Merken

Das Sterben beginnt

Den Rosskastanien an der Mozartallee geht es schlecht. Wer aufmerksam hinsieht, entdeckt die ersten kahlen Bäume am Viertore-Brunnen.

Teilen
Folgen
© Anne Hübschmann

Von Birgit Ulbricht

Großenhain. Jetzt können wir den Bäumen nur noch beim Sterben zusehen. Großenhains Grün-Chef Matthias Schmieder konstatiert das ebenso nüchtern wie traurig. Letzteres umso mehr, da die Kastanien an der Mozartallee 1993 seine ersten grünen Stadtkinder waren. Nach der Wende begann man nicht nur, Gebäude zu sanieren, sondern auch den historischen Musikerring mit seiner Allee wieder herzustellen und freute sich über die neugewonnene botanische Freiheit, die in jedem Gartenmarkt, bei jeder Baumschule zu bestaunen war. Weil die Autofahrer sich schon damals beschwerten, dass ihre Fahrzeuge am Straßenrand zu entsprechender Zeit mit herunterfallen Kastanien übersät waren, entschied man sich für eine neumodische Errungenschaft – eine fruchtlose Kastanie. Die rotblühende Rosskastanie sieht schön aus, bildet aber keine Kastanien.

Die Kastanien sind von einem seltenen Bakterium befallen.
Die Kastanien sind von einem seltenen Bakterium befallen. © Anne Hübschmann

Vorm Autofahrer eingeknickt

Möglicherweise war genau das der Fehler, vermutet Schmieder. Denn die Sorte „Baumanii“ erweist sich jetzt als besonders anfällig gegen ein Bakterium, das den gefürchteten Rindenschleimfluss hervorruft. Erst reißt überall am Stamm die Rinde ein, dann entstehen rund um die Wunden schwarze Stellen, aus denen es schließlich dunklen suppt. Das ist der Moment, in dem längst Hallimasch, Samtfußrübling, Schüpplinge oder Seitlinge den Baum erobert haben. Denn so ein Baum ist da auch wie ein Mensch: Ist das Immunsystem derart geschwächt, kommt meist noch eine andere Krankheit dazu. Das Bakterium öffnet den holzzersetzenden Pilzen Tür und Tor. Das große Sterben der Rosskastanien ist nach Großenhain gekommen. Ungewöhnlich eigentlich, denn bislang wird das Kastanien-Sterben eher aus Nord- und Westdeutschland vermeldet. In Hamburg wurde das Bakterium 2007 zum ersten Mal in Deutschland nachgewiesen, und es befällt vor allem die hochgezüchteten Kulturformen in Parks, Gärten und an Alleen.

Schmieder lässt seinen Blick die Allee entlang schweifen: Wer genau hinsieht, entdeckt, dass einige Bäume hellgrüner und karger in den Kronen sind. Das werden wohl die nächsten Kandidaten sein, vermutet Schmieder. Sie könnten 2019 kahl dastehen. Keine schöne Vorstellung, aber eine, die es jetzt auszuhalten gilt. In vielerlei Hinsicht. Zum einen hat die Stadt erst einmal Proben von Wundstellen an das Labor von Dr. Henrik Weiß in Dresden geschickt. Er soll sagen, ob es sich allem Anschein nach um den gefürchteten Erreger handelt. Zum anderen wird nun mit dem Denkmalschutz beraten, wie die Allee zu retten, gegebenenfalls neu anzulegen ist. Denn die Kastanienhybriden wurden auf dem Abschnitt von der Osteria Vecchie Mura bis vor zum früheren Sachsenhof, an der Ecke Meißener Straße gepflanzt. Und seltsamerweise sind bislang auch nur die Bäume in der zweiten Reihe betroffen, die ihre Wurzeln noch weit in die Wiese hinein ausbreiten können und nicht im Straßenpflaster eingezwängt sind. Die Frage steht auch, was nun zu tun ist. Anders als beim aggressiven Feuerbrand, wird Sterben hier wohl langsamer vor sich gehen. Hektisches Fällen und Nachpflanzen hat da keinen Sinn, würde das harmonische Bild der Allee zerstören. Offen ist auch, was nachgepflanzt wird? Matthias Schmieder könnte sich vorstellen, dass aus der Kastanien-Allee in den nächsten Jahren eine Eichen-Allee wird. Auch Ahorn wäre denkbar, weil der bereits am Musikerring steht.

Bauexperten sehen diesen Austausch im Stadtbild jedoch kritisch. Sie wollen die Rosskastanie erhalten. Gelingt es, resistente Bäume auf diesem Wege zu identifizieren, zu erhalten und zu vermehren, hat die Rosskastanie weiterhin eine Zukunft. Sonst wohl eher nicht, denn die klassische Kastanie wird vom Autofahrer sicher nicht mehr toleriert. Insgesamt ist aber eine intensivere Beschäftigung mit Bakterienkrankheiten notwendig, insbesondere, weil in Folge des globalen Welthandels mit vermehrten Einschleppungen von Krankheiten zu rechnen ist und mit dem Wetterwandel die Anfälligkeit der heimischen Arten zunimmt. Beispiele sind das Eschen- und Erlensterben im Stadtpark. Entlang der Röder sind viele ältere Bäume befallen, was aber in der naturnahen Landschaft nicht auffällt, zumal es viele Jungbäume gibt. Spektakulärer war da schon im letzten Jahr der Platanen-Kahlschnitt am Cottbuser Bahnhof – wegen Massaria, einer Pilzerkrankung, die man bislang nur aus dem Mittelmehrraum kannte.