nördlichen Hemisphäre der letzte aus Ostdeutschland abziehende sowjetische Soldat das Land bereits als Verbündeter der Bundeswehr verlasse – eine Illusion.

25 Jahre später sieht das Verhältnis der Nato zu Russland düster aus. Lange ging die russische Führung davon aus, dass sich mit dem Abzug der Truppen aus Ostdeutschland und dem Ja zu einer Mitgliedschaft des vereinten Deutschlands in der Nato auch die Ausdehnung des Militärbündnisses nach Osten erledigt hätte. Doch das Gegenteil ist der Fall. Unter anderem treten mehrere Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts – Polen, Tschechien und Ungarn – der Nato bei. 25 Jahre nach dem Mauerfall beklagt Gorbatschow 2014, der Westen habe durch die Nato-Osterweiterung mit dem Geist der Vereinbarungen nach dem Ende des Kalten Krieges gebrochen.

Neuer Tiefpunkt der Beziehungen

Als im vorigen Jahr das autoritäre Regime des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch stürzte und die neue Führung in Kiew ihren Willen zum Nato-Beitritt erklärte, sahen die Russen endgültig Gefahr im Verzug. Unter internationalem Protest entrissen sie dem Nachbarland die Halbinsel Krim, wo seit mehr als 200 Jahren die russische Schwarzmeerflotte stationiert ist. Kremlchef Wladimir Putin frotzelte, es sei doch besser, die Kollegen von der Nato auf die Krim einzuladen als umgekehrt.

Auch Gorbatschow, sonst ein scharfer Kritiker Putins, unterstützte die Operation Krim. Experten aber halten dem Friedensnobelpreisträger schwere Fehler vor. „Gorbatschow achtete damals nicht besonders auf den Inhalt und die Details der Vereinbarungen – auch nicht für die Nato. Für ihn war wichtig, eine bedeutende Rolle bei der Wiedervereinigung zu spielen“, sagt Wladislaw Below, Direktor des Zentrums für Deutschland-Forschung bei der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau. Gorbatschow habe einfach dem Wort der Deutschen geglaubt - „wie ein Kind“.

Der Abzug der sowjetischen Truppen sei zwar logistisch glänzend gelaufen. „Aber in der Sowjetunion hat sie niemand besonders erwartet“, sagt Below. Für stolze Offiziersfamilien sei das erniedrigend gewesen. Eine Schmach, dass sie ungeachtet ihres Sieges im Zweiten Weltkrieg nach dem Fall der Mauer wie Verlierer abziehen mussten. Und wie ein Sinnbild für den verletzten Stolz brannte sich in das nationale Gedächtnis der Russen der Auftritt des damaligen Präsidenten Boris Jelzin ein: Betrunken dirigierte er bei einem Festakt in Berlin zum Abschluss des Truppenabzugs.

Seit dem Ausbruch des Ukraine-Konflikts sieht sich die Nato zur Neuaufstellung getrieben. Es gibt eine schnelle Eingreiftruppe, stärkere Präsenz im Baltikum und mehr Militärmanöver. Die Atommacht Russland wiederum stufte die Nato in einer neuen Version der Militärdoktrin als Gefahr für die Sicherheit des Landes ein. Auch Moskau rüstet nun auf. (dpa)