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Aussprache in Großenhain

Am Montag haben sich die Bürger zum Autotunnel ordentlich die Meinung gesagt.

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© Anne Hübschmann

Von Birgit Ulbricht

Großenhain. In über 160 Gesprächsrunden hat Andreas Tietze nicht erlebt, dass die Bürger Redezeiten von 20 Minuten wollten. Er schmunzelt. Der junge Mann von der Landeszentrale für politische Bildung hat im Alberttreff die Aussprache von 200 Großenhainern moderiert. Er war es auch, der die Regeln des Abends mit den Bürgern per Abstimmung vereinbarte und alle Diskutanten auf Augenhöhe geholt hatte – im Rondell sitzend.

Niemand sollte vom Podium aus herunterdozieren. Das hat sicher einiges an Emotionen aus den Wortmeldungen genommen, auch wenn dennoch Buh-Rufe oder spontaner Beifall die jeweilige Stimmung klarmachten. Hier und da griff Tietze beruhigend ein, als zum Beispiel ein Bürger den Oberbürgermeister gar nicht erst hören wollte.

Die knappe Redezeit von 1,30 Minuten führte aber vor allem dazu, dass so viele Bürger wie noch nie bei solch einer Veranstaltung zu Wort kamen, ihre Fragen stellten, Meinungen kundtaten. Natürlich hatten besonders die Tunnel-Befürworter noch einmal mobilisiert, mit einem eigenen Flyer im Vorfeld und Argumenten. Makler Jörg Heller fragte OB Sven Mißbach gleich geradezu: „Ist es so, dass Sie am Mittwoch im Stadtrat beschließen lassen wollen, dass der Tunnel nie gebaut wird?“ Und der antwortete ganz klar: „Ja, genauso ist es. Das war das Ergebnis der Arbeitsgruppe. Ich befürworte diese Kosten nicht.“

Vieles aus dem Alltag gehört

War damit schon alles gesagt? Ja und nein. Aus seiner Meinung hat der amtierende OB nie einen Hehl gemacht, schon bevor sich im Mai 2017 die Arbeitsgruppe zur ersten von vier Sitzungen traf. Das nehmen ihm auch manche Großenhainer übel. Horst Köppler, Hauptprotagonist der Bürgerinitiative für einen Tunnelbau, verzichtete darauf, alle technischen Varianten eines Tunnels erneut durchzuspielen. Er wies den OB stattdessen darauf hin, dass man in der Arbeitsgruppe die Aufgabenstellung an das Büro nicht gekannt habe. Mißbach konterte, die habe im Rathaus vorgelegen, er hätte sie jederzeit einsehen können. Kein Applaus an dieser Stelle.

Den Bürgern ging es da um ihren Lebensalltag. Viele Kleinraschützer bezeichneten sich selbst als den abgeschnittenen Stadtteil, von Rand-Haynern war die Rede, gar von Riesa-Ost. Der alte Deal zur Teilung der Stadt treibt die Großenhainer weiter um. Silvana Schur sprach sich wie viele andere für einen Autotunnel aus. Man habe weder einen Geldautomat, noch eine Apotheke, ungünstige Busverbindungen, es sei einfach alles eine Zumutung. Wie Dr. Uwe Frost von Planungsbüro auf 2750 Tunnelnutzer in 24 Stunden komme, fragte Gaby Petzold nach? Solche Zahlen beruhen auf Verkehrsmodellen. An 20 Stellen wurden Autos gezählt und dann am Computer die neue Querverbindung hochgerechnet. Wie viele Pkw den Tunnel wirklich nutzen würden – keiner weiß es. Auch nicht, was er kosten würde, selbst wenn Schätzungen über 7,4 und 4,1 Millionen für zwei Varianten vorliegen. Weil gar nicht klar ist, ob die Stadt eine Förderung bekäme. Es ist auch nicht klar, ob das Eisenbahnbundesamt eine lkw-taugliche Durchfahrtshöhe von 4,50 Meter erzwingen könnte oder ob Großenhain einen kleineren Autotunnel bauen dürfte, wie der OB annimmt. Ja, die Kosten könnten der Stadt davonlaufen. Da hat Planer Uwe Frost recht. Nur, es weiß keiner.

Auch zur Umgehung der B 101 – kein Wort. Und so ist am Ende richtig, was Günther Reitmann sagte: „Es wird immer so getan, als wäre der Tunnel eine zusätzliche Aufgabe. Aber wer sich viele Straßen ansieht, auch den Steinweg oder die Elsterwerdaer, der weiß, so kann es nicht auf Dauer weitergehen. Großenhain hat ein Verkehrsproblem. Was ist denn die Lösung, wenn Sie den Tunnel jetzt ablehnen? Das Problem ist doch dann immer noch da.“

Weil das offenbar viele Bürger so empfinden, hat die Bürgerinitiative dem OB für den Mittwoch einen anderen Vorschlag für einen Tunnelbeschluss gemacht: Kleinraschütz wieder mit der Stadt zu verbinden sollte als städtische Aufgabe wahrgenommen und dem Stadtrat der nächsten Legislaturperiode mit auf den Weg gegeben werden. Denn nächstes Jahr wird ein neuer Stadtrat gewählt. Vielleicht wird das Thema Tunnelbau ja wieder hervorgeholt.