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Aus einem Ei gepellt

In Petra Scheunemanns Brust wohnen zwei Seelen – nicht nur beim Abschiednehmen vom geliebten Theaterbetrieb.

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Von Nadja Laske

Es hätte weitergehen können. Immer weiter. Fünf Jahre. Zehn Jahre. Fünfzehn vielleicht. „Aber wann ist dann Schluss?“, fragt Petra Scheunemann. Und was bleibt am Ende noch – vom Leben, dem Lachen, der Leidenschaft? Nach sechs Jahren an der Komödie Dresden, zwölf Jahren Theater Wechselbad und vieren im Team des Boulevardtheaters lässt die
65-Jährige ihren Theatervorhang fallen. „Ich habe ganz bewusst entschieden, mich jetzt und nicht irgendwann zu verabschieden und eine neue Etappe zu beginnen“, sagt sie. „So bin ich im Leben immer an Veränderungen herangegangen.“

Für ihre Eltern war die Geburt der Zwillinge Petra (rechts) und Rita eine große Überraschung und Vaters selbstgebaute Wiege eine Nummer zu klein.
Für ihre Eltern war die Geburt der Zwillinge Petra (rechts) und Rita eine große Überraschung und Vaters selbstgebaute Wiege eine Nummer zu klein. © privat

Davon gab es reichlich in diesem Künstlerleben, das schon begann, als Petra Scheunemann gerade 16 Jahre alt war. Damals erhielt sie die Zulassung zum Studium klassischen Gesangs an der Dresdner Musikhochschule. „Meine Zwillingsschwester Rita hatte sich ebenfalls beworben und bekam die Zusage früher als ich“, erinnert sie sich. Die Tage, die vergingen, bis auch Petras Brief eintraf, hat sie heute noch als großes Drama in Erinnerung: „Meine Schwester sagte: Wir studieren beide oder gar nicht.“ Um ein Haar wäre schon damals ein neuer Plan gefragt gewesen, eine andere Ausbildung, die die Weichen völlig neu stellt.

Beide oder keine, dieses Credo haben Petra und Rita mit der Milch der Mutter eingesogen. Die wusste bis zur Ankunft ihrer Töchter nichts von Zwillingen. „Alle Untersuchungen während der Schwangerschaft ergaben nur einen Herzton“, erzählt Petra Scheunemann. Ultraschall war noch nicht üblich und deshalb die Überraschung zur Geburt groß. Aus der erwarteten Petra Rita wurden Petra und Rita – zwei Menschen mit gemeinsamen Nervenbahnen, die nicht physisch vorhanden aber für beide stets spürbar sind.

Mit der gemeinsamen Studienzeit endete zum ersten Mal nach 22 Jahren der gemeinsame Weg. „Das war eine ganz neue Erkenntnis, die uns erst langsam bewusst wurde: Kein Theater würde zwei Soprane gleichzeitig engagieren.“ So landeten die Schwestern an Theatern, rund fünf Autostunden voneinander entfernt, die eine in Greifswald, die andere in Halberstadt. Filmreif wie in der Geschichte „Das doppelte Lottchen“, die drei Jahre vor Petras und Ritas Geburt ein Kinoerfolg wurde, hatten die Mädchen ihre Lehrer ausgetrickst. Nun sangen sie seltsamerweise nie die gleichen Solopartien, besuchten sich aber zu den Premieren und gaben sich vor Kollegen schon mal für die jeweils andere aus.

Schmerzender Verlust

Spaß bleibt in Erinnerung, Verzweiflung auch. „Ohne Rita hätte ich manch Tief in meinem Leben nicht durchgestanden“, sagt Petra Scheunemann. Nicht den Verlust ihrer ersten großen Liebe durch einen Autounfall und so kurz vor der Hochzeit. Monate brauchte die Mitte 20-Jährige, um wenigstens körperlich wieder gesund zu werden. Den Tod der Eltern trugen sie gemeinsam und auch die Trauer, als Petras Ehemann vor einigen Jahren nach schwerer Krankheit starb. Wie viele Stunden haben die Schwestern gemeinsam am Telefon verbracht, als Petra Scheunemann zusammen mit dem Theatermacher Gerd Schlesselmann das Panometer bespielen wollte und mit dem Vorhaben scheiterte. Oder als sie ebenfalls unter Schlesselmann in der Komödie – damals noch mit „K“ – das Marketing führte und ging, als auch ihr Förderer und Partner das Haus nach Zerwürfnissen verließ. Und als Scheunemann und Schlesselmann gemeinsam das Theater Wechselbad der Gefühle eröffneten und sich ein Dutzend Jahre durch alle Härten kämpften, die private Bühnen aushalten müssen. Immer an ihrer Seite: Rita. Zeitweise räumlich getrennt voneinander, hat die Nähe zueinander nie gelitten.

Doch bevor sich die beruflichen Wege voneinander entfernten, nutzen die Zwillinge ihren gemeinsamen Herzschlag auch für die Arbeit. „Wir hatten fünf Spielzeiten an den Theatern Greifswald und Halberstadt verbracht und fanden das genug“, erzählt Petra Scheunemann. Ihre Eltern waren seit langem getrennt, die Mutter lebte mit dem jüngsten, pubertierenden Spross allein und brauchte Hilfe. „Um wieder zusammen zu sein, haben wir uns entschlossen, völlig neu zu starten – als Gesangsduo Twins.“ Mama, Schneiderin von Beruf, nähte die Kostüme, Komponist und Orchesterleiter Fips Fleischer schrieb Lieder und öffnete so manche Tür. Die Twins – jung, blond, lebensfroh und gut ausgebildet – reisten im teuer bezahlten Trabi-Combi kreuz und quer durch die ganze DDR. Fünf Jahre lang Rügen, Berlin, Balaton. Morgens Ski auf der Oberwiesenthaler Piste, abends Auftritt im VEB-Ferienheim. Bulgarien, Ungarn, CSSR, nur der Westen blieb verboten. Diese Grenze öffnete sich erst später, als die Twins mit dem DDR-bekannten Cantus-Chor zu touren begannen.

Pläne für die neue Etappe

Petra Scheunemann kennt die Arbeit auf und hinter der Bühne, Erfolge und Rückschläge, Verzweiflung und Glücksmomente. Als sie sich Ende 2013 zusammen mit Gerd Schlesselmann entschied, das Theater Wechselbad zu schließen, war das ein Ende von vielen. Weniger schmerzhaft machte es das nicht, doch sie sagt über diesen Schritt: „Alles hat seine Zeit, aber es war ja nicht schlimm, so eine Entscheidung zu treffen, man muss es nur tun.“ Es tun und seinen Frieden machen. So wie mit dem Abschied vom Boulevardtheater und all den geschätzten Kollegen.

Die packten zum Dank all die rappelvollen Jahre der passionierten Theaterfrau in einen bewegenden Film und ließen sie mit Unterstützung der Dresdner Verkehrsbetriebe eigenhändig Straßenbahn fahren. Nicht irgendeine Tram, sondern die mit der Werbung fürs Boulevardtheater. Ein neuer Job wird aus der Aktion allerdings nicht erwachsen. Petra Scheunemann hat andere Träume. Sie liebt es, nun Zeit zu haben – zum Nachdenken, Lesen, Freunde treffen. Und für Rita, ihre „bessere Hälfte“.