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Attraktiver Sturkopf

Die Italienerin Dorothea Wierer wirkt wie ein Gegenentwurf zu den deutschen Biathleten. Sie genießt das Leben und hat trotzdem Erfolg.

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© Splash-News/Pierre Teyssot

Von Daniel Klein

Sie fällt auf, schon rein äußerlich. Nach erfolgreichen Rennen sitzt sie bei den Pressekonferenzen neben Kolleginnen, denen man die Anstrengungen des gerade absolvierten Wettkampfs ansieht. Dorothea Wierer nicht, sie ist perfekt gestylt. Fingernägel, Augenbrauen, Lid, Wimpern, Lippen – das gesamte Gesicht wirkt, als sei es gerade für ein Fotoshooting präpariert worden. Für die 27-Jährige beschränkt sich das Schminken nicht aufs abendliche Ausgehen, es gehört zum Alltag, also auch zum Sport, zum Biathlon.

Auch bei den Rennen geht die Südtirolerin geschminkt an den Start. Bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften gewann sie bisher vier Medaillen. Nach der Heim-WM 2020 soll Schluss sein.
Auch bei den Rennen geht die Südtirolerin geschminkt an den Start. Bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften gewann sie bisher vier Medaillen. Nach der Heim-WM 2020 soll Schluss sein. © dpa/Sven Hoppe

Dort fällt sie zunehmend durch Erfolge auf. In Oberhof wurde sie Zweite, vorige Woche in Ruhpolding feierte sie den vierten Weltcupsieg ihrer Karriere. In Italien ist man damit bereits die beste Biathletin aller Zeiten. An diesem Donnerstag startet sie in Antholz, quasi vor ihrer Haustür.

Die letzten vorolympischen Rennen sind etwas Besonderes für Wierer. Lediglich einmal im Jahr ist Biathlon im italienischen Fernsehen ein Live-Ereignis, dann überträgt der öffentlich-rechtliche Sender Rai die Wettbewerbe aus dem malerischen Pustertal. „Aber auch nur, wenn wir vorher gut waren“, betont Wierer. „In Italien gibt es fast nur Fußball, mit dem Wintersport ist es ein bisschen schwierig.“ Vor allem jenseits der Dolomiten. „Im Süden, wo sie nicht mal wissen, was Schnee ist, wird das nie was“, sagt sie. Insgesamt sei es in den vergangenen Jahren jedoch besser geworden mit der öffentlichen Wahrnehmung, sie spüre das an ihrer Fanpost und den Presse-Anfragen. Biathlon ist in Italien kein Trend- oder Boomsport, schiebt sich in der Beliebtheitsskala jedoch ganz allmählich nach vorn.

Daran hat sie einen großen Anteil. Es sind nicht nur das attraktive Gesicht und das ansteckende Lachen. Es sind auch die Fitnessvideos, bei denen sie sich räkelt. Es sind die Fotos und Filmchen, die sie aus ihrem Privatleben ins Netz stellt und in denen sie häufig einen Bikini trägt.

Man könnte ihr unterstellen, dass sie um jeden Preis auffallen will, dass sie sich interessant machen will für Fans und Sponsoren. Doch dahinter steckt wohl kein Kalkül. Es ist eher ihre Art, ihr Charakter, ihre Einstellung zum Leben. Und die passt nicht immer zur Askese von Spitzensportlern. Wierer feiert gern, schlägt auch mal über die Stränge – sehr zum Ärger der Trainer. „Das müssen sie aber akzeptieren. Ich kann nicht anders und möchte das auch gar nicht. Sonst bin das nicht mehr ich.“

Vor einigen Jahren kam sie bei einer Staffel zu spät, ihre Landsfrau Karin Oberhofer musste einige Sekunden in der Wechselzone warten, bis Wierer endlich erschien. Das passt zu ihr. „Ich tue, was zu tun ist, aber eben eindreiviertel Stunden statt zwei. Und wenn es heißt, am Nachmittag soll ich auslaufen, dann gehe ich manchmal einfach nicht. Ich bin eben so.“

Und trotzdem hat sie Erfolg. Oder gerade deshalb. Ihr Schießen ist auch so ein Punkt. Die fünf Schuss ballert sie in einem Tempo raus, dass selbst die männlichen Kollegen kaum mithalten können. „Ich will halt schnell fertig werden“, sagt sie. Das Erstaunliche ist: Selbst beim Klassiker, dem Einzel über 15 Kilometer, bei dem es für einen Fehler eine Strafminute gibt statt einer Strafrunde, schießt sie nicht langsamer, wie es viele Biathleten tun. Drei ihrer vier Weltcupsiege feierte sie in dieser Disziplin, in der sie vor zwei Jahren die Weltcupwertung gewann und die sie eigentlich nicht mag: „Viel zu lang und zu anstrengend.“

Wierer wirkt wie ein Gegenentwurf zu den deutschen Skijägerinnen, die ihr Privatleben privat lassen und dem Sport alles unterordnen. Die Südtirolerin nimmt das Leben lockerer, aber trotzdem ernst. Nach der Hochzeit 2016, von der natürlich auch Fotos auftauchten, versteigerte sie ihr Kleid zugunsten der Erdbebenopfer in Nepal. Ein Angebot des Playboy lehnte sie ab und begründete das auch mit den nachträglichen Retuschen am Computer. „Ich möchte nicht bearbeitet werden.“ Der Satz könnte ihr Lebensmotto sein, mit diesem hat sie sich mal selbst charakterisiert: „Ich bin ein Sturkopf. Das ist Stärke und Schwäche zugleich, aber im Sport vorteilhaft.“

In Deutschland wäre Wierer ein Star. Glamour und Medaillen – diese Kombination geht immer. In Italien ist ihre Bekanntheit auf den Norden des Landes beschränkt. Auch sonst gibt es Unterschiede. „Unser Verband hat sicher nicht so viel Geld und Möglichkeiten wie der deutsche“, vergleicht sie. „Bei den Lehrgängen schlafen wir nicht in Hotels, sondern in Wohnungen. Der Koch verdient nichts, er kommt mit, weil er Fan ist. Wir müssen sparen, aber unter diesen Umständen machen wir es, glaube ich, ganz gut.“

In zwei Jahren wird die WM in Antholz ausgetragen. Wierer findet, dass wäre die passende Gelegenheit, die Karriere zu beenden. „Aber vielleicht mache ich weiter, bis ich 40 bin – wer weiß“, sagt sie und lächelt vielsagend. Für Überraschungen ist Dorothea Wierer immer gut.

TV-Tipp: Do., 14.15 Uhr, Frauen-Sprint, ARD.