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„Da kam der Mann mit der Keule“

Bei der Leichtathletik-EM in Berlin verpasst Johannes Hohl knapp eine Medaille. Jetzt will der Dresdner zu den Paralympics 2020 nach Tokio.

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© Action Press/Axel Kohring

Von Daniel Klein

Bis 50 Meter vor dem Ziel lief Johannes Hohl schnell – und alles nach Plan. Auf Platz drei lag er. Doch dann schwanden die Kräfte. Die Schritte wurden kürzer. Der Oberkörper kippte nach hinten. „Da kam der Mann mit der Keule“, sagt er und grinst. Nach 400 Metern überquerte Hohl schließlich als Fünfter die Ziellinie. Die Medaille bei der Para-Europameisterschaft der Leichtathleten in Berlin war weg.

Zwei Wochen danach ist die Enttäuschung längst verflogen. Auf seinem Handy schaut er sich das Video vom Finale im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark immer wieder an, samt Kommentar des ARD-Reporters. Die Sportschau übertrug sein Rennen als Livestream im Internet. Man spürt seinen Stolz, wenn er sich da laufen sieht, mit Germany-Schriftzug und dem Bundesadler auf der Brust. Nur darüber sprechen, das fällt dem Dresdner ein bisschen schwer. Hohl gehört zu den Sportlern mit intellektueller Beeinträchtigung, wie es offiziell heißt. Beim 19-Jährigen liegt der IQ zwischen 50 und 60. Bei 70 verläuft die Grenze. Womöglich ist ein Gendefekt der Grund dafür.

Das nächste große Ziel sind die Paralympics 2020 in Tokio. Für die Stadionrunde benötigte er bei der EM in Berlin 52,67 Sekunden. Seine Bestzeit liegt elf Zehntel darunter. Doch um sich für die Olympischen Spiele der Behinderten zu qualifizieren, müsste er unter 50 Sekunden laufen, schätzt sein Vater Thomas Schulz, der die Sportkarriere seines Sohnes mit viel Engagement fördert. Auf Tokio ist nun alles ausgerichtet. Nach dem Abschluss der Förderschule hätte Hohl eigentlich eine Arbeit in einer Werkstatt beginnen sollen, dort aber wegen des Trainings, der Lehrgänge und Wettkämpfe ständig gefehlt. „Die Pädagogen haben deshalb vorgeschlagen, dass er sich in den nächsten zwei Jahren auf den Sport konzentrieren soll“, erzählt Schulz und ist dafür sehr dankbar.

Zugfahrten sind kleine Abenteuer

So kann sein Sohn nun zweimal die Woche am Olympiastützpunkt in Cottbus trainieren, der auf Sportler mit Beeinträchtigungen spezialisiert ist. Die Fahrten mit dem Zug dorthin und wieder zurück sind ein kleines Abenteuer. Dreimal schon erwischte Hohl entweder den falschen Zug oder verpasste den Umsteigebahnhof. „Aber angekommen ist er letztlich doch immer“, sagt Schulz.

Hohl reist viel – und nicht nur nach Brandenburg. Im März flog er mit dem Riesenflugzeug A 380 nach Dubai, startete beim Grand Prix. „Der Sport ist für ihn eine schöne Ablenkung. Er kann was erleben, was er sich sonst vielleicht nicht leisten könnte“, sagt sein Vater. Doch es gibt dabei ein Problem: Hohl ist derzeit der Einzige im deutschen Para-Leichtathletik-Nationalteam, der in der Schadensklasse T20 antritt – die für die intellektuell Beeinträchtigten. „In Dubai ist er kaum aus seinem Hotel rausgegangen, hat sich nichts angesehen, weil keiner wusste, dass man ihn dazu animieren und ihn dann auch begleiten muss“, erzählt Schulz.

Ein zweites Problem ist: Hohl kann kein Englisch und sich deshalb bisher noch nicht mit seinen Konkurrenten verständigen. Künftig soll er die Zugfahrten von Dresden nach Cottbus fürs Vokabellernen nutzen. Als Hohl das hört, verzieht er den Mund. „Wie viele Wörter“, fragt Hohl. „Vielleicht 20“, antwortet sein Vater. Die Reaktion fällt nicht gerade euphorisch aus. Sport macht er lieber.

Und Fußball am liebsten. Wenn die Sprache auf Dynamo oder den SV Pesterwitz kommt, leuchten seine Augen. Einmal pro Woche trainiert Hohl beim Kreisoberligisten. Am Wochenende hatte er seinen ersten Einsatz. Seine große Stärke: Hohl ist schneller und hat mehr Ausdauer als seine Gegner. Bei den Dynamo-Heimspielen steht er im K-Block, wenn er nicht gerade selbst auf dem Rasen oder der Tartanbahn unterwegs ist.

Das nächste Mal schafft Hohl das am 19. Oktober gegen Erzgebirge Aue. „Sachsenderby, das wird gut“, frohlockt er. Hohl hofft, dass seiner Mannschaft dann nicht kurz vor dem Ende die Kräfte ausgehen.