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Auf Mielkes Tisch

Als erste sächsische Stadt fand Meißen vor 30 Jahren einen Partner im Westen. Die Stasi passte genau auf.

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© Andreas Weihs

Von Peter Anderson

Meißen. Dieser Auftrag bereitete Fellbachs Oberbürgermeister Friedrich-Wilhelm Kiel schlaflose Nächte. Zur Feier des 30. Jahrestages einer der ersten deutsch-deutschen Städtepartnerschaften zwischen Meißen und Fellbach am Donnerstagabend in Meißen kramt er die Episode noch einmal hervor. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte habe ihn Anfang 1988 angesprochen, erinnert sich der Senior. Seit einem Jahr verfügte er damals als einer der wenigen westdeutschen Kommunalpolitiker über direkte Kontakte in die DDR. Mit Hilfe der im Mai 1987 geschlossenen Städtepartnerschaft mit Meißen sollte der Fellbacher sich dafür stark machen, dass die kurz zuvor in Ost-Berlin verhaftete Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley und ihre Mitstreiter freigelassen würden. Das forderten die Menschenrechtler von ihm.

„Hätte ich dem Anliegen widersprochen, wäre das als Feigheit vor den Oberen in der DDR schnell in der Presse gelandet.“ Auf der anderen Seite sei ihm klar gewesen, dass er seinen Partnern im Osten einen solchen Vorstoß nicht zumuten könne. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte war für das SED-Regime ein Rotes Tuch, weil sie sich vor allem für politische Gefangene hinter dem Eisernen Vorhang einsetzte. „Bonner Ultras“ waren das für die Kommunisten oder auch „revanchistische Kreise“. So schildert der frühere Fellbacher Oberbürgermeister bei einer Podiumsdiskussion im großen Meißner Ratssaal sein Dilemma.

Partnersuche per Fernschreiben

Letztlich habe er sich für einen Kompromiss entschieden. „Ich weiß, dass Du in der Sache nichts tun kannst. Aber lass uns trotzdem darüber reden“, sagte Kiel beim nächsten Besuch zu seinem Meißner Amtsbruder Klaus Däumer. Selbst diese salomonische Botschaft ging den Machthabern in der DDR zu weit. „Die Sache landete auf dem Tisch von Stasi-Chef Erich Mielke“, sagt Friedrich-Wilhelm Kiel. Das habe er nach der Friedlichen Revolution seinen durch die Staatssicherheit angelegten Akten entnehmen könnten. Dass die Anfrage keine ernsteren Konsequenzen hatte, mag der Tatsache geschuldet sein, dass es die Stasi in den folgenden Monaten mit schwierigeren Problemen zu tun bekam.

Die Anekdote Fritz Kiels steht an diesem lauschigen Sommerabend stellvertretend für eine Epoche, die gefühlt eher 60 Jahre als lediglich drei Jahrzehnte zurückzuliegen scheint. Es wird gelacht, und manchmal tritt den Zuhörern auch das Wasser in die Augen. Ein bisschen erinnert die Atmosphäre im Obergeschoss des Meißner Rathauses an ein Klassentreffen lange Zeit nach dem Schulabschluss. Erst im Rückblick wird klar, dass heutige Selbstverständlichkeiten damals kleinen Revolutionen glichen. Mit dem Zuckerbrot der durch Bayerns Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß vermittelten Milliardenkredite und der Peitsche von Wettrüsten und Wirtschaftswachstum zwang der Westen den Ostblock zu Zugeständnissen. Eines Tages sei er in die Meißner SED-Kreisleitung beordert worden, um dort ein Fernschreiben in Empfang zu nehmen, erzählt Klaus Däumer. Der Inhalt: Die Kommune Fellbach in Baden-Württemberg habe den Wunsch geäußert, mit Meißen eine Städtepartnerschaft abzuschließen. Euphorisiert und den Kopf voller Ideen habe er in dieser Nacht kaum ein Auge zugetan, sagt der frühere Meißner Bürgermeister. Dass es dann im Mai vor 30 Jahren tatsächlich zur Unterschrift unter das Vertragswerk kam, bleibt für ihn ein kleines Wunder.

Meißens Oberbürgermeister Olaf Raschke ist es überlassen, die anschließende Erfolgsgeschichte schlaglichtartig zu schildern. Er erinnert an die Aufbauhelfer aus Baden-Württemberg, welche die Grundlagen für eine moderne Verwaltung in Meißen und dem Freistaat legten. Er verweist auf die Kärcher aus der Partnerstadt, mit denen der Dreck von zwei Jahrhunderthochwassern aus Meißen gespült wurde. Und er richtet den Blick nach vorn: Die Idee der Partnerschaft habe sich von der deutsch-deutschen Ebene auf die europäische ausgebreitet. In vier Jahren richtet Meißen ein Treffen der Jugend aus den europäischen Partnerstädten aus. Dann wird das Haus Europa an der Elbe weiter gefestigt. Die Schlaflosigkeit der Partner in den Nächten sollte 2021 einen ganz anderen Grund haben, als 1988 bei Fritz Kiel.