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Das sagen junge Leute über ihre Stadt

Görlitz – die schönste Stadt der Welt oder nur ein kleines Kaff? Die Gymnasiastinnen Hanna Müller und Anna Babick hörten sich unter Gleichaltrigen um und fragten.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Görlitz – die schönste Stadt der Welt? Eben, weil es die Heimat ist, Eltern, Freunde, Sportverein hier sind? Oder nur ein kleines Kaff, in dem nichts los ist und dem der Rücken gekehrt wird, sobald die Schulklingel für immer verstummt ist?

Ihr Hobby möchte Anna Maryniak zum Beruf machen.
Ihr Hobby möchte Anna Maryniak zum Beruf machen. © privat
Mareike Nutz moderiert eine Veranstaltung in der Wartburg.
Mareike Nutz moderiert eine Veranstaltung in der Wartburg. © privat
Laura Richter wird Görlitz nach der Schule verlassen.
Laura Richter wird Görlitz nach der Schule verlassen. © privat

Nichts wie weg und hinaus die große Welt sehen? Die Gymnasiastinnen Hanna Müller und Anna Babick, die bei der Görlitzer SZ gerade ein Praktikum absolviert haben, hörten sich unter Gleichaltrigen um und fragten:

Wie siehst Du Deine Stadt?

Genug Angebote für Jugendliche

Hanna Müller (14) würde gerne später zurückkommen, versteht aber alle, die das nicht möchten.

Ich fühle mich in meinem Umfeld sehr wohl und kann mir sehr gut vorstellen, später wieder herzukommen. Görlitz bedeutet für mich Heimat. Und ich denke, die Stadt hat auch für Jugendliche einiges zu bieten: verschiedene Vereine, zahlreiche Jugendtreffs und viele Möglichkeiten, etwas mit Freunden zu unternehmen, wie zum Beispiel den Berzdorfer See, das Kino oder das Neißebad. Auch wenn einige meiner Bekannten mir da sicher nicht zustimmen würden, gibt es in Görlitz für mich genug Freizeitaktivitäten. Ich bin in einem Reitverein, gehe segeln am Berzdorfer See, ich nehme Gesangsunterricht und habe hin und wieder Auftritte mit der Schulband des Joliot-Curie-Gymnasiums. In Görlitz gibt es definitiv genug Vereine und Aktivitäten, die auch für Jugendliche interessant sind. Aber vielleicht könnte man die Perspektiven für Jugendliche noch verbessern. Momentan muss man zum Studieren in eine Großstadt und in Görlitz gibt es nur wenige große Arbeitgeber. Viele meiner älteren Bekannten studieren in Dresden oder Berlin und werden wohl nicht wiederkommen – einfach, weil sich für sie hier keine Zukunft bietet. Das ist ein Problem für viele Jugendliche, die derzeit in Görlitz leben.

Wie ausgestorben

Anna Babick (15) sieht in Görlitz unmotivierte Menschen und eine gewisse Perspektivlosigkeit.

Eine Zukunft in dieser Stadt kann ich mir nur schwer vorstellen. Obwohl ich nach 15Jahren Leben im Schöpstal, noch keine konkreten Studienpläne oder Zukunftsvisionen hege, weiß ich genau, dass ich die Stadt nach dem Abschluss verlasse, denn hier ist einfach zu wenig los.

Neben den Tanzstunden in der Tanzschule Matzke und dem Reitunterricht im Reit- und Fahrverein Kunnersdorf-Königshain lerne ich Klavierspielen in der Kreismusikschule und kann mich über fehlende Freizeitangebote nicht beschweren. Trotzdem vermisse ich einen gewissen Erlebnisfaktor. Veranstaltungen gibt es zwar, aber der Großteil davon wird von meinem Freundeskreis kaum angenommen. Besonders nach einigen Auslandsaufenthalten erscheint mir Görlitz ausgestorben und die meisten Einwohner unmotiviert.

