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Auf der Suche nach Teilchen

Ein Radebeuler Gymnasiast hat zwei Wochen am CERN gearbeitet – dem Mekka aller Physiker in der Schweiz.

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© Norbert Millauer

Von Uta Büttner

Radebeul. Ist er ein Wunderkind? Mit 14 Jahren besuchte der Radebeuler Tim Hebenstreit schon die erste Teilchenphysik-Veranstaltung an der TU Dresden. Warum? Weil seine Fragen im Schulunterricht am Luisenstift nicht beantwortet werden konnten. Kürzlich arbeitete der nunmehr 17-jährige Gymnasiast zwei Wochen lang am CERN – dem weltweit größten Forschungsinstitut auf dem Gebiet der Teilchenphysik. Während seine Mitschüler die Schulbank drückten, war er gemeinsam mit renommierten internationalen Wissenschaftlern kleinsten Teilchen auf der Spur, die derzeit nur in der Theorie existieren.

Nun lebt Tim wieder im Schulalltag. „Das ist schon ein krasser Kontrast“, sagt er. Für das Gespräch in seiner Schule hat er passend ein Physikzimmer gewählt. Jede Menge an die Vorzeit erinnernde Geräte stehen in diesem Raum. „Am CERN gibt es natürlich die modernste Technik. Dass die Schule diese Möglichkeiten nicht hat, ist verständlich“, sagt der junge Mann. Und dann erläutert er auch schon an der Tafel, womit er sich in Genf beschäftigt hat. Der Vortrag beginnt mit dem Atom, welches aus Protonen und Elektronen besteht. Dann gibt es auch noch Neutronen. Soweit, so gut und einfach. Doch dann geht es weiter. Die Protonen bestehen aus weiteren Teilchen: den Elementarteilchen – auch schon einmal gehört. Da gibt es stabile Teilchen – die die Materie um uns herum bilden – und dann gibt es noch weitere Teilchen, die sogenannten Bosonen. „Die sind wichtig, damit wir die Materie verstehen“, sagt Tim. „Denn sie vermitteln die Kräfte zwischen den anderen Teilchen.“ Dann spricht er von Erweiterungen des Standardmodells und Berechnungen und beendet seinen kurzen Vortrag: „Jetzt habe ich mal in zwei Minuten versucht, einfach zusammengefasst zu erklären, was man eigentlich in vielen Vorlesungen lernt.“ Diese Aussage beruhigt angesichts der Überforderung eines Fachfremden.

Ist Tim anders als andere Jugendliche? Ist er eines von diesen Wunderkindern, denen nachgesagt wird, dass sie sich im „normalen“ Leben nicht zurechtfinden? Letzteres definitiv nicht. Offen, kontaktfreudig und sprachgewandt geht er auf seine Mitmenschen zu. Doch anders als die meisten seines Alters ist der Zwölftklässler schon: Er hinterfragt. Er nimmt die Dinge nicht einfach als gegeben hin. Weil er die Rolle des Neutrons im Atom nicht verstand, recherchierte er im Internet. Dort stieß er auf das deutschlandweit agierende Netzwerk Teilchenwelt, das Workshops in Schulen, Schülerlaboren oder an Universitäten anbietet. Gründer und Leiter dieses Projektes ist Professor Michael Kobel von der TU Dresden.

Doch Tims Begabung beschränkt sich nicht auf die Physik. So beherrscht er die englische Sprache fließend. Und französisch? „Naja, alltagstauglich“, sagt er bescheiden. In seiner Freizeit schmiedet er als Ausgleich gern. „Früher habe ich auch viel Holzarbeiten gemacht.“ Außerdem geht Tim gern in Kunstausstellungen und begeistert sich auch für Literaturgeschichte. Und sogar Malen kann er. Sagt man sich jetzt, aber sportlich ist er bestimmt nicht. Fehlanzeige. „Früher habe ich Fußball gespielt.“ Irgendetwas muss es doch geben, was er nicht gut beherrscht oder wobei er richtig demotiviert ist. Tatsächlich: Pflanzenbestimmung und Jahreszahlen in Geschichte lernen.

Trotz vieler Talente steht sein Studienwunsch schon lange fest: Physik. Nur der Ort ist noch offen. „Heidelberg kann ich mir gut vorstellen. Die Heimat ist zwar schön, aber ich möchte gern mal nach draußen.“ Außerdem verrät er, dass seine Freundin Sophie Medizin studieren möchte. Da bietet sich Heidelberg natürlich an. Und ein Auslandssemester wünscht sich Tim – um die Welt zu sehen.

Ein wenig schnuppern an dieser Welt durfte er ja schon – in Genf, wo Wissenschaftler aus allen Ländern gemeinsam ein Ziel verfolgen. „Da arbeiten Palästinenser und Israelis oder Amerikaner und Russen in Freundschaft zusammen, Religionen sind da zweitrangig.“ Eine beeindruckende Erfahrung. „Mit einem Türken habe ich beispielsweise auch über Erdogan gesprochen.“ Denn Politik sei oft zwischen den Wissenschaftlern ein Thema und dabei werde immer wieder die Frage aufgeworfen: Warum funktioniert es bei uns und in der großen Politik nicht?

Und so war die Arbeit am CERN nicht nur wissenschaftlich eine großartige Erfahrung für Tim Hebenstreit, sondern auch menschlich.