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Bistum Görlitz blickt auf die dunkle Seite der Kirche

Ein Missbrauchsopfer meldete sich in der Diözese. Nun soll alles getan werden, damit solche Fälle künftig verhindert werden.

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© Pawel Sosnowski/pawelsosnowski.c

Von Sebastian Beutler

Görlitz. Generalvikar Alfred Hoffmann ist an diesem Mittwochvormittag anzumerken, wie ihn die Fälle von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche bewegen. Zusammen mit verantwortlichen Mitarbeitern stellt er sich den Fragen von Journalisten in der Bistumsverwaltung auf der Carl-von-Ossietzky-Straße. Dass das Bistum zu einer Pressekonferenz einlädt, ist ganz selten. Beim ersten Vermögensbericht war das zuletzt der Fall. Das liegt schon einige Jahre zurück. Doch der Missbrauchsskandal zieht bundesweit Kreise. Mit zurückhaltenden Gesten, mit ernster Miene und einer klaren Wortwahl blickt Hoffmann nach eigenen Worten auf die „dunkle Seite der Kirche“, ein „zutiefst erschütterndes Thema“.

Als Vertreter von Bischof Wolfgang Ipolt, der noch an der Herbstkonferenz der deutschen Bischöfe in Fulda teilnimmt und schon am Sonntag eine Stellungnahme in allen Gemeinden des Bistums verlesen ließ, könnte er es sich leicht machen und darauf verweisen, dass sich im Bistum lediglich ein Mann offenbart hat, der als Kind von einem mittlerweile verstorbenen Priester sexuell missbraucht wurde. Die Kirchenleitung schätzte das Zeugnis des Mannes als glaubwürdig ein. Auf ein persönliches Gespräch verzichtete der Mann. Das Bistum zahlte ihm als Anerkennung des Unrechts 4 000 Euro. Eine symbolische Summe, wie der Justiziar des Bistums, Andreas Oyen, hinzufügt, der auch Präventionsbeauftragter des Bistums ist. Wiedergutmachen kann das Geld auch nichts. Aber es sei eben ein Signal, dass es die katholische Kirche ernst meine, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Hoffmann sagt: „Es gibt für jegliche sexuelle Gewalt keine Entschuldigung.“

Doch obwohl nun die Personalakten von 108 Priestern durchgeschaut wurden, alle lebenden Priester ab dem Jahr 2000 überprüft wurden, bleibt eine Dunkelziffer, von der niemand weiß, wie hoch sie ist. Sie ergibt sich allein schon daraus, dass im Bistum seit 1945 rund 250 Priester gearbeitet haben. Die genaue Zahl ist wegen der Vertreibung und des Nachkriegschaos nicht bekannt. Doch auch in den ungeprüften Personalakten dürften sich keine Hinweise auf sexuelle Vergehen finden, weil sie nur dann eingetragen worden wären, wenn sich Betroffene gemeldet hätten. Aber lange Zeit trauten sich Opfer nicht an die Öffentlichkeit oder zumindest nicht, dem Bistum Vorfälle zu melden. „Du kannst doch nicht schlecht über den Pfarrer sprechen“, hätte es in vielen Familien geheißen, sagt Hoffmann.

Deswegen ist das Bistum auf Männer und Frauen angewiesen, die sich melden und über ihre Fälle berichten. Wie schwierig das ist, machte Oyen deutlich, der eine Mutter kennt, die davon überzeugt ist, dass ein Priester ihren Sohn vor Jahren sexuell missbraucht habe. Aber der heute längst erwachsene Mann habe das Erlebnis so abgekapselt, dass er – wenn überhaupt – nur in Andeutungen darüber reden kann.

