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Beratung im Akkord

Wenig Personal, viele Klienten. Berater für Flüchtlinge und EU-Ausländer schlagen Alarm. Auch in Freital.

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© Egbert Kamprath

Von Tobias Winzer

Freital. So sieht ein ganz normaler Fall aus. Gabriele Hohlfeld-Pietzcker schnappt sich einen dicken Aktenordner aus dem Regal. Auf dem Rücken des Ordners steht der Name der Familie, die sie berät. Sie blättert in den Seiten. Die Identifikationsnummer für die Steuer, die Anmeldung zur Krankenkasse, die Beantragung des Wohngelds – bei all diesen Dingen und außerdem bei 29 anderen Problemen hat sie diese Familie unterstützt. „Die Arbeit ist sehr komplex“, sagt die Beraterin, die für den Sozialverband Caritas in Freital zusammen mit ihrer Kollegin Anne Ditscherlein Flüchtlinge und EU-Ausländer bei ihren ersten Schritten in Deutschland begleitet.

Sie und die anderen Berater in der Region schlagen nun Alarm, weil es ihrer Ansicht viel zu wenige Stellen für zu viele Fälle gibt. „Die Stellenzahl müsste eigentlich verdoppelt werden“, sagt Silke Maresch, die die Beratungsdienste der Caritas im Landkreis leitet.

Um das Problem zu verstehen, ist zunächst ein Blick auf die komplizierte Struktur der sogenannten Migrationsarbeit nötig. Damit sich Ausländer gut in Deutschland zurechtfinden, unterstützt der Bund drei Maßnahmen: Integrationskurse, den sogenannten Jugendmigrationsdienst (JMD) und die Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer (MBE). Alle drei Angebote werden aus unterschiedlichen Töpfen finanziert. Die Arbeit vor Ort leisten sogenannte soziale Träger im Auftrag des Bundes, wie eben die Caritas oder die Arbeiterwohlfahrt und die Diakonie.

Diese Sozialverbände sehen nun vor allem ein Ungleichgewicht zwischen der Finanzierung der Integrationskurse, bei dem die Ausländer vor allem die deutsche Sprache lernen sollen, und den Mitteln für JMD und MBE. Diese beiden Hilfsangebote sind dafür da, dass sich Ausländer verschiedener Altersgruppen vor allem im deutschen Behördendschungel zurechtfinden. Sie helfen zum Beispiel bei der Beantragung von Wohngeld oder bei der Jobsuche.

„Während die MBE-Mittel zwischen 2015 und 2018 lediglich um 50 Prozent erhöht wurden, wurde der Haushaltstitel für Integrationskurse im gleichen Zeitraum verdreifacht“, sagt Maresch. Beim Jugendmigrationsdienst, kurz JMD, der sich um Zugewanderte im Alter zwischen zwölf und 27 Jahren kümmert, ist die Lage noch drastischer. Laut Caritas hat sich die Zahl der Klienten bundesweit verdoppelt, die Zahl der Berater ist jedoch seitdem gleich geblieben.

In Freital sind die beiden Beratungsstellen im Schumann-Klub an der Dresdner Straße 162 angesiedelt. Das Geld, das der Bund für die Arbeit gibt, reicht für eine halbe und eine 75-Prozent-Stelle. Und das, obwohl von hier aus nicht nur Klienten aus Freital, sondern aus dem gesamten Osterzgebirge beraten werden. Bei der Migrationsberatung für Erwachsene kommen dadurch rund 200 Hilfsbedürftige zusammen, um die sich eine Mitarbeiterin kümmern muss. Die Sozialverbände fordern in einer gemeinsamen Initiative, dass dieses Verhältnis auf mindestens 150 Klienten für einen Betreuer verbessert wird.

„Wir mussten zwar noch niemanden wegschicken, weil wir keine Zeit haben, aber wir können die Bedürfnisse der Menschen gar nicht richtig bedienen“, sagt Beraterin Anne Ditscherlein. „Wir würden viel lieber präventiv arbeiten.“ So kämen die Menschen immer erst in die Beratungsstelle, wenn es eigentlich schon zu spät sei – zum Beispiel, wenn es Ärger mit dem Kind in der Schule gebe.

Derzeit leben 6 560 Ausländer im Landkreis. Asylbewerber im laufenden Verfahren und EU-Ausländer machen mit jeweils rund einem Drittel den größten Teil aus. Sie gehören auch zu den Hauptklienten der Beratungsstellen – mit allerdings unterschiedlichen Bedürfnissen. Während es bei den Asylbewerbern zunächst darum geht, das Leben in einem fremden Land von Grund auf neu zu organisieren, sind bei EU-Ausländern vor allem Fragen rund um die Arbeit zu klären. „Es ist eine wahnsinnige Themenvielfalt“, sagt die Leiterin der Beratungsdienste, Silke Maresch.

Sie sieht vor allem das Problem der weiten Wege. „Wenn wir doppelt so viele Berater hätten, dann könnten wir auch eine Außenstelle in Dippoldiswalde schaffen. Von Altenberg bis nach Freital für eine Beratung zu fahren – das macht niemand.“ Sie betont, dass die Berater nicht nur für Flüchtlinge da sind, sondern zum Beispiel auch EU-Bürgern bei der Jobsuche helfen.

Um ihren Sorgen bundesweit Gehör zu verschaffen, haben die Berater den Bundestagsabgeordneten André Hahn (Linke) vor Kurzem zu einem Gespräch nach Freital eingeladen. „Da muss mehr gemacht werden“, stimmte der Politiker dem Anliegen zu. Er wolle sich nun auch im Hinblick auf die anstehenden Haushaltsverhandlungen dafür einsetzen, dass mehr Geld für die Migrationspolitik bereitgestellt werde.