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Das mühsame Outing eines V-Manns

Wegen juristischer Fallstricke wurde beim NSU-Prozess die Vernehmung von Marcel D. abgebrochen.

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© dpa

Von Wiebke Ramm, München

Die Beichte fällt Marcel D. extrem schwer. Aber schließlich outet er sich an diesem 300. Verhandlungstag im NSU-Prozess doch noch als ehemaliger V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes. Die Worte „V-Mann“ und „Verfassungsschutz“ kommen dem 40-Jährigen vor dem Oberlandesgericht München allerdings auch an diesem Mittwoch immer noch nicht über die Lippen. Er äußert sich lieber verklausuliert. Denn Marcel D., der ehemalige Chef der Thüringer Sektion der Neonazi-Organisation „Blood and Honour“, möchte am liebsten weiter leugnen, von 1996 bis 2000 als Spitzel für den Thüringer Verfassungsschutz gearbeitet zu haben. Doch eine Lüge vor Gericht ist strafbar.

Dreimal musste Marcel D. schon als Zeuge im NSU-Prozess aussagen. An diesem Mittwoch sitzt er zum vierten Mal im Zeugenstand. An einem früheren Verhandlungstag hat er bestritten, für den Verfassungsschutz gearbeitet zu haben. Dabei haben das Thüringer Innenministerium und Marcel D.s V-Mann-Führer seine Spitzeltätigkeit längst bekannt gemacht.

Die Staatsanwaltschaft München I hat gegen Marcel D. deshalb ein Verfahren wegen Falschaussage eröffnet. Die Behörde hat das Verfahren nun vorläufig wieder eingestellt, weil die Richter Marcel D. an diesem Mittwoch die Gelegenheit gegeben haben, seine Antwort zu korrigieren. Doch Marcel D. tut sich mit seinem Outing schwer. So schwer, dass es zu skurrilen Szenen vor Gericht kommt.

Richter Manfred Götzl fragt Marcel D. gleich zu Beginn, ob er vielleicht irgendetwas sagen möchte. Marcel D. bespricht sich kurz mit seinem Anwalt, dann überrascht er mit seiner Antwort. Sie lautet: „Nein.“ Götzl gibt ihm eine weitere Chance, seine Falschaussage zu korrigieren. „Haben Sie für den Thüringer Verfassungsschutz gearbeitet?“ Marcel D.s Antwort verwirrt nun vollends: „Die Aussage hierüber möchte ich revidieren und die Aussage verweigern.“ Er beruft sich auf Paragraf 55 der Strafprozessordnung, wonach Zeugen die Auskunft verweigern können, wenn sie andernfalls Gefahr laufen, strafrechtlich verfolgt zu werden.

Eine Antwort ohne Sinn

Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten weist den Zeugen darauf hin, dass seine Antwort überhaupt keinen Sinn ergibt. Entweder er wolle seine Aussage revidieren, sich also zu seiner V-Mann-Tätigkeit bekennen, oder er wolle eine Auskunft darüber verweigern. Beides zugleich gehe nicht.

Marcel D. hat ein Talent, seine Fragesteller ratlos zurückzulassen. Zu Weingarten sagt er nun: „Ich möchte dazu keine Angaben machen.“ Weingarten erinnert ihn daran, dass er doch aber schon Angaben gemacht hat, als er offenkundig wahrheitswidrig seine V-Mann-Tätigkeit bestritt. Diese Aussage könne er nicht durch Schweigen ungeschehen machen. Weingarten fragt also noch einmal: „Sie wollen inhaltlich keine Angaben dazu machen, ob Sie nebenberuflicher Mitarbeiter des Verfassungsschutzes waren?“ „Ja“, sagt Marcel D. Wieder erwähnt er Paragraf 55. Nebenklagevertreter, Verteidiger und Bundesanwaltschaft diskutieren lebhaft, ob Marcel D. die Aussage tatsächlich verweigern darf. In seltener Allianz sind sich mehrere Verteidiger und Nebenklagevertreter einig, dass Marcel D. kein Recht hat zu schweigen. Er belaste sich ja selbst gerade dadurch, wenn er schweigt und seine falsche Aussage nicht revidiert. Die Bundesanwaltschaft sieht das anders, da es ja tatsächlich ein Verfahren wegen Falschaussage gibt, dass nur vorläufig eingestellt ist.

Fachlich überforderter Anwalt

Der Einzige, der sich raushält, ist ausgerechnet der Anwalt von Marcel D. Mehrere Prozessbeteiligte stellen die Kompetenz des Zeugenbeistands irgendwann offen infrage. Auch beim Gericht scheinen die Sorgen zu wachsen, dass der Anwalt fachlich überfordert ist. Wolfgang Heer, Verteidiger von Beate Zschäpe, beantragt schließlich, dem Anwalt das Mandat zu entziehen. Richter Götzl bittet den Zeugenbeistand, auch mal etwas zu sagen. Und zur Überraschung aller sagt der Anwalt: „Herr D. hat sich heute berichtigt.“ Übersetzt kann das nur heißen: D. hat zugegeben, V-Mann gewesen zu sein. Da muss sogar Götzl lachen, steht dies doch im Widerspruch zu allen mühsam erkämpften Antworten.

Götzl fragt also noch einmal den Zeugen selbst. Und da kommt es, das verklausulierte Bekenntnis von Marcel D. zu seiner Spitzeltätigkeit. Er sagt: „Ich habe gesagt, ich korrigiere meine Aussage in dieser Hinsicht.“ Ansonsten berufe er sich auf sein Auskunftsverweigerungsrecht. Die Verwirrung ist komplett. Richter Götzl unterbricht die Befragung. Das Gericht will nun entscheiden, ob D. mit seinem Anwalt wirklich gut beraten ist. Marcel D. muss also ein fünftes Mal vor Gericht erscheinen, dann eventuell mit anderem Beistand.