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Auf Umwegen zum richtigen Beruf

Elisa Lenke war Leistungssportlerin, hat studiert und lernt ein Handwerk. So wünschen es sich Chefs, die Azubis suchen.

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© Ronald Bonß

Von Georg Moeritz

Wer zu Elisa Lenke in die Werkstatt kommt, riecht erst einmal Leim und sieht Rollen aus farbigen Kunststoffen. Gips und Aluminium gehören auch zu den Materialien, mit denen die 27-jährige Elisa Lemke an der Werkbank arbeitet. Gerade hat sie vor sich Metallgelenke und glasfaserverstärkte Plasteschalen, aus denen eine Kniestütze werden soll. Bohren, Gießen, Gipsformen abnehmen – über diese Vielseitigkeit freut sich die Dresdnerin, die im August ihre Ausbildung in der Orthopädie- und Rehatechnik Dresden GmbH begonnen hat. Ein Praktikum in einer Tischlerei machte sie zuvor, doch noch besser als der Umgang mit Holz gefiel ihr die Abwechslung in ihrer neuen Ausbildungsstätte. „Ich war nie so ein Püppchen“, sagt sie – etwas Praktisches sollte es jedenfalls sein.

Vor der Lehre hat Elisa Lenke völlig andere Berufe ausprobiert. Nach dem Abitur war die Dresdnerin vier Jahre Leistungssportlerin bei der Bundeswehr. Shorttrack war ihre Spezialität, Eisschnelllauf. Sie erzählt es nicht von sich aus, aber im SZ-Archiv ist sie zum Beispiel als Deutsche Meisterin über 500 Meter zu finden. Später studierte sie Erziehungswissenschaften in Erfurt mit Bachelorabschluss und arbeitete mit Kindern in einer stationären Einrichtung. „Das war wie: plötzlich Mama“, sagt Elisa Lenke. Sie spürte aber, dass sie das „nicht bis zum Lebensende“ machen wollte. Also schrieb sie Bewerbungen – unter anderem an die Dresdner Orthopädietechniker. Sie kannte diese Firma, weil sie in deren Verkaufsstellen selbst Sportbedarf wie Kompressionsstrümpfe gekauft hatte.

Nachwuchssuche: Firmen werben im Internet und per Schulpraktikum

Geschäftsführer Thomas Hänel-Schwarz freut sich, dass er genügend Bewerbungen bekommt. 17 Auszubildende sind unter den rund 260 Beschäftigten der Orthopädie- und Rehatechnik Dresden, die voriges Jahr auch Filialen im Raum Görlitz nach der Insolvenz von Art of People übernommen hat. Wer in seiner Firma lernen will, muss zuerst ein Praktikum machen. Die 17-jährige Julia Schubert kam als Realschülerin für zwei Wochen in den Betrieb und fand die Arbeit viel interessanter als ihr Praktikum in einer Drogerie. Auch die 18-jährige Charlotte Ritter war nach dem Praktikum überzeugt. Sie wollte „etwas Soziales machen“. Der Firmenchef wirbt im Internet und auf Ausbildungsmessen für seine Lehrstellen, „um dem Fachkräftemangel zu begegnen“. Er rechnet nämlich damit, dass sein Unternehmen weiter wachsen wird. Mit spektakulären Angeboten wie Dienstwagen um Lehrlinge zu werben, hält er für übertrieben. So sieht es auch Andreas Sperl, Präsident der Industrie- und Handelskammer Dresden. Er ist Geschäftsführer der Elbe Flugzeugwerke und weiß, dass in seiner Branche auch die Lehrlinge selbst Werbeträger sind – durchs Erzählen von der Arbeit. Viele Auszubildende in den Flugzeugwerken sind laut Sperl Kinder von Mitarbeitern.

Zuwachs: Mehr Ausbildungsplätze, trotzdem unversorgte Bewerber

Dieses Jahr sind in Sachsen trotz Werbung etwa 2 000 Lehrstellen frei geblieben. Seit fünf Jahren wächst die Zahl der Ausbildungsplätze in Sachsen wieder leicht. Allerdings sind noch etwa 800 Jugendliche „unversorgt“, sagte am Freitag Klaus-Peter Hansen, Chef der sächsischen Arbeitsagenturen. Von ihnen werde jeder Angebote bekommen, auch wenn er wegen Drogenproblemen oder nach einer Haft nicht gleich zu vermitteln sei. „Keiner darf verloren gehen“, sagte Hansen. Allerdings gehe es nicht nur um schwierige Fälle, sondern auch um unentschlossene Jugendliche nach dem Abitur. Von rund 40 000 Schulabsolventen haben laut Hansen in diesem Jahr rund 22 300 mithilfe der Berufsberater einen Ausbildungsplatz gesucht. Davon nahmen 13 000 eine Ausbildung auf. Gut 900 fingen aber ohne Ausbildung eine Erwerbstätigkeit an, rund 360 begannen gemeinnützige Dienste. Die Industrie- und Handelskammern (IHK) zählten dieses Jahr 11 729 neue Ausbildungsverträge, ein Plus von 4,5 Prozent. In Sachsens Handwerk gab es 1,1 Prozent Rückgang, auf 5 337.

Flüchtlinge: Rund 500 beginnen dieses Jahr Ausbildung in Sachsen

Unter den „unversorgten“ Lehrstellenbewerbern sind laut Arbeitsagentur 148 Flüchtlinge. Der Statistik zufolge hatten sich 1 086 Flüchtlinge als Ausbildungssuchende bei den Agenturen gemeldet. Davon fanden 466 eine Lehrstelle. Andere meldeten sich aus unterschiedlichen Gründen ab, das kann auch Berufstätigkeit sein. Laut Hansen fanden Flüchtlinge in der Regel Lehrstellen, in denen es weniger auf die Sprache ankommt. Die Berufsschule sei für sie trotzdem „ein Abenteuer“, denn es gebe keine Sonderregeln für Migranten. Die Kammern nennen noch etwas höhere Zahlen bei den Lehrverträgen, denn nicht immer ist die Arbeitsagentur beteiligt. In sächsischen IHK-Betrieben begannen 554 Menschen aus „Flüchtlingsherkunftsländern“ eine Lehre, vorwiegend aus Syrien und Afghanistan. Die Handwerkskammer Dresden hat dieses Jahr 34 Lehrverträge mit Syrern registriert, 31 mit Afghanen.