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Bienchens Paradies

In ihrem Schönbacher Naturgarten verschafft Insektenfreundin Doreen Hille allem, was krabbelt, kriecht und summt Nahrung und Lebensraum.

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© Marko Förster

Von Jörg Stock

Im Urlaub an die Riviera düsen? Durch Venedig gondeln? Im Roten Meer schnorcheln? Doreen Hille zieht es in der schönsten Zeit des Jahres nicht in die weite Welt. Sie zieht es in ihren Garten. Dieses Jahr hat sie dort die Metamorphose eines Schwalbenschwanzes erlebt. Die Raupen waren am Bergfenchel aufgetaucht und hatten sich verpuppt. Täglich ging sie gucken, ob nicht bald Leben aus den pergamentbraunen Kokons schlüpfte. Eines Tages kam sie tatsächlich gerade dazu, als ein prächtiger schwarz-gelber Falter aus der Pelle kroch. „Wie wunderbar und einzigartig das ist“, sagt sie, noch immer ganz ergriffen. „Das war mein schönstes Urlaubserlebnis.“

Kleine Schmuckstücke wie diese Spruchtafel töpfert die Hausherrin selbst.
Kleine Schmuckstücke wie diese Spruchtafel töpfert die Hausherrin selbst. © Marko Förster
Mag den Garten, aber keine Hunde: Kater Kolja auf Ausguck am Hochbeet.
Mag den Garten, aber keine Hunde: Kater Kolja auf Ausguck am Hochbeet. © Marko Förster
Gärtnern ist für sie wie Meditation, sagt Doreen Hille. In ihrem Naturgarten im Sebnitzer Ortsteil Schönbach pflanzt sie nicht nur das an, was der Familie schmeckt, sondern auch das, was der Insektenwelt nützt.Fotos: Marko Förster
Gärtnern ist für sie wie Meditation, sagt Doreen Hille. In ihrem Naturgarten im Sebnitzer Ortsteil Schönbach pflanzt sie nicht nur das an, was der Familie schmeckt, sondern auch das, was der Insektenwelt nützt.Fotos: Marko Förster © Marko Förster
Doreen Hilles Zweitgarten liegt jenseits von Acker und Wald. Hier hat sie Hügelbeete mit Terra Preta angelegt.
Doreen Hilles Zweitgarten liegt jenseits von Acker und Wald. Hier hat sie Hügelbeete mit Terra Preta angelegt. © Marko Förster
Emsig schwirren Bienen um die Blüten der Fetthenne. Bei Familie Hille finden sie überall reichlich Futter.
Emsig schwirren Bienen um die Blüten der Fetthenne. Bei Familie Hille finden sie überall reichlich Futter. © Marko Förster

Schönbach ist ein zu Sebnitz gehöriges Straßendorf mit kaum dreihundert Seelen. Die Schönbach – das Flüsslein wird hier als Dame angesprochen – gluckst nur ein paar Schritte entfernt von der Gartenbank, auf der Doreen Hille sitzt und in einem Buch blättert. Titel: Die Tagfalter Deutschlands. Etliche hat sie hier schon gesichtet. Den Bläuling zum Beispiel. Den Kaisermantel. Den Admiral. Natürlich auch das Pfauenauge. Und, wie gesagt, den Schwalbenschwanz. Als Kind schon hat Doreen ihn einige Male bewundert, und dann lange aus den Augen verloren. Umso schöner war das Wiedersehen.

Die Insektenwelt ist Doreen Hilles Steckenpferd. Entdeckt sie ein Tierchen im Haus, trägt sie es, statt es um die Ecke zu bringen, unterm Glas ins Freie. Spinnennetze sind für sie kein Grauen, sondern Kunst. Im Garten hat sie ein halbes Dutzend Insektenhotels aufgestellt, aus Holz gezimmert oder handgetöpfert. Sie hat es so eingerichtet, dass möglichst viel blüht, was Bienen, Hummeln und Schwebfliegen ernährt, und das möglichst vom zeitigen Frühjahr bis zum Frost. Das Insektenfüttern macht ihr viel Spaß, sagt sie. „Das hätte ich vorher nie gedacht.“

Ohne Tiere ist ein Garten für Doreen Hille nicht lebendig. Dafür steht schon Kolja, der „Kampfkater“, ein pechschwarzer Ex-Streuner, den Frau Hille aufgenommen hat. Kolja attackiert gern Hunde, egal welcher Größe. Geht Doreen Hille in den Garten, ist er mit dabei. Am liebsten liegt er im Korbsessel unter der stämmigen Trauerweide. Auch Doreen Hille findet den Baum toll. So einen hat sie immer gewollt. Warum, kann sie nicht genau sagen. „Ich finde ihn einfach beruhigend.“

Ruhe ist das Stichwort. Im Alltag aus Job, Hausarbeit, Computerbildschirmen, in der allseitigen Beschleunigung des Daseins ist der Garten Doreen Hilles Ruhepol. Hier lässt sich das Leben wieder verlangsamen, hier lässt sich Geduld üben. Die Natur gibt Kraft, gibt Gelegenheit, zu sich selbst zu kommen. Im Garten zu sein, ist für sie wie Meditation. Wenn sie in der Erde buddelt, die Pflanzen bemuttert, sieht sie das gar nicht als Arbeit, sondern als Luxus.

