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Das Leid der Verschenker

Im Streit um ein Verschenkeregal in Löbtau bleiben Anwohner und Stadt hart. Selbst Kinderwagen mussten dran glauben.

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Von Henry Berndt

Nur ein blasser A4-Zettel an der Litfasssäule erinnert noch daran, dass die Ecke Baluschek- und Columbusstraße in Löbtau in den vergangenen Tagen Schauplatz einer wahrhaft tragikomischen Posse war. „Vermisst“ ist auf dem Zettel zu lesen. Es folgt eine Suchanzeige für das „Verschenkeregal Nr. 2“. „Am Nachmittag des 16.08. verschwand es auf unheilvolle Weise von seinem Platz.“ Auch das Regal Nr. 3, das anschließend an exakt diesem Platz errichtet wurde, ereilte nur wenig später dasselbe Schicksal.

... in Löbtau war ein langes Leben vergönnt.
... in Löbtau war ein langes Leben vergönnt. © privat
Samt Inhalt verschwanden sie auf dem Sperrmüll.
Samt Inhalt verschwanden sie auf dem Sperrmüll. © privat

Mitarbeiter des Straßen- und Tiefbauamts holten es mitsamt aller darin und darum liegenden Spenden ab. Selbst funktionstüchtige Kinderwagen und Fahrräder verschwanden auf Nimmerwiedersehen. Auf Anfrage teilt die Stadt dazu kurz und knapp mit: „Die Gegenstände werden zu den Wertstoffhöfen der Stadtreinigung Dresden gebracht und einer ordnungsgemäßen Verwertung zugeführt.“

Hinter diesen skurrilen Vorgängen steckt ein Streit zwischen Anwohnern in Löbtau und der Stadt. Die Initiative „Unsere Straße, Unsere Stadt“ hatte zunächst ohne Ankündigung ein Verschenkeregal aus Holzpaletten gebaut, die vorher als Sitzgelegenheiten für ein Straßenfest gedient hatten. Das Regal stand einige Tage unbehelligt nahe der Litfasssäule und sorgte für reges Interesse bei den Passanten. Doch so einfach geht das nicht. Die Stadt schritt ein und wies die Aufsteller per angehefteter Notiz darauf hin, dass es sich hierbei um eine nicht genehmigte Sondernutzung öffentlicher Flächen handele. Nachdem eine Frist verstrichen war, wurde die Fläche dann „beräumt“. Ein Brief der Anwohner blieb unbeantwortet.

Die Aufsteller reagierten empört und bauten einfach ein zweites Regal und nach dessen Beräumung noch ein deutlich kleineres drittes. Allein, die Stadt blieb hart. Inzwischen würde man am liebsten Anzeige beim Ordnungsamt erstatten, doch dafür müsste das Amt zunächst die Person ausfindig machen, die die Regale aufgestellt hat. „Diese Person konnte bisher nicht ermittelt werden“, heißt es.

In diesem Licht betrachtet ist es wenig verwunderlich, dass die Initiatoren hinter „Unsere Straße, Unsere Stadt“ gerade ungern Gesicht zeigen. Zu der Gruppe gehören etwa sieben Dresdner aus Löbtau und Friedrichstadt zwischen 20 und 30 Jahren. Nur anonym spricht jemand mit der SZ.

Die Idee sei ihnen gekommen, als sie überall in der Stadt Pappkartons vor den Häusern stehen gesehen hätten. Ein zentraler Ort zum Verschenken und Tauschen sehe aufgeräumter aus und sei leichter zu pflegen, fanden sie. Inzwischen ginge es ihnen aber längst auch ums Prinzip. Mit ihrer Hartnäckigkeit wollen sie „einen Prozess in Gang setzen, an dessen Ende an verschiedenen Stellen in der Stadt Regale im öffentlichen Raum stehen sollen.“ Bislang seien aber alle Versuche, dafür mit der Stadt eine Lösung zu finden, auf dem Sperrmüll geendet. Zwar mangele es den Machern nicht an Holz und Motivation, auch ein viertes oder fünftes Regal zu bauen, doch sie bedauerten zunehmend die Verschwendung der Spenden wie Bücher, Spielzeug und Geschirr, die anderen noch hätten Freude machen können. „Die Akzeptanz wird natürlich geringer, wenn die Regale immer wieder verschwinden. Deswegen versuchen wir es jetzt noch einmal mit einer Anmeldung über einen Verein“, heißt es. „Die Chancen sind aber wohl sehr gering.“

Die Auflagen für das Aufstellen einer solchen Konstruktion im öffentlichen Raum stehen denen für eine Baugenehmigung kaum nach. Vor einer Genehmigung seien sogenannte Leitungsanfragen nötig, zum Beispiel bei der Drewag und Vodafone. Es könnten ja Kabel unter der Stelle hindurchgehen. Außerdem müsse ein statisches Gutachten in Auftrag gegeben werden, das schnell über 3 000 Euro kosten könne. „Natürlich könnten wir jetzt eine Crowdfundingkampagne dafür starten, aber das wäre einfach schade ums Geld.“

Die einfachste Lösung für das Problem liegt auf der Hand: Bei einem Verschenkeregal auf privatem Grund wären alle Genehmigungen, Gutachten und Leitungsanfragen auf einen Schlag unnötig. Für die Initiative „Unsere Straße, Unsere Stadt“ wäre das aber ein schwacher Kompromiss: „Private Räume sind immer eine Barriere“, sagt einer ihrer Sprecher. Was man brauche, sei ein öffentlicher, zentraler und gut einsehbarer Punkt.

Sollte ihr jüngster Versuch einer Einigung mit der Stadt fehlschlagen, wollen die Löbtauer ihre Verschenkeoffensive demnächst möglicherweise auf zeitlich begrenzte Feste und Tauschflohmärkte konzentrieren. Auf dem Sperrmüll soll vorerst nichts Wertvolles mehr landen.