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Auf der Suche nach dem Urzeitkrebs

Die Triops gelten als die älteste noch lebende Gattung der Welt. In der Gohrischheide fühlen sie sich wohl.

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© Sebastian Schultz

Von Christoph Scharf

Zeithain. Behutsam schwenkt Stefan Müller seinen Kescher hin und her. Im hellbraunen Wasser der Pfütze bilden sich Verwirbelungen, die wie Wolken aussehen. Aufmerksam späht der Förster ins Trübe. Durch das Dickicht aus Ginster, Birken, Traubenkirsche ist ein vorbeirollender Güterzug zu hören. Sonst ist es still im Naturschutzgebiet am Rand der Gohrischheide. Das war früher anders: Im Tankodrom zwischen Jacobsthal und Gohlis übten Tausende Soldaten das Panzerfahren. Tonnenschwere Kolosse gruben sich Jahrzehnte lang mit ihren Ketten in den Boden ein.

Der Brombeerspinner ist hier noch als Raupe unterwegs. Erst nächstes Jahr wandelt er sich zum Falter.
Der Brombeerspinner ist hier noch als Raupe unterwegs. Erst nächstes Jahr wandelt er sich zum Falter. © Sebastian Schultz
Der Triops cancriformis oder Urzeitkrebs. In der Gohrischheide wird er nur gut zwei Zentimeter groß.
Der Triops cancriformis oder Urzeitkrebs. In der Gohrischheide wird er nur gut zwei Zentimeter groß. © dpa
Eine Gasmaske zeugt von der militärischen Nutzung des früheren Tankodroms – freigewühlt von Wildschweinen.
Eine Gasmaske zeugt von der militärischen Nutzung des früheren Tankodroms – freigewühlt von Wildschweinen. © Sebastian Schultz

Die Sowjetarmee hinterließ viel Schrott und Müll – und eine einzigartige Kulturlandschaft. „Solche Biotope findet man sonst kaum“, sagt Stefan Müller, der jetzt seinen Kescher aus dem Wasser genommen hat und in der flachen Hand den Inhalt untersucht. Es krabbelt auf seinen Fingern. Ein Randkäfer versucht, zu flüchten. Ein Wasserläufer ist zu sehen. Mückenlarven zappeln. Nach denen allerdings hat der Mann vom Staatsbetrieb Sachsenforst nicht gesucht. Das Getier ist nur die Nahrung des Geschöpfs, um das es eigentlich geht: den Triops, einen sogenannten Kiemenfußkrebs – eher als Urzeitkrebs bekannt. „Das ist ein lebendes Fossil“, sagt Stefan Müller. Seit mehr als 200 Millionen Jahren gibt es das Tier – es gilt als die älteste bekannte noch lebende Art der Welt.

Als die Säugetiere auf diesem Planeten sich gerade erst entwickelten, sah der Urkrebs schon so aus wie heute. Wenn man ihn denn zu Gesicht bekäme. Denn auch beim zweiten und dritten Versuch mit dem Kescher hat der 31-Jährige kein Glück. Wieder sind nur Käfer, Mückenlarven, etwas Schlamm und abgestorbenes Gras im Kescher. Andere Tiere haben dagegen ihre Spuren im feuchten Boden hinterlassen: Rehe waren zum Trinken da, der Waschbär, Rotwild. Und Wildschweine ohnehin. Über anderthalb Kilometer hinweg ist das Gras links und rechts der einstigen Panzertrasse durchwühlt. Auf der Suche nach Nahrung haben die Wildschweine auch militärische Hinterlassenschaften nach oben gewühlt. Da liegt ein halbes Dutzend angegammelte Gasmasken neben einer genagelten Schuhsohle eines Militärstiefels, Größe 43. „Seit die Maisfelder in der Umgebung abgeerntet sind, kommen die Wildschweine zurück in die Gohrischheide“, sagt der Förster. Auch im Randbereich des Naturschutzgebiets wird gejagt, damit der Bestand nicht überhand nimmt.

Der Allrad-Jeep des Försters schafft es auch durch die zerwühlten Flächen. Nun aber geht es zu Fuß weiter. Ein Admiral sonnt sich auf einem rostigen Stück Stahl, das aus dem Boden ragt. „Hier liegt noch so viel Schrott und Müll im Wald, dass man das güterzugweise herausfahren könnte“, sagt Stefan Müller. Lkw-Reifen, Bahnschwellen, ein Stuhl. Ab und an räumt der Förster mit Helfern Unrat raus – fertig aber wird er damit nie.

Also überwuchert der Ginster die Hinterlassenschaften aus fast 60 Jahren militärischer Nutzung. Eine Libelle schwebt vorbei, ein Neuntöter fliegt erschrocken auf. Ein Heupferd sonnt sich. Aber wo ist der Triops? Der Urzeitkrebs ist so selten, dass er auf der Roten Liste geschützter Arten steht. Aber in der Gohrischheide wurde er in 44 von weit über 100 Stillgewässern nachgewiesen, die über die Jahre auf dem Panzerparcours entstanden sind. Wo die Ketten den Boden zerwühlt haben, steht manchmal Wasser, manchmal trocknen die Senken aus: ideale Bedingungen für den Krebs, der solch temporäre Gewässer braucht.

Nun aber sind fast alle Pfützen ausgetrocknet. „Das ist aber nicht schlimm, denn die Eier des Krebses können jahrzehntelang im Trocknen überdauern“, sagt der Förster. Erst, wenn sie wieder mit Wasser in Berührung kommen, entwickelt sich die Larve weiter – und eine neue Generation wächst heran. Eine Laune der Natur, die dem Urzeitkrebs das Leben in den nur zeitweise bestehenden Pfützen überhaupt erst ermöglicht.

Und warum lebt das Tier dann nicht einfach in einem Teich? „Wo Fische leben, verschwindet der Urzeitkrebs“, sagt der Revierleiter. Besser kommt der Triops mit den Bedingungen auf einem Truppenübungsplatz zurecht. Denn die mal trockenen, mal nassen Senken entstehen nur dort, wo die Panzerketten den Boden verdichten.

Wie man ihm seinen Lebensraum auch in friedlichen Zeiten erhalten kann, soll ein Pflege- und Entwicklungsplan für die Gohrischheide zeigen, der aktuell – unter anderem von Biologen – erarbeitet wird. Heute jedenfalls bleibt das Urzeittier verschwunden, der Kescher des Försters leer. „Aber die mikroskopisch kleinen Eier sind noch da“, sagt Stefan Müller. „Nächstes Jahr wächst eine neue Generation heran.“