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„Das Völkchen hat es mir angetan“

1998 kam Matthias Koch als Pfarrer nach Pesterwitz und fühlte sich sofort heimisch. Jetzt leitet er sogar den Festverein zum Ortsjubiläum.

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© Egbert Kamprath

Freital. Vor zwanzig Jahren übernahm Matthias Koch, damals 43 Jahre alt, als Pfarrer die evangelisch-lutherische Kirchgemeinde St. Jakobus in Pesterwitz. Es war nach Dorfhain, wo er 1980 begonnen hatte, seine zweite Pfarrstelle, und es wird seine letzte bleiben – mit 65 Jahren „und einer Schwangerschaft“, wie er lachend sagt, geht der Seelsorger in den Ruhestand. Davon aber ist der 63-Jährige in diesen Tagen meilenweit entfernt. Matthias Koch ist der Vorsitzende des Vereins „950 Jahre Pesterwitz“. Eine Aufgabe, die den Theologen nicht nur als Organisator der am 7. September beginnenden Festdekade fordert, sondern auch als Historiker herausfordert. Die Sächsische Zeitung sprach mit ihm über die Vergangenheit, die anstehenden Festlichkeiten und seine Zukunft in Pesterwitz.

Herr Koch, sind Sie damals, also 1998, freiwillig nach Pesterwitz gekommen oder wurden Sie dienstverpflichtet?

Ich wurde abgeworben! Naja, ein bisschen vielleicht. Nein, es hat meiner Frau und mir hier in Pesterwitz gut gefallen, deshalb habe ich mich um die Stelle beworben. Die Kirche erinnerte uns an Radeburg, wo ich, neben Fürstenwalde im Osterzgebirge, aufgewachsen bin. Mein Vater war dort lange Jahre Pfarrer. Wir haben uns in Pesterwitz also gleich heimisch gefühlt, auch, weil ich eine mündige Gemeinde vorfand.

Was heißt „abgeworben“?

Es kam eine Zeit lang immer eine Wandergruppe nach Dorfhain in den Gottesdienst. Das dachte ich jedenfalls. Ich habe erst im Nachhinein herausgefunden, dass es keine Wandergruppe war, sondern der Kirchenvorstand von Pesterwitz, der mir in verschiedenen Delegationen auf den Zahn gefühlt hat. Die wussten da schon, dass ich für die Stelle in Pesterwitz infrage komme, ich allerdings nicht.

Wie war Ihr Einstand in Pesterwitz?

Ausgezeichnet. Mein letzter Gottesdienst in Dorfhain war das Erntedankfest und mein erster in Pesterwitz war ebenfalls das Erntedankfest – mit den Kränzen aus Dorfhain, die ich mir geborgt hatte. Meine Frau hatte sie mit frischen Blumen aufgehübscht. Die Gemeinde hat gestaunt. Ich sagte: „Können Sie immer haben, wenn Sie mitbinden.“ Ja, und das taten sie dann auch. Von Dorfhain brachte ich außerdem die Mettenschicht mit und versöhnte die Erzbergleute mit den von ihnen einst verächtlich „Kohleschürfer“ genannten Kohlebergleuten. Diese Gottesdienste sind mittlerweile genauso stark nachgefragt wie die zu Weihnachten.

Haben Sie es je bereut, nach Pesterwitz gegangen zu sein?

Nein, nie. Ich habe mich von Anfang an als Pesterwitzer gefühlt, das Völkchen hat es mir angetan. Ich fühle mich auch von den Pesterwitzern angenommen, sowohl von den Alteingesessenen wie auch den Zugezogenen. Es ist ja ein sehr durchwachsener Ort. Aber wir sind eine Gemeinschaft von Menschen, die es, bei allen Schwierigkeiten, nicht verlernt hat, aufeinander zuzugehen, zu vergeben und neu anzufangen. Und wer Probleme mit mir hat, dem steht meine Tür immer offen, an mir soll es nicht liegen. Mein Vater hat mir zur Ordination ein Bibelwort mit auf den Weg gegeben: Was ihr tut, das tut von Herzen, also für den Herrn. Der hat immer den Schwächsten und Geringsten im Blick, den, auf den keiner schaut. Ich kann nur das, was ich vor Gott verantworten kann, machen, und das mache ich gerne.

