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Barocke Perle am launischen Fluss

Der Schlosspark Weesenstein und die Müglitz sind eine Schicksalsgemeinschaft. Eine Herausforderung für Gartendenkmalpfleger wie Simone Ruby.

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© Marko Förster

Von Jörg Stock

Weesenstein. Ein schönes Paar, der Park und der Fluss. Sie gehören zusammen, seit Jahrhunderten schon. Der Fluss war der Geburtshelfer des Parks. Auf seinem Schwemmsand ist er gebaut. Der Fluss schmückt den Park, als Raumteiler und als natürliches Wasserspiel. Der Fluss kann aber auch Totengräber sein und wäre es schon oft gewesen, hätten nicht Menschen den Park immer wieder herausgewühlt aus dem meterdicken Schlamm.

Ein wahrhaft prachtvoller Anblick

Schön streng: Der „Kleine Park“ mit seien Symmetrien und Rondellen verrät den barocken Ursprung.
Schön streng: Der „Kleine Park“ mit seien Symmetrien und Rondellen verrät den barocken Ursprung.
Wasser liefert nicht nur die Müglitz. Die Fontäne im Zentrum des „Kleinen Parks“ speist ein Bergbach.
Wasser liefert nicht nur die Müglitz. Die Fontäne im Zentrum des „Kleinen Parks“ speist ein Bergbach.
Blütenpracht vor Schlosskulisse: Heute geht es viel bunter zu als in alten Zeiten.
Blütenpracht vor Schlosskulisse: Heute geht es viel bunter zu als in alten Zeiten.
Zwei Frauen mit Rosen: Gärtnerin Marketa Hoffmann und Blumengöttin Flora.
Zwei Frauen mit Rosen: Gärtnerin Marketa Hoffmann und Blumengöttin Flora.
Grüner Tunnel: Im „Großen Park“ führen Laubengänge zum kleinen Pavillon aus dem 18. Jahrhundert.
Grüner Tunnel: Im „Großen Park“ führen Laubengänge zum kleinen Pavillon aus dem 18. Jahrhundert.

Simone Ruby sitzt auf einer Bank an der Außenmauer des Schlossparks Weesenstein, eine kleine Frau mit einer großen Leidenschaft: Gärten. Genauer gesagt Gartendenkmäler. Die 61-jährige Landschaftsarchitektin kümmert sich wissenschaftlich um die Parks im Schlösserland Sachsen, auch um diesen hier, am Fuße des Weesensteiner Schlosses. Sie mag es, wie ein Garten aus seiner Zeit erzählt, mit seinen Gewächsen, seinen Formen, seinen Bauten. Sie möchte erhalten, was sie vorfindet, und es möglichst – das ist ihr Anspruch – in besserem Zustand weitergeben.

Dass ihr das in Weesenstein gelingt, hätte sie im Sommer 2002 wohl selbst kaum geglaubt. Nach endlosen Regenfällen durchbrach die wild gewordene Müglitz den Schutzwall an der Gartengrenze und fräste eine zehn Meter breite Furche in das Gelände. Der Park wurde ein Teich, die Linden-Alleen schwammen davon und sogar die Marmorskulptur von Blumengöttin Flora, gewissermaßen die Schutzheilige des Gartens, kippte samt Rosenstrauß vom Sockel und brach sich die Hand.

Gemessen an der Verwüstung grenzt es an ein Wunder, dass der Park schon 2003 teilweise wieder offen war, reparierte Flora inklusive. 2007 wurde die Komplettsanierung abgeschlossen. Kosten: 2,6 Millionen Euro. Im selben Jahr kürte eine Expertenjury aus Gartenbauern und Professoren des Metiers den Schlosspark Weesenstein als einen der zehn schönsten Parks in ganz Deutschland. Vorkehrungen sind getroffen für neue Fluten, mit einer Sollbruchstelle, verstärkten Ufermauern und Bypass für das Wasser. Simone Ruby aber weiß: Die Hochwassergefahr wird immer dazugehören zu diesem Ort.

Die Ursprünge des Parks gehen in die Zeit zurück, als der Weesenstein die Heimstatt der Bünaus war. Ende des 16. Jahrhunderts legte man unterhalb des Schlossberges einen Garten an. Keineswegs nur zur Zierde. Mit seinen Früchten half er, die Schlossbewohner zu versorgen. Als die Ära der Familie Bünau 1772 endete und die Uckermanns auf Weesenstein einzogen, begann der Garten, seine heutige Gestalt anzunehmen.