Dabei hat es auch das Bistum Görlitz in den vergangenen Jahren Opfern leichter gemacht, sich zu offenbaren. Andreas Oyen ist seit 2010 Präventionsbeauftragter, und seit ein paar Jahren gibt es auch zwei Ansprechpartner für Hinweise auf Missbrauch: Martina Kasper und Dr. Frank Schilke, deren Kontaktdaten auf der Internetseite des Bistums zu finden sind. Unabhängig seien sie, sagt Alfred Hoffmann, keine Mitarbeiter des Bistums, das „haben wir ganz bewusst so gemacht“. Sie ist Sonderschullehrerin in Görlitz, als Katholikin habe sie der Missbrauchsskandal psychisch stark belastet. „Dass so etwas in meiner Kirche passieren kann“, dachte sie. „Ich habe mich geschämt für meine Kirche.“ Doch als sie Generalvikar Hoffmann fragte, ob sie als Ansprechpartner zur Verfügung stünde, da entschied sie sich nach langem Überlegen dafür. „Alles andere wäre ein Herausschleichen gewesen.“ Frank Schilke ist Urologe und leitet die Urologie am Evangelischen Krankenhaus Luckau, westlich von Cottbus gelegen. Von Berufs wegen habe er gelegentlich mit Kindermisshandlungen zu tun. Da lag es nahe, dass er zusagte, als Bischof Ipolt bei ihm anfragte. Gemeldet hat sich aber weder bei Frau Kasper noch bei Herrn Schilke bislang niemand.

Doch das Bistum will nicht nur die Vergangenheit klären, sondern auch Fälle sexuellen Missbrauchs künftig verhindern. Die Präventionsordnung, die wie jedes Bistum auch das Görlitzer in den vergangenen Jahren eingeführt hat, sieht verpflichtende Schulungen für die derzeit 29 Priester vor. Auch muss jeder Priester oder Mitarbeiter, der mit Kindern arbeitet, ein Erweitertes Führungszeugnis vorlegen, in dem noch nicht verjährte Straftaten und Verurteilungen aufgelistet sind. Zum anderen müssen sie eine Selbstverpflichtungserklärung unterschreiben. Darin verpflichten sich die Mitarbeiter, sich für die körperliche und seelische Unversehrtheit der Kinder einzusetzen, deren Schamgefühle zu respektieren, auf Distanz zu achten und aktiv Stellung gegen sexistisches Verhalten zu nehmen. So müsse sich jeder, sagt Oyen, mit dem Thema auseinandersetzen. Und Generalvikar Alfred Hoffmann sieht darin Schritte zu der erwünschten „Kultur der Achtsamkeit und dem Hinsehen“. Es dürfe nicht mehr passieren, dass Menschen doppelt zum Opfer werden: Einmal durch sexuelle Gewalt, aber zum anderen auch dadurch, dass niemand davon hören oder sehen wollte.

Trotzdem verhehlt er nicht, wie immens groß er den eingetretenen Schaden für die katholische Kirche empfindet. „Vertrauen zu verspielen, ist eines der schlimmsten Dinge, wenn man positiv wirken will“, sagt Hoffmann. Die Kirche habe furchtbar verloren, selbst wenn die Menschen durchaus differenzieren können zwischen der Amtskirche und dem einzelnen Priester. Gerade in dieser Zeit, wo Autoritäten wackeln, wo die Leute auch Sehnsucht nach Institutionen hätten, denen man überhaupt noch glauben kann, sei die katholische Kirche nun in die Defensive geraten. „Der Auftrag der Kirche ist doch, zu segnen und zu heilen“, sagt Hoffmann. „Mit dem Bekanntwerden jedes weiteren Falls von Missbrauch aber verliere die Kirche weiter an Glaubwürdigkeit.“ Ob es spezielle Gegebenheiten wie das Zölibat oder den Umgang mit Sexualität in der katholischen Kirche gibt, die den Missbrauch begünstigen, wollte Hoffmann nicht direkt sagen. Die Wissenschaftler, die die Missbrauchsstudie für Deutsche Bischofskonferenz erstellt haben, kommen zu diesem Schluss. Monika Kasper sagt: „Ich wünsche mir für meine Kirche, dass sie gründlich und kritisch über Strukturen nachdenkt.“ Von heute auf morgen gehe das nicht, weil die Kirche auch im Guten fest in Traditionen verhaftet sei. Aber sie hat den Glauben, dass es ihre Kirche ernst meint. Kommentar

www.bistum-goerlitz.de