An Luxus haben die Vorgänger der Hilles bestimmt weniger gedacht. Das Bauernhaus von 1849 wurde von einem Nutzgarten umschlossen, der wohl vorrangig zur Selbstversorgung diente. Doreen Hille hat daraus einen Naturgarten gemacht, „eher verwildert“, sagt sie, „aber mit Struktur“. Als Einfassung gibt es zwar eine Buchenhecke. Aber die ist nicht schick getrimmt. Die Vögel sollen sie mögen. Hier gibt es Grauschnäpper und Stieglitze, auch viele Grünfinken. Frau Hille guckt gern zu, wenn sie am Borretsch hängen und die Samen herauspicken. „Das ist so süß anzuschauen.“

Auf dem Hochbeet reifen Chinesische Schlangengurken. Die werden eingelegt, in Salzlake, mit Zwiebeln, Dill und Weinblättern. Nach sechs Wochen sind sie fertig. Zuckerstoffe werden zu Milchsäure. Die gibt den Gurken einen feinen Geschmack und dem Darm eine gesunde Flora. Beim Gartenbau setzt Doreen Hille auf den Mond. Sie nutzt einschlägige Kalender, die davon ausgehen, dass kosmische Kräfte das Pflanzenwachstum beeinflussen. Den Gedanken findet sie faszinierend, lässt sich aber davon nicht zu sehr treiben. Druck würde ihr den Spaß verderben. Und das will sie nicht. Denn nur wer mit Spaß gärtnert, sagt sie, gärtnert auch mit Liebe.

Frau Hille, die als Vollwertköstlerin auf möglichst naturbelassene Nahrungsmittel schaut, liebt Gewächse, die nicht jeder hat, und die sich gut auf dem Speisezettel machen. Sedanina zum Beispiel, ein beinahe vergessenes Kraut, das erfrischend mild nach Karotte schmeckt. Ausdauernder Lauch, auch als Schnittporree bezeichnet, macht sich gut in Quark oder Kräuterbutter. Endivien, ein Spätsommersalat mit vielen Mineralstoffen und Vitaminen, stärkt das Immunsystem.

Trunkenheit am Büschelschön

Aber immer denkt sie auch an ihre „Mitesser“. Blüht der Oregano, schneidet sie nichts davon ab, um den besonders süßen Nektar den Bienen und Schmetterlingen zu überlassen. Das Büschelschön, auch Bienenfreund genannt, ist mit seinen hervorstehenden Staubblättern ein gefundenes Fressen. Wie trunken hängen die Bienen an der Pflanze, sagt Doreen Hille, wenn sie Pollen und Nektar einsammeln. Auch die Taubnessel ist mit ihren honigsüßen weißen Blüten eine Leckerei. Und den leuchtend blauen Natterkopf hat Doreen Hille eigens für die Natterkopf-Mauerbiene in ihren Garten geholt. Das Insekt ist ein Pollenspezialist und ernährt sich nur von dieser Pflanze, weshalb es in einigen Gegenden des Landes als gefährdet gilt.

Zu den Honigbienen hat Doreen Hille ein besonders inniges Verhältnis. Endlos kann sie zusehen, wie die Insekten auf den Blütendolden ihrer Fetthennen herumwuseln. Der Fleiß der Tiere beeindruckt sie enorm. „Sie geben uns das süße Gold, das so gesund ist“, sagt sie. „Dafür bin ich dankbar.“ Herkömmlichen Zucker hat sie erst gar nicht im Haus. Sie ist überzeugt davon: Würden die Bienen sterben, ginge es mit den Menschen bald bergab. Aber klar ist für sie auch, dass jeder etwas Kleines dafür tun kann, dass es nicht dazu kommt. Schon die Kinder, findet sie, müssten für das Thema begeistert werden.

Doreen Hille hat Glück. Sie kann Honig vom Imker nebenan kaufen. Es gibt auch Bauern, die ihr Mist liefern. Daraus macht sie Terra Preta, die Schwarze Erde, erfunden vor Hunderten Jahren von den Indios im Amazonas. Stallmist, Rasenschnitt, Gehäckseltes, dazu spezielle Mikroorganismen, Pflanzenkohle und etwas Zeit – fertig ist die natürliche Nährstoffkonserve.

Von der Schwarzen Erde profitiert nicht nur der Garten am Haus, sondern auch der Zweitgarten draußen in den Hügeln, zwanzig Minuten Fußmarsch von hier. Die Hilles haben ihn zur Silberhochzeit geschenkt gekriegt. Sie haben ihn terrassiert und mit Beeten bestückt. Das meiste aber ist wilde Wiese. So soll es auch bleiben. Manchmal sitzen sie dort, mit einer Pizza und einem Glas Rotwein, und gucken einfach nur in die Landschaft. Freilich, es ist nicht die Riviera und auch nicht Venetien. Aber für Familie Hille genauso schön. Mindestens.

Als Abschluss der Serie lesen Sie: Wie man Amerika pflanzte – ein Streifzug durch den Tharandter Forstpark.