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Das seltsame Verschwinden des Jamal Khashoggi

Der saudische Publizist ist unauffindbar. Freunde befürchten das Schlimmste.

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© TOLGA BOZOGLU/EPA-EFE/REX/Shutte

Von Martin Gehlen, SZ-Korrespondent in Tunis

Egal, ob Diplomaten, Regierungsgäste oder Journalisten: Fast jeder, der sich in den letzten 30 Jahren mit Saudi-Arabien befasst hat, kenne Jamal, twitterte dieser Tage der Nahost-Korrespondent der New York Times. „Wo ist unser Freund Jamal Khashoggi“, fragt Volker Perthes, Chef der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ in Berlin, der selber viele Reisen auf die Arabische Halbinsel gemacht hat, und fordert: „Saudi-Arabien sollte uns eine überzeugende Antwort geben.“

Jamal Khashoggi, der am vergangenen Dienstag spurlos im saudischen Konsulat von Istanbul verschwand, gehört zu den prominentesten Publizisten und Intellektuellen seiner Heimat. Er war ein gefragter Gesprächspartner, ein Mann der klaren Worte, der sich gern mit ausländischen Besuchern traf. Gleichzeitig rief er die Verantwortlichen der Arabischen Welt immer wieder zu Selbstkritik und Redlichkeit auf. Die Dschihadisten des Islamischen Staates seien „wütende Junge mit verzerrter Mentalität und Weltsicht“. Sie trampelten auf dem Erbe von Jahrhunderten genauso herum wie auf den Errungenschaften der Moderne. „Es wird Zeit, dass wir nach innen schauen. Alle, die von einer ausländischen Verschwörung faseln, verdrängen die Wahrheit und schließen die Augen vor unseren eigenen Fehlern.“ Man habe Tyrannei mit Stabilität verwechselt, man habe soziale Verelendung ignoriert, das religiöse Leben sei passiv und inaktiv. Religion diene vor allem der Legitimierung von Macht.

Khashoggi stammt aus dem saudischen Establishment. Zu seiner Verwandtschaft gehört der Multi-Milliardär Adnan Khashoggi, der sein Vermögen im Waffenhandel verdiente. Einer der Vorfahren war Leibarzt des Staatsgründers Abd al-Aziz ibn Saud. Als Reporter berichtete Khashoggi in den 80er- und 90er-Jahren aus Algerien, Kuwait, Sudan und Afghanistan. 1988 schrieb der Journalist das erste große Porträt über al-Qaida-Chef Osama bin Laden für ein saudisches Wochenmagazin. Aus dieser Zeit stammt seine Überzeugung, die arabischen Regime sollten moderaten Islamisten mehr Raum geben, wenn sie radikale Strömungen wie al-Qaida bekämpfen wollten.

Nach dem Ende seiner Korrespondentenzeit im Jahr 1999 begleitete er die Politik seines Landes fortan mit kritischen Kommentaren und TV-Auftritten, ohne die Monarchie grundsätzlich infrage zu stellen. „Ich bin kein Extremist, ich habe nichts am Hut mit Saudis, die nach einem Systemwechsel rufen“, sagte er einmal in einem Interview und nannte solche Forderungen „lächerlich“. Was er wolle, sei ein reformiertes System, in dem alle Bürger unbehelligt ihre Meinung sagen könnten.

Diese Offenheit und Unabhängigkeit machten ihn zum gesuchten Gesprächspartner. Von 2003 bis 2006 arbeitete er in London und Washington als Sprecher des saudischen Botschafters Prinz Turki bin-Faisal, der 24 Jahre lang Geheimdienstchef des Königreichs war. Bisweilen geriet er mit den Autoritäten aneinander. Zweimal musste er den Sessel als Chefredakteur der liberalen Zeitung Al Watan räumen. Im Prinzip aber ließen ihn die Machthaber gewähren – bis zu jenem 15. November 2016, als er wenige Tage nach der Wahl von Donald Trump bei einer Podiumsdiskussion im „Washington Institute for Near East Policy“ das Königshaus öffentlich warnte, dem kommenden Mann im Weißen Haus blind zu vertrauen. Trump hege eine Abneigung gegen Muslime und bewundere Russlands Präsidenten Wladimir Putin.

Danach begann der Ärger, der dem 59-Jährigen zunächst ein Publikationsverbot eintrug, ihn dann ins Exil zwang und jetzt möglicherweise mit seiner Ermordung durch ein saudisches Killerkommando endete. Denn anders als Khashoggi sah der junge Kronprinz Mohammed bin Salman in Trump den Hoffnungsträger für Saudi-Arabien – nach dem Dauerstreit mit Barack Obama endlich wieder ein US-Präsident auf gleicher Wellenlänge mit dem Königshaus im Kampf gegen den Erzrivalen Iran. Diese neue strategische Beziehung wollte der Thronfolger auf keinen Fall durch kritische Begleittöne gefährden.

Und so ließ er den Skeptiker mundtot machen. Ab sofort durfte Khashoggi nicht mehr in saudischen Zeitungen schreiben, im Fernsehen auftreten und twittern. Ein Assistent des Kronprinzen habe ihn angerufen und ihm dies ausgerichtet. „Ich konnte keinen Widerspruch einlegen, auch gab es keine Anordnung eines Gerichts. So ist hier das System“, sagte der Gebannte. Im September 2017 entschloss er sich zur Flucht, als immer mehr Freunde verhaftet oder mit Reiseverbot belegt wurden. Khashoggi flog nach Washington – „raus hier, solange es noch geht, bevor es zu spät ist“, wie er schrieb. Kurz danach bewahrheiteten sich seine Vorahnungen, als die Massenverhaftungen von reichen Geschäftsleuten, Fernsehgewaltigen und Mitgliedern der Königsfamilie begannen. Wochenlang wurden diese im Ritz-Charlton von Riad eingesperrt, um ihnen Teile ihres Vermögens abzupressen.

Khashoggi begann nun aus der Ferne, die Innen- und Außenpolitik von Kronprinz Mohammed bin Salman immer schärfer zu kritisieren – den Boykott gegen Katar, den Krieg im Jemen und zuletzt das Zerwürfnis mit Kanada. Seine Frau ließ sich scheiden, viele Verwandte wollen nichts mehr mit ihm zu tun haben. „Ich habe mein Haus, meine Familie und meine Arbeit verlassen, und erhebe nun meine Stimme“, schrieb Khashoggi. „Alles andere ist Verrat an denen, die im Gefängnis sitzen. Ich kann reden, während so viele es nicht können.“