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Das unvollendete Ende

Zum ersten Mal wird ein Dampfer in der Laubegaster Werft kaputt zu Wasser gelassen. Die Zeit reichte nicht – für Schiff und Unternehmen.

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Von Tobias Wolf

Die Arbeit ist nicht getan und doch zu Ende. Seit Donnerstag, 16.35 Uhr, gibt es die Laubegaster Schiffswerft nicht mehr. Die Tore sind verschlossen. Bis zuletzt hofften die Mitarbeiter auf eine Rettung. Doch die kam nicht. So wie die bestellte Kurbelwelle für den Dampfer Rathen. Am letzten Tag ließen sie deshalb zum ersten Mal ein kaputtes Schiff zu Wasser und verabschiedeten es schweigend. Mit dem Ende des Unternehmens geht eine Dresdner Tradition zu Ende, die über 150 Jahre lang die Schifffahrt an der Elbe bestimmte. Für die Angestellten ist das eine Katastrophe. Die letzten Stunden einer Werft.

6.03 Uhr: Zum letzten Mal schließt Wolfgang Reichelt das Tor der Werft auf. Als wäre alles wie immer. Er ist der Erste an diesem Morgen. Nach 38 Jahren im Betrieb ist jetzt Schluss für ihn. Während er eine kleine Runde über das Gelände macht, kommen seine Kollegen.

6.32 Uhr: In der Schiffstischlerei gehen die Lichter an. Vorarbeiter Falk Naumann und sein Kollege Roland Jentsch haben es eilig. Ihnen bleibt nur wenig Zeit, die Halle ordentlich aufzuräumen. Nichts soll mehr herumliegen, wenn sie ihren Arbeitsplatz für immer verlassen.

7.04 Uhr: Autos der Sächsischen Dampfschiffahrt fahren auf das Gelände. Die Männer kommen, ihren Dampfer abzuholen. Fahren kann er nicht. Weil ein Teil nicht rechtzeitig geliefert wurde, muss das Schiff zum Terrassenufer geschleppt werden. Dafür montieren die Techniker die Schaufeln der großen Antriebsräder ab.

8.55 Uhr: Eine Materiallieferung trifft ein, die keiner mehr verarbeiten kann. Aus den massiven Buchenholzplatten sollten Tische für drei Schiffssalons entstehen. Daraus wird nichts. Auch nächste Woche soll noch eine Lieferung kommen. Wer die entgegennehmen soll, weiß keiner. Denn niemand ist dann mehr da.

9.28 Uhr: Geschäftsführer Michael Lohnherr geht mit Technik-Chef Udo Rehm die letzten Rechnungen durch. Das Klingeln des Telefons unterbricht sie ständig. Die Anrufer wollen sich verabschieden, den Mitarbeitern alles Gute wünschen. Der Containerdienst holt bereits den letzten Müll ab.

9.53 Uhr: Der Dampfer Rathen wird zu Wasser gelassen. Auf acht Schienenwagen rollt er zentimeterweise gen Ufer, gehalten von daumendicken Stahlseilen. In der Maschinenhalle dröhnen derweil die Staubsauger. Die Metallbauer räumen auf.

10.01 Uhr: Die Wasserschutzpolizei und ein Schlepper aus dem Alberthafen treffen ein. Sie sollen die Rathen ins Zentrum bringen. 30 Minuten später ist der Dampfer im Wasser. Werft-Chef Lohnherr bekommt inzwischen einen Anruf vom Denkmalschutzamt. Sie wollen noch eine Betriebsbegehung am letzten Tag. Lohnherr lehnt ab. Derweil schauen seine Männer am Ufer ihrem letzten Dampfer hinterher.

11.47 Uhr: Mit einem metallischen Quietschen kommt die Anlage zum Stillstand, mit der die Schiffbauer immer die Dampfer an Land gezogen haben. Im Trockendock liegt jetzt nur noch Schrott. In den besseren Zeiten der Werft passten dort vier Dampfer hin.

13.01 Uhr: Die Mitarbeiter überraschen Werft-Chef Michael Lohnherr mit einem Abschiedsgeschenk. Gerührt nimmt er es entgegen. Während er den Wein betrachtet, fließen bei den Mitarbeitern Tränen.

15.20 Uhr: Feierabend. Ein letztes Mal gehen die Werftleute gemeinsam duschen. Später wollen sie sich im Laubegaster Lokal „Fährhaus“ voneinander verabschieden.

16.35 Uhr: Michael Lohnherr blickt noch ein letztes Mal aus dem Fenster seines Büros, bevor er geht. Nach zwei Jahren, zwei Monaten und drei Wochen ist auch für den erfahrenen Steuermann Schluss in der Laubegaster Werft. Technik-Chef Udo Rehm folgt ihm und schließt das Tor ab. Ein Abschied, den es nie hätte geben sollen.