Ich sehe Görlitz mit der netten historischen Innenstadt eher als eine Stadt der älteren Generation und nicht als Stadt, in der ich gern meine besten Jahre verbringen möchte. Für das Studium haben Großstädte wie Berlin oder sogar schon Dresden einen viel zu großen Anziehungsfaktor. Sie locken vor allem mit mehr Studien- und Ausbildungsmöglichkeiten und einer Zukunftsperspektive. In Görlitz herrscht dagegen eher eine Art Perspektivlosigkeit.

Viele alte Häuser – viele alte Menschen

Anna Maryniak (15) ist mit ihrem Leben in Görlitz zufrieden. Sie hat hier viele Hobbys.

Ich habe hier alles, was ich brauche. Momentan gehe ich auf das Augustum-Annen-Gymnasium. In meiner Freizeit reite ich seit neun Jahren beim Reitverein Landskron, betreue dort ein Pflegepferd und spiele ebenfalls seit neun Jahren Klavier in der Johann-Adam-Hiller-Musikschule. Und ich war schon Komparsin in drei Filmen, die in Görlitz gedreht wurden.

Mit Görlitz verbinde ich vor allem ein gewisses Nach-Hause-Kommen, Familie, Geborgenheit. Es gibt viele alte Häuser, aber auch viele alte Menschen. Ich mag besonders die Görlitzer Gründerzeitbauten. Ich bin zufrieden damit, was die Stadt für Jugendliche tut. Für mich ist es genug: Es gibt in Görlitz unzählige Sport- und Kulturvereine, außerdem ein Kino, eine Schwimmhalle und ein paar Clubs.

Nach der Schule möchte ich allerdings die Welt sehen, fremde Menschen, Sitten und Sprachen kennenlernen. Ich plane ein Au-pair-Jahr und danach ein Freiwilliges Soziales Jahr. Mein Berufswunsch wäre es, als Polizistin zur Reiterstaffel zu gehen. Ich kann mir durchaus auch vorstellen, später wieder nach Görlitz zurückzukommen, wenn ich hier einen Job finde.

Görlitz tut fast nichts für die Jugend

Janne Ahrens (15) genießt sein Leben in Görlitz, ist sich jedoch der Probleme hier bewusst.

Görlitz ist für mich eine sehr offene und multikulturelle Stadt. Hier wird auf die Erhaltung unserer Kultur geachtet, außerdem ist die polnisch-deutsche Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen Görlitz und Zgorzelec sehr lobenswert und wichtig. Gut finde ich auch, dass man in Görlitz durch viele verschiedene Vereine langsam anfangen kann, sich für seine Mitmenschen einzusetzen. Ich wohne am Ufer der Neiße in der Nähe der Altstadtbrücke und des Stadtparks. Meine Schule, das Augustum-Annen-Gymnasium, ist nur zehn Gehminuten von meinem Haus entfernt und ich genieße das ruhige Umfeld. Görlitz gibt mir im Moment das, was ich brauche. Ich glaube allerdings, dass Görlitz fast nichts für die Jugend tut. Es gibt genug Verbesserungs- und Gestaltungsideen, auch von Jugendlichen, die von der Stadt weder gehört noch umgesetzt werden. Man sollte Jugendlichen die Möglichkeit geben, ihre Stadt mitzugestalten, denn nur so können sie ihre Stadt auch als Heimat betrachten.

Allerdings sollten auch die Leute, die sich über mangelnde Jugendarbeit beschweren, erst mal selber versuchen, ihre Verbesserungsvorschläge bei der Stadt einzubringen. Ich würde mir wünschen, dass der Stadtrat mehr mit den Jugendlichen zusammenarbeitet.

Ich kann mir definitiv vorstellen, hier zu bleiben. Ich würde auch lieber hier wohnen als in einer Großstadt, aber das kommt dann später ganz auf Berufs- und Zukunftschancen an.