Dazu gehören für Sie auch freiwillige Aufgaben außerhalb der Kirche, wie der Vorsitz im Festverein „950 Jahre Pesterwitz“, den Sie im vergangenen Jahr übernahmen. Wie kam es dazu?

Eigentlich sollte Klaus Mättig, der ehemalige Oberbürgermeister von Freital, das Amt übernehmen, das war jedenfalls der Wunsch der Beteiligten. Aber er lehnte ab. Dadurch entstand eine Notsituation und man kam auf mich. Der neue Verein sollte alle Vereine und Engagierten im Ort integrieren und da braucht man auch jemanden, der integrieren möchte. Das wollte ich. Ob ich es tatsächlich kann, weiß ich nicht, aber ich habe mir Mühe gegeben. Es gibt jedenfalls eine sehr gute Zusammenarbeit mit allen. Wir sind ein Team. Ein weiterer Grund, den Verein zu leiten, war für mich, dass ja der Anlass für diese 950-Jahr-Feier im Grunde ein kirchlicher ist.

Inwiefern?

Damals hat Heinrich IV. von seinen Löbtauer Königshufen zwei zu den bischöflichen Hufen dazugegeben, und dazu gehörte Pesterwitz. Ziel war die Missionierung der Heiden. Wenn man an die Quellen so herangeht wie ich an die Bibel, da kommt man zu vielen neuen Erkenntnissen. Ich wundere mich schon ein bisschen, dass man sich zwar auf die Urkunde von 1068 mit der Ersterwähnung der Burgwarte für das Jubiläum beruft, die Historiker diese aber nicht gründlich studiert haben.

Gerade von Historikern aber werden Zweifel geäußert, dass mit der in der Urkunde erwähnten Burgwarte nicht die in Pesterwitz gemeint sei. Was haben Sie herausgefunden?

Wenn man in die Historie abtaucht und sich vor Augen führt, was damals los war, dürfte es keine Zweifel geben. Die Urkunde, die ich im Original gelesen habe, sagt sehr, sehr viel über die Zeit aus. Zum Beispiel, dass die Burgwarten in Gebiete gebaut wurden, die von den Slawen schon als Weidebezirke eingegrenzt waren. Das konnte von Meißen aus nur auf dieser Seite der Weißeritz sein, der Fluss bildete doch eine natürliche Grenze. Wer mehr darüber wissen will, der sollte zu meinem Vortrag in die Kirche kommen.

Wird es den Verein über das Jubiläum hinaus geben?

Nein, er ist tatsächlich nur für die Feierlichkeiten gegründet worden. Ich hoffe natürlich, dass der dadurch entstandene Gemeinschaftsgeist im Ort erhalten bleibt.

Wenn Sie in reichlich zwei Jahren in den Ruhestand gehen, müssen Sie Ihre Dienstwohnung im Pfarrhaus verlassen. Werden Sie in Pesterwitz bleiben?

Das haben wir vor, ja. Wir sind Pesterwitzer und wollen es bleiben.

Haben Sie einen Lieblingsort in Pesterwitz?

Da gibt es einen, ja, und zwar oben auf dem Kirchturm in der Silvesternacht. Es ist schon erstaunlich, welch grandioses Schauspiel die Freitaler und Dresdner jedes Jahr zur Freude der Pesterwitzer veranstalten!

Es fragte Thomas Morgenroth.

950 Jahre Pesterwitz, Festdekade vom 7. bis 16. September; Vortrag von Matthias Koch zur Geschichte von Pesterwitz am 12. September, 19 Uhr, in der Kirche.

Infos im Internet