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Bautzens prächtigste Villa

Zum Tag des offenen Denkmals öffnet auch das Weigangsche Haus. Dabei gibt es Neues zu entdecken.

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© Uwe Soeder

Von Miriam Schönbach

Bautzen. Millimeterarbeit und viel Fingerspitzengefühl ist an diesem Vormittag im Garten der Bautzener Villa Weigang gefragt. Steinmetzmeister Clemens Modrakowski überprüft ein letztes Mal, ob die dicken, grünen Gurte die neue Ziervase gut halten können. Dann setzt er schnarrend die Ketten des Seilzugs in Bewegung. Immer höher schwebt der gut 300 Kilogramm schwere Sandstein zum Postament der Westterrassen der bekanntesten Bautzener Jugendstiladresse. Eigentümer Frank Reppe packt selbst mit an. „Bestimmt zehn Jahre denke ich darüber schon nach, dass diese Schmuckelemente zurückkehren. Sie sind ein wichtiges Detail der Prunkfassade“, sagt er glücklich.

Die Bautzener kennen diese Ansicht seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Der wohlhabende Industrielle Rudolf Weigang beauftragt Alwin Anger mit dem Bau der Villa. Der Architekt lehrt zu dieser Zeit an der Dresdner Kunstgewerbeschule. Ein Modell des Baus wird sogar im Jahr 1900 auf der Pariser Weltausstellung gezeigt. Neben der einzigartigen Formenvielfalt und der individuellen Raumarchitektur beeindruckt sein Entwurf vor allem durch die Glaskuppel in der zentralen, über zwei Geschosse übergreifenden Eingangshalle. „26 Jahre alt ist Rudolf Weigang, als er hier nach seiner Hochzeit im September 1903 mit seiner Frau einzieht. Dorothee ist damals gerade einmal 21 Jahre. Dieses Haus war ein Ausdruck der wirtschaftlichen Kraft der Familie Weigang“, sagt Frank Reppe.

Aufgrund der Baukosten in Höhe von einer Million Goldmark nennt der Volksmund den Neubau seinerzeit „Millionenvilla“. Doch sie ist nur ein Teil einer einzigartigen Gesamtanlage aus Landschaftsbau, Architektur und Kunst. Grotten- und Teichanlagen, Palmenhaus und Parkanlage sowie weitere herrschaftliche Villen bilden zwischen Wall-, Taucher- und der heutigen Weigangstraße ein Ensemble. Den Grundstock dieses Wohlstands legen Otto und Eduard Weigang. Die Brüder machen die einfache Steindruckerei des Vaters zu einem Großunternehmen mit weltweiten Geschäftsbeziehungen. Die Firma druckt Ausstattungen für Zigarrenkisten, Etiketten und Massenverpackungen.

Der Absatz erstreckt sich zwischen 1870 und 1930 weit über Europa hinaus, besonders auf Länder der Zigarrenproduktion wie Kuba, Mexiko und die Philippinen. Bei Weigangs arbeiten zu Spitzenzeiten mehr als 800 Mitarbeiter. Vor 1914 bedruckt das Unternehmen pro Jahr zehn Millionen Bogen Papier. Doch durch die Erhebung von Zöllen für Importe durch die USA ab 1911 brach den Weigangs dieser Markt weg. Ein Jahr später übernimmt Eduards Sohn Rudolf die Geschäftsleitung des Betriebs. Und wiederum zwei Jahre später bricht der Erste Weltkrieg aus.

Es kommen wirtschaftlich schwere Zeiten für die Weigangs. Vielleicht findet Rudolf mit seiner Familie in seiner Villa mit chinesischen Porzellanen, elfenbeinverzierten Schränken, Skulpturen und Gemälden unter ornamentreichen Stuckdecken ein Stück heile, aber eigentlich vergangene Welt. Vielleicht tritt er von Zeit zu Zeit auf die Westterrasse mit Blick auf die Altstadt oder auf eine der anderen mit einem jeweils eigenen Charakter und nimmt dabei schon Abschied von Bautzen. Nach dem Konkurs seiner Druckerei erpresst sich die Stadt das Weigangsche Areal für 153 000 Mark. Land und Gebäude wären gut doppelt so viel wert gewesen. Die vierköpfige Familie Weigang aber verlässt Bautzen und zieht nach Dresden.

Die Ziervase hat inzwischen ihren Platz erreicht. Ganz vorsichtig entfernen Clemens Modrakowski und sein Mitarbeiter die Gurte vom Sandstein. Mit einem alten Foto aus dem Baujahr der Villa hat die Arbeit des Steinmetzmeisters aus Pirna begonnen. „Anhand dieser Aufnahme konnte ich ein erstes Modell aus Ton fertigen. Davon wird eine Silikonform genommen, um damit ein Gipsmodell zu gießen“, sagt der 31-Jährige. Danach hat er sich einen wunderbar hellen Sandstein aus dem Steinbruch in Cotta ausgewählt. Mit Meißel und Knüpfel werden dann die Formen vom Gipsmodell in den Stein vom Groben ins Feine übertragen. Drei bis vier Monate hat er für beide Ziervasen benötigt.

Frank Reppe tritt einen Schritt von der Westterrasse zurück. Die Villa hat der Steinaer 1998 unter seine Fittiche genommen. Damals stand das Haus schon unter Denkmalschutz, war aber zwischenzeitlich durch die Stadt als Hospital, Kulturhaus und Mehrfamilienhaus genutzt worden. Erste Renovierungsmaßnahmen gab es an der Villa bereits ab 1987. Aufgrund der großen Kosten und der schwierigen, öffentlichen Nutzung des Palais entschied sich die Kommune nach der Wende, das Gebäude zu verkaufen. Seitdem hat sich der Immobilien-Kaufmann durch zahllose Stunden im Archiv und Gesprächen mit Zeitzeugen zum Weigang-Experten entwickelt.

Und vor allem aber führt Frank Reppe die Villa Weigang zu ihrem alten Antlitz dicht am historischen Vorbild zurück. „Die Reste der Terrassen fanden wir in Teilstücken in einer Garage“, sagt er. Statt der Sandsteinbrüstung gab es ein Stahlrohrgeländer, wie es noch auf der Nordterrasse zu sehen ist. Abgeschlossen sind inzwischen nach knapp 20 Jahren unter anderem die Einfriedung des Areals mit Sandsteinsäulen und der Neubau der Prunkkrone aus Zink. Auch die Salons und die Eingangsbereiche mit Malereien und Stuckarbeiten wurden restauriert. Tausende Stunden Arbeit stecken darin.

Die Steinmetze befestigen mit Mörtel die Ziervase. Neben dieser Neuheit können die Besucher beim Tag des offenen Denkmals unter dem Motto „Macht und Pracht“ am Sonntag in den Salons bei einer kleinen Ausstellung auf den Spuren der Famlie Weigang wandeln. Frank Reppe aber hat schon die Zukunft im Blick. „Ich werde wohl noch die kommenden zehn Jahren am Haus bauen“, sagt er. Projekte gibt es genügend. Der achte Schornstein soll wieder auf das Dach, zwischen die Essen sollen die Ziergitter zurückkehren – und die Nordterrasse soll wieder ihre Sandsteinbrüstung bekommen. Möglicherweise ist dann wieder das Fingerspitzengefühl von Clemens Modrakowski gefragt.

www.tag-des-offenen-denkmals.de