Ich will die Welt sehen

Laura Richter (14) liebt die vielen Freizeitmöglichkeiten in Görlitz. Dennoch will sie nicht bleiben.

Mit sechs Jahren bin ich mit meinen Eltern von Dresden nach Görlitz, in den Stadtteil Rauschwalde, gezogen. Inzwischen besuche ich die neunte Klasse des Augustum-Annen-Gymnasiums.

Die Frage, ob ich nicht lieber im deutlich größeren Dresden aufgewachsen wäre, kann ich nur geteilt beantworten. Natürlich ist in Dresden viel mehr los, aber in Görlitz kann ich deutlich selbstständiger und, laut meinen Eltern, auch unbeschwerter leben.

Von Tennis bis zum brasilianischen Kampftanz Capoeira habe ich im Laufe der vergangenen Jahre vielfältige Sportmöglichkeiten genutzt. Seit inzwischen sieben Jahren nehme ich außerdem Klavierunterricht, der mir besonderen Spaß bereitet und mich gleichzeitig fordert. Aktuell lerne ich auch das Akkordeonspiel im Jugend-Show-Orchester der Musikschule Fröhlich. Obwohl ich so mit meinen Freizeitaktivitäten vollkommen ausgelastet bin und es mir eher an Zeit mangelt, um mich noch weiter zu entfalten, will ich nach der Schule raus aus Görlitz und die Welt entdecken.

Ich möchte studieren, am liebsten in Dresden. Denn dort kenne ich mich schon aus, bin nah an meiner Familie und habe trotzdem mehr eigene Möglichkeiten. In Görlitz aufwachsen und in Dresden studieren – für mich die perfekte Mischung.

Als Rentner wieder nach Görlitz zurückzukommen, kann ich mir trotzdem sehr gut vorstellen. Omi in Görlitz zu sein ist bestimmt eine tolle Sache!

Görlitz ist meine zweite Heimat

Für ein Freiwilliges Soziales Jahr ist Mareike Nutz (19) hergezogen und fühlt sich sehr wohl.

In Görlitz ist alles ein bisschen langsamer und gemütlicher als anderswo. Ich bin in der Kleinstadt Singen am Hohentwiel an der Grenze zur Schweiz aufgewachsen und nach meinem Abitur im September 2016 nach Görlitz gekommen.

Für diese Stadt entschieden habe ich mich, weil die Website mit der Stellenbeschreibung veraltet war und ich deswegen anrief, um zu erfahren, ob die Stelle überhaupt noch existiert. Diese Frage wurde mir bejaht und inzwischen bin ich mit meiner Wahl sehr zufrieden. Görlitz ist auf keinen Fall veraltet. Jetzt bin ich schon seit über einem halben Jahr hier und fühle mich sehr wohl. Im Jugendhaus Wartburg bin ich unter anderem für die offene Kinder- und Jugendarbeit zuständig. Die vielen Angebote werden größtenteils gut angenommen. Ausbaubedarf gibt es natürlich immer, aber eine Grundlage ist da. Vor allem sehe ich an vielen Stellen Potenzial, weiter gefächerte Projekte in der Stadt ins Rollen zu bringen und noch mehr junge Leute zu erreichen. Wenn es sich später ergibt, würde ich mit großer Freude wieder zurück kommen. Görlitz ist wie ein zweites Zuhause für mich. Die Menschen sind nett, die Gegend gefällt mir ausgesprochen gut. Meine Sicht als Auswärtige auf die Stadt Görlitz ist mehr als positiv.

Diese Stadt ist langweilig

Wiebke Pagenkopf (16) möchte Görlitz so schnell wie möglich verlassen.

