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Bäckerei feiert

Vor 130 Jahren eröffneten Matthias Jungs Vorfahren den Betrieb. Heute gehen die Brötchen bis in die Dahlener Heide.

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© Klaus-Dieter Brühl

Von Stefan Lehmann

Riesa. Matthias Jung kann sich noch ziemlich genau daran erinnern, wie es in der Backstube der Großeltern ausgesehen hat. „Hier drüben stand der Ofen“, erzählt er und zeigt an die Wand zu seiner Rechten. Im Hof, wo heute eine Garage steht, lagerte die Kohle zum Anheizen. Wenn morgens in der Backstube in Oelsitz der Betrieb losging, schlief der kleine Matthias Jung im Stockwerk obendrüber. „Irgendwann wurde ich dann immer wach und bin runtergegangen, zuschauen“, erzählt der 44-Jährige. Da war es nur naheliegend, dass er irgendwann einmal das Familienhandwerk übernehmen würde.

Nicht alles geht mit moderner Technik: Konditorin Elisabeth Böhme arbeitet an einer Buttercreme-Eiche.
Nicht alles geht mit moderner Technik: Konditorin Elisabeth Böhme arbeitet an einer Buttercreme-Eiche. © Klaus-Dieter Brühl
1888 öffnete die Bäckerei in Oelsitz. Noch heute werden dort Backwaren verkauft.
1888 öffnete die Bäckerei in Oelsitz. Noch heute werden dort Backwaren verkauft. © Repro: Bäckerei Jung

Das hat mittlerweile eine lange Tradition. 130 Jahre ist es her, dass an der Riesaer Straße im Stadtteil Oelsitz die Bäckerei eröffnete, am Sonntag feiert der Betrieb das mit einem Tag der offenen Tür. 1888 eröffnete Heinrich Richardt Fritzsche in einem ehemaligen Kuhstall in Oelsitz die Bäckerei – Matthias Jungs Ururgroßvater. Zu seinem heutigen Namen kam der Familienbetrieb aber erst Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg: 1951 heiratete Kurt Jung aus Mügeln in die Familie ein. 1995 schließlich übernahm der heutige Chef. Zuvor war die Bäckerei Jung allerdings gut zehn Jahre geschlossen gewesen. Seine ersten praktischen Erfahrungen hatte Matthias Jung deshalb zunächst beim Onkel in Augustusburg gesammelt, wo er in den Sommerferien mithalf.

Das Unternehmen hat sich seitdem deutlich gewandelt, wie auch das Bäckereigeschäft insgesamt. Die Aufbackbrötchen der Supermarktketten haben die Bäcker unter Druck gesetzt. „Mittlerweile ist es etwas besser geworden“, sagt Jung und verweist auf die allgemein gute Wirtschaftslage. Die Leute achteten mehr auf Qualität, das komme auch den Bäckern zugute. Aber: Man müsse wachsen, um im Markt eine Chance zu haben. Standen die Großeltern früher meist zu zweit in der Stube, mit höchstens ein, zwei Helfern, so hat Jung heute 50 Mitarbeiter und acht Filialen von Riesa bis Döbeln und Mügeln. Hinzu kommt noch ein Verkaufswagen, der bis in die Dahlener Heide unterwegs ist.

Seit 2010 werden die Brötchen nicht mehr an der Riesaer Straße gebacken, sondern 200 Meter weiter. „Das Grundstück war für uns ein Glücksgriff“, erzählt Jung im heutigen Büro- und Lagergebäude befand sich eine Werkstatt, die ehemalige Scheune ließ er wegreißen und eine moderne Produktionshalle errichten. Schon vor dem Umzug hatte das Unternehmen drei Filialen, in der alten Backstube stieß man an seine Grenzen, stand sich gegenseitig auf den Füßen. „Schöner backen“, das war das Motto – auch, um neue Mitarbeiter anzulocken. In der neuen Halle wird in drei Schichten gearbeitet, fast 24 Stunden am Tag ist jemand da. Moderne Technik hat auch Einzug gehalten, etwa ein Computer, über den sich für jedes Rezept die nötigen Zutatenmengen anzeigen und berechnen lassen. Trotzdem sei eben noch vieles Handwerk, betont Jung. „Es ist nur eine Gratwanderung, handwerklich zu produzieren und trotzdem noch rentabel zu wirtschaften.“ Am Freitagvormittag sind beispielsweise gerade zwei Mitarbeiterinnen dabei, Torten für den Verkauf vorzubereiten. Maschinell geht das nur zu einem gewissen Grad. „Deshalb kostet Konditorware eben auch mehr.“

Ausgedient hat die ehemalige Backstube des Familienbetriebs längst nicht. Vor allem zur Weihnachtszeit kommen hier Kindergruppen vorbei, um mit dem Bäckermeister zusammen Plätzchen zu backen. In der Ecke sitzen dann zwei Strohpuppen in Bäckerkluft „und passen auf, dass wir alles richtig machen“, sagt Matthias Jung. Er hat sie Kurt und Marianne getauft – nach seinen Großeltern. Um den Nachwuchs muss sich Jung übrigens derzeit keine großen Sorgen machen, im Gegensatz zu vielen anderen Handwerksbetrieben. Die Belegschaft ist noch relativ jung, auch Lehrlinge findet er noch. Und sein 16-jähriger Sohn habe erst kürzlich ein Praktikum in der Bäckerei gemacht. Die fünfte Generation steht schon fast bereit.