Die Uckermanns waren ein Freiherrengeschlecht aus der hessisch-thüringischen Gegend. Frisch geadelt. Man würde sie heute womöglich als Neureiche bezeichnen. Sie machten aus dem Garten der Bünaus ein Schmuckstück im barocken Geist, mit symmetrischem Wegenetz, Rondellen, Heckenmauern, Laubengängen und Pavillon. Die Müglitz spielte von nun an die zentrale Rolle. Sie wurde kanalisiert und mitten durch die Anlage geleitet, überspannt von einer Brücke. In Stein ausgeführt, heißt die Querung heute landläufig nach Sachsenkönig Johann, der sich im 19. Jahrhundert bereits als Prinz in Weesenstein und den Garten verliebte.

Verglichen mit anderen barocken Anlagen hat Weesenstein etwas sehr Spezielles zu bieten: die abgeschiedene Lage in einem bewaldeten Tal. Der Park mit seinen hellen Sandwegen liegt da wie auf einer Lichtung. Das wussten die Gartenbauer zu nutzen. Jenseits des Parks, am Waldesrand, pflanzten sie ausdrucksstarke Laubgehölze an, Buchen zum Beispiel und Ahorne, damit ihr helles Laub Kontraste zur dunklen Masse der Fichten liefert, das Auge in die Landschaft zieht, in neue, in entfernte Räume. Gartenkunst ist Raumkunst, sagt Frau Ruby. „Statt der Wände gibt es Bäume.“

Eine Barockanlage aus dem Bilderbuch ist der Weesensteiner Park wohl nie gewesen. In seine Gestaltung spielte recht bald die „neue Empfindsamkeit“ hinein, die sich abwandte von der Selbstsucht und Eitelkeit der Barockzeit. Man achtete wieder mehr auf die Landschaft, versuchte, sie auf natürlich wirkende Art zu inszenieren. In diesem Sinne legten die Uckermanns oberhalb des Schlosses, im Umfeld eines bereits vorhandenen Jagdpavillons, einen weiteren Garten an, die sogenannten Englischen Partien, mit verschlungenen Wegen, mit Bogenbrücken und Aussichtspunkten. „Bis in die blauen Berge des Erzgebirges zu blicken, hat die Fürsten damals begeistert“, sagt Frau Ruby.

Plan von Dante, aber nicht vom Park

Die Gartendenkmalpflege ist eine sehr junge Disziplin. Vielleicht hat es damit zu tun, dass von den englischen Landschaften der Uckermanns heute kaum noch etwas übrig ist. Der Pavillon wurde Anfang der 1950er abgerissen. Der Rest der Anlage verfiel nach und nach. Heute kann man von einem verschwundenen Garten sprechen, das ganze Gegenteil von dem, was Simone Ruby und ihre Kollegen wollen: so viel wie möglich vom Original erhalten.

Doch auch im Schlosspark ist das alles andere als einfach. Wie der Garten einmal gegliedert war und was in ihm wuchs, wird bis ins späte 19. Jahrhundert kaum aktenkundig. Das kommt daher, dass Weesenstein ein Privatgarten ist. Zwar hat König Johann hier wohl Teile von Dantes Göttlicher Komödie übersetzt. Aber was im Garten gedieh, hat keiner aufgeschrieben. So ist auch unklar, wann die ungeheure Menge hochstämmiger Rosen, ein Markenzeichen des Schlossparks, gepflanzt wurde. Simone Ruby denkt, dass es um 1900 geschah. Das legen Pflanzpläne aus jener Zeit nahe. Die Rose dürfte allerdings schon um 1850, also zu Johanns Zeiten, in den Rabatten gestanden haben, sagt sie, „aber in viel bescheidenerem Umfang.“

Überhaupt war der Park in alter Zeit wohl weit weniger bunt als heute. Dahlien zum Beispiel, als Blütenwunder jetzt überall anzutreffen, gab es damals noch nicht. Trotzdem dürfen sie im Gartendenkmal Weesenstein wachsen. Es geht darum zu überlegen, was in die Zeit gepasst haben könnte, aber auch, was zusammen harmoniert und sich am Standort wohlfühlt.

Simone Ruby, vom Ursprung her eine „Berliner Pflanze“, hat sich im Garten immer wohlgefühlt, selbst wenn er völlig baumlos und von Kriegsruinen gesäumt war wie der Volkspark Friedrichshain, in dem sie als Kind ihre Liebe zur Botanik entdeckte. Einen eigenen Garten hat sie auch, einen Schrebergarten. „Ich liebe ihn heiß und innig“, gibt sie zu. Manchmal nimmt sie extra einen Umweg – um nur ja nicht daran vorbeizukommen. Sie lacht. „Sonst komme ich da nicht wieder weg!“

Als Nächstes: Gartenfreuden im Angesicht des Todes – die Baumsammlung auf dem Graupaer Friedhof.