Görlitz ist zwar meine Heimat, aber auf keinen Fall der Ort, an dem ich mein Leben verbringen möchte. Ich bin hier geboren und aufgewachsen, habe viel ausprobiert. So spielte ich Handball, Fußball und bin zurzeit im Tanzclub der Tanzschule Matzke. Außerdem nehme ich nun bereits seit beinahe sieben Jahren Klarinettenunterricht an der Musikschule „Johann Adam Hiller“ und war jahrelang Teil des Orchesters der Musikschule. Ich denke, ich kenne das Freizeitangebot für Jugendliche in Görlitz gut, und obwohl ich in diesem Jahr mit den Prüfungen für meinen Abschluss an der Innenstadt-Oberschule beschäftigt bin, ist mir hier langweilig. Vielen anderen jungen Leuten in Görlitz geht es ähnlich. Ich fühle mich in dieser kleinen Stadt nicht sehr wohl. Ich werde auf jeden Fall in eine Großstadt wie Berlin ziehen. Irgendwohin, wo vor allem abends etwas los ist. In Görlitz sind die Straßen schon ab 20Uhr wie ausgestorben. Bevor ich mich allerdings fest niederlasse, möchte ich noch ins Ausland, gern nach Italien. Ob ich später nach Görlitz zurückkehre, weiß ich noch nicht. Im Moment kann ich mir das nicht vorstellen.

Ältere Menschen prägen das Stadtbild

Claas (15) gefällt die Görlitzer Kleinstadtatmosphäre, trotz des hohen Altersdurchschnitts.

Ich lebe schon immer in Weinhübel und besuche zurzeit die neunteKlasse der Scultetus-Oberschule in Königshufen. Mit der Bahn kann ich meinen Schulweg problemlos zurücklegen. In den vergangenen Jahren war ich Mitglied der Kanuabteilung sowie der Handballmannschaft des NFV „Gelb-Weiß“. Mit Görlitz verbinde ich vor allem die historische Altstadt und schöne Feste, wie den Christkindelmarkt oder das Altstadtfest. Für junge Leute gibt es auch Kinos und das Neißebad. Aber trotzdem prägt die ältere Generation das Stadtbild deutlich. Zufrieden bin ich dennoch.

Nachdem ich die zehnte Klasse abgeschlossen habe, werde ich Abitur machen. Für die Ausbildung danach werde ich Görlitz wahrscheinlich verlassen müssen, denn Dresden und Leipzig bieten einfach viel bessere Möglichkeiten. Ob ich zurück komme, ist ungewiss. Zurückkommen und hier eine Familie gründen, kann ich mir allerdings durchaus gut vorstellen.

Mich hält hier nichts

Für Maria Börner (15) hat Görlitz keine herausragende Bedeutung. Sie vermisst das Nachtleben.

Für mich ist Görlitz eine Stadt wie jede andere. Ich wohne in Kunnerwitz und gehe auf das Joliot-Curie-Gymnasium. Ich bin hier geboren und aufgewachsen, habe früher in Reichenbach gewohnt und bin dann mit meinen Eltern nach Kunnerwitz gezogen. In meiner Freizeit besuche ich Tanzstunden in der Tanzschule Matzke und die Junge Gemeinde in Weinhübel, was mir wirklich viel Spaß macht.

Görlitz sehe ich mehr als eine Stadt für Erwachsene als für Jugendliche. Mir fehlt hier einfach ein wenig mehr Nachtleben. Das Einzige, was für mich als richtige Party durchgeht, ist die After School Party in der Landskronbrauerei, die allerdings auch immer nur vor den Ferien stattfindet. Jugendliche in Görlitz haben wenig Chancen, ihr Teenagerdasein richtig auszukosten.

Ich kann mir eine Zukunft in Görlitz nicht vorstellen, weil mich hier nichts hält. Meine Geschwister und mein Patenkind leben weit weg. Nach der Schule möchte ich ein Au-pair-Jahr im Ausland machen, dann studieren und irgendwann zu meinen Geschwistern nach Bayern ziehen. Meine Eltern werden wohl in Görlitz bleiben, weil sie hier zu Hause sind.

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